Neue Lust, neuer Frust

Gestern habe ich das Corporate Learning Camp in Darmstadt besucht. Heute, von der doch gefühlten Erschöpfung wieder erholt, berichte ich ein wenig darüber. Aus Lust und Laune einfach mal rückwärts.

Fazit

Hat Spaß gemacht! Habe viele bekannte Gesichter getroffen und neue kennengelernt, die Mittagspause statt zu essen mit Gesprächen verbracht. Ganz herzlichen Dank an Karl-Heinz Pape und den Rest des Organisations-Teams!

The Flipped Classroom

In einer der letzten Sessions haben Christian Spannagel und ich spontan eine Session zum Thema Flipped Classroom angeboten. Hauptsächlich Christian hat vorgestellt, wie man mit Hilfe des Internets mit seinen vielen Formaten (Texte, Videos, interaktive Inhalte) die Stoffaneignung vor den Unterricht verlagern kann, im Unterricht damit arbeitet und eine nachträgliche Beschäftigung nicht ausgeschlossen ist. Normalerweise ist es ja vermutlich eher so, dass Vorbereitung die Ausnahme darstellt, der Lehrende in einer Veranstaltung Stoff präsentiert, der dann als Hausaufgabe vertieft werden soll.

Da das Internet hier den rationalisierbaren Commodity-Anteil übernimmt und der Lehrende tatsächlich die Premium-Leistung erbringen muss – es ist ja viel schwieriger, wenn ich nicht nur Stoff vorlese – passt das recht gut dazu, was Gunter Dueck unter dem Ende der Kreidezeit und dem Internet als Gesellschaftsbetriebssystem fasst. Seine Thesen wollte ich daher als Einleitung benutzen, aber das ging gehörig in die Hose. Wohl etwas überheblich hatte ich gedacht: „Hast du ja alles gelesen, wird schon klappen.“ Wirklich vorbereitet hatte ich nichts, und als ich dann auch noch etwas unsanft von einem Teilnehmer darauf gestoßen wurde, brachte mich das zusätzlich aus dem Tritt und ich suchte die Flucht in einer abrupten Abkürzung des Gesagten. Lerneffekt für mich: Ich kann nicht spontan und schick fremde Inhalte wiedergeben. Dran arbeiten.

LdL in der betrieblichen Weiterbildung?

Ich möchte bei meiner Doktorarbeit versuchen, keine theorieüberladene praxisferne Arbeit abzuliefern und habe daher als frühzeitige Rückkopplung ganz kurz LdL und meine Idee vorgestellt, das Konzept auf seine Tauglichkeit für die betriebliche Weiterbildung zu untersuchen. Das hatte ich vorbereitet bzw. da stecke ich tief im Thema drin, hier hatte ich das oben geschilderte Problem nicht.

Der empirische Teil steht noch aus, aber leider wurde meine Skepsis bestätigt, die sich zwischenzeitlich bei mir eingestellt hat. Auch die Praktiker sahen in LdL trotz einiger organisatorischer Klärungswürdigkeiten ein schönes Konzept, um nicht nur Fachwissen aufzubauen, sondern auch die vielbeschworenen sozialen Fähigkeiten zu trainieren. Der Unternehmenskontext scheint aber schlicht keinen Raum dafür zu lassen: Zeit und Geld setzen Grenzen. Jetzt könnte man beschwichtigen und sagen, Unternehmen müssten aber künftig mehr Ressourcen für die Professionalisierung der Mitarbeiter bereitstellen, oder wenn diese und jene in der Realität eher unwahrscheinlichen Voraussetzungen gälten, würde es klappen. Aber das machte eher den Eindruck: „Wenn jetzt die Luftfeuchtigkeit im Raum anders wäre, hätte das Experiment aber geklappt.“ Oder: „Das Modell gilt, wenn man vom homo oeconomicus ausgeht.“

Bei mir stellt sich daher gerade ganz schön Frust ein. Natürlich hätte ich gerne einen potenziellen Nutzen für die Weiterbildung herausgestellt, etwas beigetragen. Es sieht allerdings gerade eher so aus, als ob ich nun darauf hinarbeite, meine ursprüngliche Idee selbst zu zerlegen. Das tut weh. Erkenntnistheoretisch mag das einen Wert haben, die Falsifizierung einer (wenn auch unbedeutenden) These ist ja erwünscht, aber ich erschaffe nichts. Forschung hat hier etwas Zerstörerisches an sich. Wenn man dann auch noch künstlich unter Zeitdruck gesetzt wird, der die Qualität der Arbeit zwangsläufig beeinflussen wird, macht das keinen Spaß. Wenn man dann auch noch in dem Umfeld nicht glücklich ist, in das man tagein tagaus eingebunden ist, wird die Arbeit zur Tortur. Ich weiß wirklich gerade nicht, ob ich das tatsächlich will.

Soziale Fähigkeiten online lernen?

Die für mich spannendste Session wurde von Monika König und Michael Simon geleitet. Sie kreiste um die Frage, ob man online soziale Fähigkeiten erlernen könne. Eine sehr schöne Zusammenfassung gibt es schon bei Torsten Larbig. Ich ergänze daher nur ein paar Gedanken von meiner Seite.

Es ist sicher nur schwer möglich, ausschließlich per Online-Tests oder künstlich online arrangierten Sachverhalt das Handwerkszeug dafür zu bekommen, um in einer Situation von Angesicht von Angesicht beispielsweise einen Konflikt zu schlichten. In virtuellen Welten wäre zwar schon sehr viel möglich, das Einfangen und hochaufgelöste Abbilden von Gestik und Mimik, usw., aber das kann niemand bezahlen.

Ich glaube aber einerseits schon, dass man die Anlagen für solche Fähigkeiten trainieren kann, die abseits des Fachwissens wichtig sein können. Arbeitet man etwa an der Wikipedia mit, kann es  zu hitzigen Diskussionen kommen, bei der die eigene Durchsetzungsstärke auf dem Prüfstand steht. Wirkt man an Open-Source-Projekten mit, möchte man sinnstiftend arbeiten und diesen Sinn auch anderen vermitteln, usw.

Andererseits könnte man den konkreten Anwendungsfall berücksichtigen. Wenn sich die Arbeitswelt wandelt und man immer mehr mit Personen zusammenarbeiten muss, denen man nicht ständig gegenübersteht, wenn man beispielsweise weltweit verteilte Teams führen soll, dann kann man das vielleicht online sogar besser erlernen. Es gibt dazu ein zwar schon in die Tage gekommenes, aber immer noch interessantes Diskussionspapier von IBM. Darin wird gefragt, ob Online-Rollenspieler möglicherweise viel besser verteilte Teams über das Internet leiten und führen können, schließlich sprechen sie sich tagtäglich mit anderen ab, ohne sie zu sehen, sie organisieren Quests und motivieren andere Spieler zur Hilfe, usw.

BarCamps in der betrieblichen Weiterbildung?

Felix Hartmann moderierte eine Session zu der Frage, ob BarCamps auch eine geeignete Lernumgebung für Unternehmen sein könnten. Wo gibt es vielleicht schon etwas in der Art? Wozu könnte ein BarCamp beitragen? Was müsste vielleicht modifiziert werden? Kurzzusammenfassung: Ähnliches gibt es schon vereinzelt, zur Ideengewinnung und Vernetzung könnte es etwas beitragen (nicht zur gezielten Fortbildung) und man müsste bestimmt die Du-Sie-Frage behandeln.

Zertifizierung

Die erste Session, die ich besuchte, drehte sich um das Thema Zertifizierung. Hier habe ich den Notizen von Torsten Larbig aber nichts hinzuzufügen.

Einleitung

Wie bekomme ich nun den Bogen mit der Einleitung am Ende? Vielleicht so: nach dem BarCamp ist vor dem BarCamp. Wir sehen uns doch in Bielefeld?

13 thoughts on “Neue Lust, neuer Frust

  1. Auch wenn es sich frustig anfühlt – solche Frusts sind im Rahmen einer Diss auch wichtig, weil man aus ihnen nur gestärkt hevorgehen kann. Selbst wenn „reines LdL“ in der Form in betrieblichen Weiterbildungen nicht umsetzbar zu sein scheint, dann können doch vielleicht einzelne Elemente umgesetzt werden. Nimm doch z.B. mal unser Aktives Plenum von gestern: Hat doch wunderbar funktioniert, und das praktisch ohne Vorbereitungszeit. Ich kann mir vorstellen, dass man viele LdL-Elemente umsetzen kann, selbst wenn man es nicht – wie in der Schule – als grundsätzliches Unterrichtsprinzip einsetzt.

  2. Hi Oliver,
    da waren Du und der Herr Larbig mal wieder schneller als ich, mit euren Resumés, … ich arbeite noch dran ;)
    Dass LdL so gar nicht in der betrieblichen Weiterbildung möglich sein soll…. mag ich jetzt noch nicht so akzeptieren! …
    Allerdings habe ich schon die geäußerten Bedenken – wie Du – insbesondere in punkto Zeit und Geld (was ja im Unternehmenskontext angeblich austauschbar ist und deshabl beides recht wertvoll) wahrgenommen.

    Die beiden Fragen die sich mir an dieser Stelle stellen:
    1. Wie findet man ein Unternehmen, dass – einfach testweise – die Zeit und das Geld mal investiert?
    2. Ist es empirisch nachweisbar, dass „unterm Strich“ bei gleicher Thematik und gleicher eingesetzter Zeit bei der traditionellen Form „mehr“ rauskommt als bei LdL?

    Dein Frust macht Lust (zum Weiterdenken), zumindest

    der mons7

    1. Hallo, Monika!

      Gar nicht habe ich gar nicht gemeint :-) Wenn man die Ressourcen zur Verfügung stellte, ginge das sicher. Weiß nicht, ob das noch aktuell ist, aber bei Google hat(te) man als Mitarbeiter 20 Prozent seiner Arbeitszeit für eigene Projekte frei, die man ggf. dann nur zuerst Google zur Verfügung stellen muss. Maps ist etwa so entstanden. Sagen wir also mal, das wären grob über den Daumen gepeilt 50 Tage pro Jahr. Würde man davon nur die Hälfte für Weiterbildung verwenden, sähe die Situation schon wieder anders aus.

      zu 1) Vermutlich fragen und überzeugen :-) Erfordert einen hohen AQ, da mangelt es bei mir leider. Und organisatorisch brauchst du dann jemanden, der sich als Testlehrender sowohl mit dem besonderen Thema und LdL auskennt, mehrere Durchläufe, die ja jeweils Zeit kosten, usw. Als größeres Forschungsprojekt vielleicht denkbar, aber für meine Diss habe ich das aus diesen und anderen Gründen verworfen.

      zu 2) Erstens: Definiere „mehr“. Das hängt ja ganz davon ab, wie die Zielfunktion aussieht und wie die Nebenbedingungen dazu. Und dann fällt mir dazu noch ein Blogbeitrag von Christian ein.

  3. Pingback: #clc11 – eine kleine Nachlese | Lernspielwiese
  4. Ja, lieber Oliver, da stellt Du mal wieder die richtige und schwierigste (Rück-)Frage an und für mich!
    Wird nach einem bestimmten (Lehr-)Plan gelehrt, geht man i.d.R. davon aus, dass das was auf der Agenda stand auch irgendwie beim Studierenden ankommt. Mit „mehr“ meine ich, ließe man zwei Gruppen (Gruppe 1 traditionelle Vorlesung, Gruppe 2 Veranstaltung via LdL organisiert) von Studierenden sagen wir ein halbes Jahr nach der Veranstaltung einen Besinnungsaufsatz zum Thema der fraglichen Veranstaltung schreiben, würden sich die Aufsätze unterscheiden in punkto
    1. Umfang (mehr Text)
    2. Inhalt (mehr im Sinne von reichhaltiger)
    3. Art (mehr im Sinne von Verständnis verglichen mit State of the Art zum Thema)?
    Werde jetzt nochmals beim Vorgeschlagenen Beitrag von Christian nachlesen (und dann weiter nachdenken) gehen :)

    Ein schönes Restwochenende wünscht Dir
    m

    1. @Monika
      Du fragst also eher nach dem „klassischen“ Lerneffekt, nicht nach zusätzlichen „Nebensächlichkeiten“. Wenn in dem halben Jahr LdL intensiv genutzt werden kann, könnte ich mir durchaus spürbare Effekte vorstellen. Speziell für das Schreiben von Aufsätzen kann das aber sicher Torsten Larbig besser beurteilen.

      Was die Vergleichsmessung angeht, bist du bestimmt bei Christian fündig geworden.

      @alle
      Möglicherweise klingt das mit meinem Frust im Beitrag dramatischer als gewollt. Dass das Ergebnis vermutlich nicht so ausfallen wird wie zunächst angenommen oder erhofft, ist doch ganz normal. Das ist zwar nicht schön, aber dann habe ich mich halt geirrt. Möge der Wissenschaftsbetrieb davon halten, was er will.

      Was lässt mich also so missmutig werden? Von den Gesamtumständen, unter denen ich arbeite, bin ich halt wenig begeistert. Wenn dann noch etwas wegfällt, was bisher Auftrieb gegeben hat, passiert halt so etwas.

  5. Die Überlegenheit einer Lehrmethode mithilfe von zwei Gruppen (einer mit LdL-Einsatz einer ohne) lässt sich nur sehr schwer (bzw. gar nicht) empirisch nachweisen. Man müsste dafür sorgen, dass beide Gruppen aus absolut gleich starken Studenten zusammengesetzt sind, dass die Stunden parallel erteilt werden (zur selben Tageszeit, also nicht erste Stunde in der früh bei einer Gruppe, bei der anderen 6. Stunde) und vom selben Lehrer! Und auch da werden immer wieder Kritiker Unterschiede zwischen den Ausgangsbedingungen für die zwei Gruppe feststellen. Daher habe ich in den 30 Jahren trotz permanenten Anfragen nach Kontrolluntersuchungen immer darauf verzichtet, abgesehen davon, dass ich anders als mit LdL gar nicht unterrichen will, also nicht in Frage kommen, um die Kontrollgruppe zu übernehmen. Schwierig, schwierig! Aber trotzdem haben einige Lehrer solche Exmperimente durchgeführt, z.B. Margret Ruep, die derzeitige Ministerialdirektorin im Schulministerium in BW: http://www.ku-eichstaett.de/Forschung/forschungsprojekte/ldl/

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