In der Süddeutschen Zeitung erschien gestern der Artikel „Der Wert der Wissenschaft„, der nun auch online verfügbar ist. Der Titel ist allerdings etwas irreführend. Der Beitrag beschäftigt sich nämlich nicht mit dem Wert der Wissenschaft an sich, sondern anlässlich einer Tagung mit der Beurteilung der Leistung von ProfessorInnen. Dabei wird zum einen das Thema Rankings angeschnitten, das in der Forschungswelt ja geliebt-gehasst wird; überspitzt formuliert: „Alle finden es doof, spielen aber mit und lechzen nach den Ergebnissen, um sich zu vergleichen.“ Der Text geht aber auch kurz auf die Evaluation von Lehrveranstaltung ein. Es wird hier beispielsweise gefragt, ob die Rückmeldungen von Studierenden nicht auch die Höhe der Gehaltszulagen beeinflussen sollten. Angesprochen wurde das auf der Tagung allerdings nicht:
Studenten, die über den Gehaltszettel ihres Professors mitentscheiden – auf diesen kühnen Gedanken wollten sich die Wissenschaftler auf der Münchner Tagung ohnehin nicht einlassen.
Stattdessen werden aber einige Punkte angesprochen, die bei studentischer Evaluation hakelig sind. Ich will hier bloß festhalten, welche Probleme ich bei der Evaluationspraxis kenne, so wie ich sie an der TU Braunschweig kennengelernt habe.
- Die Evaluationen als Feedbackinstrument kommen zu spät. Rückmeldungen sollten möglichst unmittelbar erfolgen, damit der Feedbacknehmer mit der Kritik auch etwas anfangen kann. Kommt sie zu spät, kann womöglich der Bezug nicht mehr hergestellt werden. Möglicherweise erinnert sich ein Studierender besonders an etwas, was in einer der ersten Veranstaltungen gut oder schlecht gelaufen ist. Das hält er oder sie in dem meist ohnehin knapp bemessenen Freitextfeld als Stichwort fest, und damit kann der Lehrende am Ende des Semesters womöglich gar nichts mehr anfangen. Daraus wirklich etwas zu lernen, ist schwierig.
- Die Evaluation kommt für eine offene Auseinandersetzung mit den Studierenden zu spät. Die meisten Lehrenden, die ich kennengelernt habe, lassen sich an einem der allerletzten Veranstaltungstermine evaluieren. Die Bögen (hier Papier, nicht online) können dann von der zuständigen Stelle nicht so zügig bearbeitet werden, dass sie noch zusammen mit den Studierenden diskutiert werden könnten. Abgesehen davon: Ich habe selbst nie erlebt, dass das überhaupt ein Lehrender getan hätte. Warum? Kein Interesse? Gefühlt keine Zeit? Ich weiß es nicht.
- Die Studierenden sind genervt. Auch das hängt damit zusammen, dass zum Ende des Semesters alle Veranstaltungen beurteilt werden sollen. Es ballt sich schlicht alles. Zudem sind die Bögen recht lang, so dass dem Ausfüllen genügend Zeit eingeräumt werden müsste. Ich weiß aber selbst noch aus meiner Zeit als Studi, dass das zack zack gehen sollte und wir auch bloß zügig Kreuzchen gesetzt haben, ohne groß darüber nachzudenken.
- Die Evaluation hat nur einen Messzeitpunkt. Die Studierenden werden nur zu einem Zeitpunkt befragt. Eine Entwicklung ist so innerhalb der einen Veranstaltung gar nicht feststellbar. Bei der nächsten Evaluation im nächsten Semester sind dann die Rahmenbedingungen vielleicht wieder andere, sicher aber die TeilnehmerInnen. Lehrende könnten natürlich auch ohne die formale Evaluation in regelmäßigen Abständen Feedback einholen, um ihre Kurse zu verbessern. Das habe ich aber selbst auch nie erlebt.
- Die Rückmeldungen stoßen auf taube Ohren – oder verbesserungswürdige Kommunikation. Einige Kritikpunkte kommen über die Jahre immer wieder. Es ändert sich aber nichts. Das allein sagt erst einmal gar nichts, denn es kann ja durchaus „unbeliebte Dinge“ geben, auf die man Wert legt. Das sollte dann aber beispielsweise zu Beginn des Semesters auch klar thematisiert werden.
- Die Ergebnisse werden falsch zugerechnet. Zumindest in meiner aktiven Lehrstuhlzeit stand oben auf der Auswertung nicht der Name des Lehrenden, der die Veranstaltung konzipiert und durchgeführt hat, sondern der des Profs als „Verantwortlichem“ (allenfalls unter Mitwirkung von XY). Das kann natürlich vorteilhaft sein, wenn man selbst eine grottige Veranstaltung hinlegt, aber im Zweifel bekommt man dann auch sein Fett weg. Andersherum können wissenschaftliche MitarbeiterInnen gute eigene Leistungen gar nicht ausweisen.
- Die Ergebnisse sind nicht (veranstaltungs-/hochschul-)öffentlich. Die wenigsten Lehrenden machen die Evaluationsergebnisse frei zugänglich, schon gar nicht zentral. Das mag für viele gar nicht so relevant sein, mir stößt das als Intransparenz aber sauer auf.
- Auferlegte Fortbildungsmaßnahmen für schlecht Bewertete bringen vermutlich nichts. Ich weiß von einem konkreten Fall, bei dem ein Lehrender nach schlechten Ergebnissen zu einer Fortbildungsveranstaltung zwangsverdonnert wurde, einer „Methodenwerkstatt“. Ich kenne aber auch die Eindrücke des Lehrenden davon und die Konsequenzen, die er daraus gezogen hat. Geändert hat er… nichts.
Was sind eure Ansichten zu Evaluationen, so wie ihr sie an der Hochschule kennengelernt habt? Wie wird anderswo damit umgegangen? Was ließe sich wie besser machen?
Mein größtes Problem mit Evaluationen oben ist deren statischer Charakter. Was ich als Lehrender brauche ist der Dialog. Der beginnt schon vor der ersten Sitzung und endet lange nach der letzten Seminarsitzung. Knackpunkt ist : Wie kann ich den Studierenden vermitteln, dass sie ungestraft offen Feedback geben dürfen? Das ist nicht Teil der Hochschulkultur. Wie schaffe ich es, dass die Seminarzeit als Zeit wahrgenommen werden kann, die gemeinsam von den Studierenden und dem Lehrenden gestaltet werden kann und soll? Nicht so einfach wie es klingt. Lehrevaluationen (die Bögen der TUBS) geben mir keinerlei Aufschluss darüber, wie gut mir das gelungen ist. Lehrevaluation ist eher ein Instrument zur Verwaltung (LV wurde evaluiert und den Anforderungen genüge getan) und für den Vorgesetzten. Für meine eigene Lehre ziehe ich aus den Dialogen deutlich mehr.
Unterschreibe ich alles!
Die Evaluationsabfragen sind auch bei mir im Rahmen des Fernstudiums immer ein Reizthema. Für mich kamen die Abfragen allerdings immer zu früh, da sie in den Modulen mit Klausurprüfung meist (nein immer) vor Ergebnisbekanntgabe der Klausur ausgefüllt sein sollten. Das hat mich sehr geärgert, denn ich wollte eine Semesterlehrveranstaltung nicht abschließend bewerten, ohne die Bewertungsmaßstäbe für die abschließende Klausur mit in die Evaluation einfließen zu lassen. Auf eine Anfrage an die Qualitätsabteilung Lehre der FU, schrieb man mir den meisten Studenten sei das nicht wichtig. Wenn man nur eine Bewertung für Lehrqualität pro Semester abgeben kann finde ich das eigentlich schon sehr wichtig. Noch besser wäre allerdings ein zeitnahes Feedback an die Lehrenden direkt nach einzelnen Veranstaltungen. Dabei ist es meiner Meinung nach am effektivsten, wenn der Lehrende selbst Feedback von seinen Studenten einfordert und sich dann auch aus eigenem Antrieb mit diesem Feedback selbst reflektiert. Modulevaluationen über eine Stabstelle „Qualität“ haben eher statistischen (und auch statischen) Charakter. Also mein Aufruf an die Lehrenden: Fordert Feedback von euren Studenten ein, das wird die Studenten motivieren, sie fühlen sich ernstgenommen und das Engagement in folgenden Lehrveranstaltungen wird ansteigen.
Kann auch dir zustimmen. Habe vor einer Weile hier im Blog auch auf einer der besten Methoden der Hochschuldidaktik verwiesen: fragen.
Feedback kommt auch ohne formale Evaluation aus. Wenn sie aber aus welchem Grund auch immer durchgeführt werden soll, dann wenigstens nicht lieblos.
Zunächst einmal finde ich es sehr gut, dass Lehrveranstaltungen überhaupt evaluiert werden! Das gab es während meiner Studienzeiten nämlich gar nicht. Wenn sich dabei nun Mängel herausstellen, muss den Verantwortlichen doch die Möglichkeit der Verbesserung gegeben werden. Sicher gibt es auf den Fragebögen freie Felder, in die auch die Meinung über das Vorgehen an sich eingetragen werden kann. Unzufriedenheit ist ein starker Motor für Veränderungen und für jedes „Fehlverhalten“ gibt es Ursachen. Wenn mich also als Lehrender die Meinung der Studierenden interessiert, dann werde ich sie auch herausfinden und brauche mich nicht über andere Arbeitsweisen ärgern.
@Susanne Kannenberg Meinungsäußerung ohne Angst vor Strafe funktioniert z. B. durch Vertrauen. Wenn das Vertrauen noch nicht ausreichend ausgebildet ist, hilft auf jeden Fall Anonymität bei der Rückmeldung.
Was den Umgang mit den Ergebnisse betrifft, so gefällt mir das folgende Beispiel sehr gut: http://www.uni-r.de/philosophie-kunst-geschichte-gesellschaft/musikpaedagogik/mitarbeiter/puffer/index.html
@Luci: Klar, nur wir sollten nicht nur überlegen, wie wir das Evaluieren besser machen, sondern dass wir auf die Art und Weise evaluieren müssen wie wir es tun auf ein zentrales Problem hinweist: die Lehr-Lernkultur an Hochschulen. Das müsste man angehen. Der LV-Evaluation fiele dann nämlich nur noch die Rolle zu anonym zurückzumelden, wie kooperationsbereit der Lehrende ist und ob er die Anregungen der Studierenden ernst nimmt.
Nun ist es ja so, dass auch Feedback geben und annehmen, erlernt werden muss. Selbst positive Rückmeldungen können zu Schwierigkeiten führen, wenn Studierende und Lehrende an diesen Umgang nicht gewöhnt sind. Es ist also vor allem den Studienanfängern zunächst eine Zeit der Umstellung von der schulischen Sozialisation auf die Sozialisation an der Hochschule einzuräumen. Lehrende dürfen ihre Erwartungen in diesem Fall nicht zu hoch ansetzen und Ungeduld macht Euch die Sache nicht leichter. Aus meiner Sicht könnt Ihr das System der Evaluation, so wie es im Beitrag beschrieben ist, nicht allein ändern. Aber ganz gewiss ist es Euch möglich, Eure Vorstellungen von guter Lehre und Feedback gemeinsam mit den Studierenden in Euren eigenen Lehrveranstaltungen umzusetzen. Damit habt Ihr schon einen großen Beitrag zur Verbesserung der Situation für alle geleistet!