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Schaut nicht auf meinen Finger, der euch die Richtung weist, sondern schaut auf das Kind

Gestern habe ich endlich mal wieder meinen Das-Lese-Ich-Noch-Bücherstapel verkleinert: An der Reihe war „Maria Montessori – Leben und Werk“. Außer dass die Dame dem Bereich Reformpädagogik zuzurechnen ist, wusste ich nicht viel, und umso spannender war das Lesen.

Beeindruckend finde ich zunächst, wie kämpferisch Montessori ihre Ziele verfolgt und den Widerständen getrotzt hat, die ihr entgegengesetzt wurden. Sie studierte unter geradezu schikanösen Bedingungen Medizin – bis dahin eine reine Männerdomäne – und erhielt als erste Frau in Italien den Doktorgrad in dieser Disziplin.
Sie arbeitete anschließend in der Kinderabteilung einer Klinik und hatte in „Irrenhäusern“ zu tun, wo sie nach und nach feststellte, dass die vermeintlich zurückgebliebenen Kinder keine medizinische Hilfe benötigten, sondern erzieherische. Fortan beschäftigte sie sich neben ihrem eigentlichen Job mit Pädagogik und entwickelte das nach ihr benannte Konzept.

Als dessen Kern würde ich sehen: Kinder können viel mehr, als man ihnen gemeinhin zutraut. Sie sind von Natur aus neugierig, wollen ihre Umwelt erforschen und können ihr Lernen auch selbst steuern – wenn man sie lässt und einen richtigen Rahmen schafft. Das hat mich sehr an Forschendes Lernen erinnert.

An anderer Stelle sehe ich Bezugspunkte zur Themenzentrierten Interaktion. Auch dort wird festgestellt, dass der Mensch stets in Wechselwirkung zu anderen Menschen, im weitesten Sinne sogar zur gesamten Menschheit steht und sich dessen bei seinen Handlungen bewusst sein sollte. Angestrebt wird letztlich bei beiden ein ganzheitliches, lebendiges Lernen, bei dem nicht die Lehrenden im Mittelpunkt stehen, sondern die Lernenden: „Schaut nicht auf meinen Finger, der euch die Richtung weist, sondern schaut auf das Kind.“

Nach Montessori müssten Lehrende die Kinder viel stärker beobachten um herauszufinden, wie sie jeden individuell fördern können – denn jedes Kind ist anders. Dafür biete beispielsweise die Freiarbeit die entsprechende Gelegenheit. Das wiederum hat mich an LdL erinnert. Dessen Entwickler Jean-Pol Martin betont, dass die Lehrenden die Schülerinnen und Schüler aufmerksam beobachten müssen, um gezielt auf sie eingehen zu können.

Insgesamt eine spannende Lektüre, wenngleich ich natürlich erst an der Oberfläche gekratzt habe. Aber das Buch „Kinder sind anders“ von Maria Montessori wartet schon in meinem Stapel…

Wie mich Gestaltung von Lehre zum Flow bringt

Gerade eben hat eine Gruppe aus unserem Seminar „Gemeinsam einsam, oder wie?“ zwei Stunden lang ihr Thema vorgestellt: „Gruppen führen mit Themenzentrierter Interaktion“. Ich bin schwer beeindruckt.

1. Das Seminar

Nachdem ich vor einigen Monaten einen Vortrag von Ludwig Huber über „Forschendes Lernen“ besucht hatte, versuchte ich, die dazu gehörenden Gedanken umzusetzen: Die Studierenden sind an den wesentlichen Phasen des Forschungsvorhabens (die Seminararbeit) aktiv beteiligt, das heißt sie können beispielsweise (mit)bestimmen, an welchem konkreten Fragen sie arbeiten, welche Methoden sie anwenden und wie sie ihre Ergebnisse prüfen und darstellen.

2. Die Vorgeschichte

Eine der Gruppen beschäftigt sich mit dem Thema „Themenzentrierte Interaktion“ (TZI) nach Ruth Cohn und fragten ziemlich schnell, ob sie für ihre Arbeit auch Interviews mit Experten dazu führen dürften. Natürlich durften sie, und so organisierten sie ein Treffen mit einem Vertreter des Ruth-Cohn-Instituts. Das brachte sie auf die Idee, TZI auch in der Praxis zu erproben und die Ergebnisse für Ihre Arbeit zu nutzen – quasi Aktionsforschung. Da hatte ich natürlich auch keine Einwände, und trommelte an einem extra Termin die Teilnehmer des Kurses zusammen.

3. Die Umsetzung

Bei der Gestaltung des Termins überließ ich der TZI-Gruppe freie Hand, sie arbeitete die Veranstaltung komplett selbst aus und folgte dabei dem, was sie sich theoretisch schon selbst angeeignet hatte. Ich wurde einfach als ganz normaler Teilnehmer eingebunden – und wurde total verblüfft.

Die vier Faktoren der TZI

Die vier Faktoren der TZI

Die Gruppe hatte – ohne es explizit zu wissen – sehr viel von dem genutzt, was man sonst in Didaktikfortbildungen lernt: Didaktischer Dreischritt, Kennenlernphase, Wechsel von Frontalphasen und Gruppenarbeitsphasen, „Energizing“ nach einer Pause, Feedbackrunde, Teamteaching, … Das alles kam ganz automatisch, indem sie ihre Veranstaltung an der TZI ausgerichtet haben, angefangen bei der Benennung der Veranstaltung bis hin zum“ GLOBE“, dem Umfeld: Gerade findet das Fußballspiel Deutschland gegen Serbien statt, und da musste man bei der Zeitplanung natürlich Rücksicht drauf nehmen und darauf hinweisen, dass man pünktlich fertig wird, usw. Die noch im Entstehen begriffene Ausarbeitung der Gruppe kann man übrigens im Internet öffentlich einsehen.

Die ganze Veranstaltung hat mich sehr an LdL erinnert, auch wenn ich selbst gar nicht als „Regisseur“ dabei war sondern als „Mitspieler“; das liegt wahrscheinlich am humanistischen Hintergrund von TZI und LdL. Die Studierenden hatten ein spannendes Thema, das sie gepackt und motiviert hat – die „Weltverbesserungsidee“ bringt TZI auch gleich mit. Die Gruppe hat heute nicht nur ihre Inhalte rübergebracht, sondern sich auch überlegt, wie diese am besten transportiert werden können. Und dann haben sie einfach losgelegt, und wie!!! Ihre Kommilitionen fanden es auch super und meinten, sie hätten mehr gelernt als in anderen Veranstaltungen.

Fazit: Ich kann nicht sagen, woran es lag: War die Gruppe vorher schon so fit? Hat die Gestaltung des Seminars dies erst hervorgebracht? Lag es am Thema? Ich weiß es nicht. Aber das, was ich gerade miterleben durfte, fand ich einfach nur großartig!

Meine ersten Gehversuche mit Lernen durch Lehren – Teil 3

Dies ist der dritte und letzte Teil meiner Mini-Reihe „Meine ersten Gehversuche mit Lernen durch Lehren“ (Teil 1, Teil2): Am vergangenen Freitag war es soweit, LdL in meiner Vorlesung „Online-Marketing“.

Um den Studierenden (und mir selbst auch) ein wenig Druck zu nehmen, hatte ich im Vorfeld angekündigt, dass die Inhalte der LdL-Sitzungen nicht klausurrelevant sein würden. Das führte übrigens nicht zu Teilnehmerschwund, wie manch einer vielleicht mutmaßen könnte; die Vorlesung war gut besucht.

Es lief ziemlich gut. Wie bei meinen kurzen Testläufen zuvor war auch hier bedeutend mehr studentische Aktivität zu beobachten als in einer normalen Vorlesung. Bei der ersten Sitzung entwickelten sich Diskussionen untereinander und Fragen wurden gegenseitig beantwortet, ohne dass ich groß steuern musste. Bei der nächsten hatte ich deutlich mehr Mühe: Die Studierenden, allesamt Wirtschaftsjuristen, kamen alsbald zu rechtlichen Fragestellungen, die mein Wissen überforderten. Es war daher überaus schwierig, hier bei offenen Fragen den passenden Input zu geben. Überhaupt ist es gar nicht einfach, den richtigen Zeitpunkt für das Eingreifen abzupassen – zu früh, und man verhindert Emergenz; zu spät, und es geht zu langsam voran: „Regie führen“ ist schwieriger als selbst „auf der Bühne zu stehen“. In jedem Fall muss man hinterher die Sitzung noch einmal zusammenfassen und den roten Faden nachträglich spinnen, da der explorative Charakter zunächst eher Unklarheit erzeugt.

Die Studierenden fanden die ganze Situation lockerer, und man traue sich eher, etwas zu sagen – es ist einfach etwas anderes, wenn nicht der Dozent vorne steht, egal wie offen er ist. Besonders schön fand ich, dass sie von sich aus sagten, LdL und aktives Plenum gefielen ihnen besser als normale Vorlesungen. Berechtigte Kritik an mir: Ich hätte früher damit anfangen sollen und nicht mitten im Semester; das hätte für Irritationen gesorgt.

Meine ersten Schritte in LdL habe ich hinter mir, die nächsten folgen mit Gewissheit!