Was Wirtschaftsinformatik und frei verfügbares Lernmaterial miteinander zu tun haben (können)

In Ausgabe 3/2014 der Zeitschrift Wirtschaftsinformatik und Management ist im Juni ein Beitrag von mir veröffentlicht worden, der dort aus Layoutgründen „Freies Lernmaterial und Wirtschaftsinformatik“ heißt. Wer sich mit OER bereits auskennt, wird darin kaum Neues finden, da der Artikel als Einstieg speziell für WirtschaftsinformatikerInnen gedacht ist. Passend zum Thema stelle ich ihn hier im „Rohformat“ zum Lesen zur Verfügung – danke an den Chefredakteur Peter Pagel!


 

OER quer gedacht: Was Wirtschaftsinformatik und frei verfügbares Lernmaterial miteinander zu tun haben (können)

Kostenlose Unterrichtsmaterialien in Schule, Hochschule und Weiterbildung dürften viele Menschen eher mit Pädagogik oder Politik in Verbindung bringen als mit Wirtschaftsinformatik. Der Artikel zeigt, weshalb das Thema aber gerade von Menschen an der Schnittstelle von Technik und Betriebswirtschaft profitieren kann und wieso es für WirtschaftsinformatikerInnen ein interessantes Betätigungsfeld bietet.

In der Softwarewelt tobte lange Zeit ein Streit zwischen “offen” und “geschlossen”. Vertreter kommerziell vertriebener Programme verbuchten dabei etwa die klare Lieferantenhaftung auf ihrem Konto, die Open-Source-Bewegung hielt beispielsweise mit Kosteneinsparungen dagegen. Auch wenn vereinzelt noch Scharmützel ausgefochten werden: “offen” hat gewonnen. Trotz gewisser Nachteile überwiegen die Vorzüge wie Herstellerunabhängigkeit oder die Chance, Programme flexibel an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Anbieter, die keine Produkte mit frei zugänglichem Quelltext vertreiben, heben dann immerhin hervor, dass ihre Programme offene Standards unterstützen oder offene Schnittstellen anbieten.

Im Bildungsbereich ist die Diskussion noch im Gang, scheint sich aber in eine ähnliche Richtung zu entwickeln. Seit gut zehn Jahren wird verstärkt darüber nachgedacht, wie auch das Lehren und Lernen von offenen Konzepten profitierten kann. Das Schlagwort lautet hier Open Educational Resources (OER). Die Bildungsorganisation UNESCO prägte eine der am häufigsten herangezogenen Definitionen. Ihr entsprechend gelten OER als “Lehr-, Lern- und Forschungsressourcen in Form jeden Mediums, digital oder anderweitig, die gemeinfrei sind oder unter einer offenen Lizenz veröffentlicht wurden, welche den kostenlosen Zugang sowie die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Andere ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen erlaubt” [1, S. 1].

Dahinter steckt die Idee, den Zugang zu Bildung für möglichst viele Menschen (über das Internet) zu öffnen. Entsprechende Texte, Tonaufnahmen, Grafiken, Videos oder gar ganze Kurse sollen frei erhältlich sein. Besonders solche Personen, die nur über geringe finanzielle Mittel verfügen, könnten davon profitieren. Gleichzeitig versprechen sich die Befürworter von OER, die Qualität von Lehrmaterialien zu verbessern, da sie prinzipiell von vielen Menschen weiterentwickelt werden können. Letztlich soll es durch das Bündeln von Ressourcen auch möglich sein, Kosten zu senken. Auch in Deutschland wurde inzwischen erkannt, welche Chancen der Ansatz bietet. So heißt es als Absichtserklärung im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung: “Schulbücher und Lehrmaterial auch an Hochschulen sollen, soweit möglich, frei zugänglich sein, die Verwendung freier Lizenzen und Formate ausgebaut werden” [2, S. 30].

Die Tragweite geht indes über diesen engen Kontext hinaus. Schon vor einigen Jahren propagierte Gunter Dueck (damals Cheftechnologe von IBM Deutschland), freie Lerninhalte könnten zum einen die Bildung der gesamten Menschheit eine Stufe höher schrauben. Technische Entwicklungen im Bildungsbereich könnten zum anderen zu einem bedeutsamen Exportgut werden, da der Markt dafür weitgehend unbearbeitet sei. Es ginge aber weniger um das Erstellen und Bereitstellen von Lehr- und Lernmaterialien, sondern vielmehr darum, geeignete Infrastrukturen, Anwendungen und Dienstleistungen zu entwickeln und einzuführen [3] – ein Gebiet der Wirtschaftsinformatik. Auch wenn der Disziplin die genannten Funktionen oft nur in Unternehmen zugeschrieben werden und in der betrieblichen Weiterbildung auch zukommen, ist sie nicht auf dieses Wirkungsfeld beschränkt. Das Wirtschaftsinformatik-Urgestein Peter Mertens schreibt “seiner” Fachrichtung auch die Aufgabe zu, Vorschläge zu entwickeln, wie gesellschaftlich besonders wertvolle Anwendungssysteme aussehen müssen. Sie können beispielsweise dazu dienen, ältere Menschen bei ihren Alltagshandlungen zu unterstützen oder durch effizientere Logistik die Umweltbelastung zu senken [4, S. 37-38]. Mit entsprechenden Systeme ließe sich so nicht nur Geld verdienen, sondern auch ein sozialer Beitrag leisten. Mit diesem Gedenken im Hinterkopf kann das Thema OER auch für WirtschaftsinformatikerInnen interessant sein, wenn keine wirtschaftlichen Interessen verfolgt werden. Dabei tun sich zahlreiche Fragen auf.

Generischer OER-Prozess

Generischer OER-Prozess

Wie lassen sich beispielsweise Lehrende an Schulen und Hochschulen unterstützen, wenn sie freie Bildungsmaterialien nutzen und sich dazu austauschen möchten? Aber etwa auch: Auf welche Weise können OER in die Weiterbildung in Unternehmen integriert werden? Um diese Fragen besser beantworten zu können, lohnt sich zunächst ein allgemeiner Blick auf die Abläufe und Fallstricke bei der Arbeit mit freien Bildungsmaterialien. Daraus ergeben sich im Anschluss mehrere Punkte, bei denen das besondere Können von WirtschaftsinformatikerInnen gefragt sein kann.

OER erstellen

Zu den Aufgaben von Lehrenden gehört es, Materialien zu produzieren, die Lernenden beim Erwerb von Wissen unterstützen. Prinzipiell könnten diese Unterlagen auch ohne viel Aufwand online zur Verfügung gestellt werden. Je nach Verständnis von OER gilt es jedoch, bereits beim Erstellen von Unterlagen einige Dinge zu bedenken. Dieser Umstand rührt von unscharfen Bestimmungen des Begriffs her. Die zitierte Definition der UNESCO gibt beispielsweise keine konkrete Auskunft darüber, was unter “geringen Einschränkungen” bei der Bearbeitung und Weiterverbreitung zu verstehen ist. Einige OER-VerfechterInnen fassen dies sehr eng. Nach ihrem Verständnis sollten Software, Dateiformate und Standards, die bei der Erstellung von freien Bildungsmaterialien zum Einsatz kommen, durchweg kostenfrei zugänglich und unter einer freien Lizenz veröffentlicht sein. Nur dann sei halbwegs sicherzustellen, dass gerade finanzschwache Personenkreise OER möglichst vielfältig verwenden können.

Selbst wenn diese extreme Sichtweise nicht geteilt wird, sollte die Möglichkeit zur Nachbearbeitung durch andere nicht vergessen werden. Prinzipiell ist diese natürlich auch dann gegeben, wenn etwa ein Arbeitsblatt als PDF-Dokument bereitgestellt wird – Texte, Tabellen und Abbildungen lassen sich schließlich auch daraus extrahieren, um sie in einem anderen Kontext zu verwenden. Erheblich unkomplizierter wird es allerdings, wenn zusätzlich die Ausgangsdateien vorliegen. Im Idealfall werden tatsächlich offene Standards genutzt oder solche Formate, die von möglichst vielen Programmen genutzt werden können: Text und Layout als OpenDocument-Datei, Tabellendaten im CSV-Format, Abbildungen als PNG- oder SVG-Grafiken, usw.

OER teilen

Wenngleich Lehrende Unterlagen für ihre Veranstaltungen erstellen, teilen sie ihre Ergebnisse eher selten mit anderen. Speziell an Hochschulen ist das Thema Offenheit ein schwieriges. Den eigenen Forschungsprozess für andere sichtbar(er) zu machen, ist für viele WissenschaftlerInnen undenkbar. Viel zu groß ist häufig die Befürchtung, jemand anderes könne “Ideen stehlen” und die Lorbeeren ernten. In der Lehre ist das nicht anders. Auch dort geht die Angst vor Ruhm- oder Kontrollverlust um.

Ein Beispiel dazu stammt aus dem Projekt teach4TU der Technischen Universität Braunschweig. Lehrende erhalten dort die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit anderen in Online-Portfolios zu teilen. In einer Befragung zu Nutzungshemmnissen der zugehörigen Plattform wurde angeführt, dass abgelegte Lehrideen oder Konzepte von anderen genutzt und ihnen zugeschrieben werden könnten. Ein weiteres Beispiel lieferte kürzlich Jörn Loviscach, Professor in Bielefeld. Er beschäftigt sich mit einer besonderen Form von Online-Kursen, den Massive Open Online Courses (MOOCs). Das “Open” steht auch bei diesen für einen freien Zugang. Loviscach erreichte dazu von einer Lehrperson die Frage, welche Möglichkeiten es gäbe, das Abspeichern und die unkontrollierte Verbreitung von MOOCs zu verhindern. In seinen Augen liegt hier gar eine “Pervertierung des Verständnisses von ‘offen’” [5] vor.

Neben diesen einzelnen Beispielen existieren jedoch auch gezielte Untersuchungen. Markus Deimann und Theo Bastiaens von der FernUniversität Hagen etwa gingen mittels einer Delphi-Studie der Frage nach, welche zentralen Hürden von OER im Lehrbetrieb bestehen. Die Befragten nannten aus ihrer persönlichen Arbeit fast ausnahmslos das folgende Problem: “Die Struktur des akademischen Lehr-/Lernbetriebs ist nicht auf das Teilen und die freie Wiedergabe von Inhalten ausgerichtet” [6, S. 11].

Zu diesen Schwierigkeiten kultureller Natur, die sich auch in Unternehmen finden können, gesellen sich dort weitere relevante Aspekte. Im Gegensatz zu öffentlich finanzierten Hochschulen sind Unternehmen darauf angewiesen, Gewinne zu erzielen. Es scheint daher zunächst widersinnig, Materialien frei zur Verfügung zu stellen, die zur Weiterbildung der eigenen MitarbeiterInnen erstellt wurden. Diese Unvereinbarkeit lässt sich erneut auf unklare Definitionen von OER zurückführen. Während die UNESCO von kostenlosem Zugang spricht, der von vielen mit “frei” gleichgesetzt wird, gibt es auch andere Auffassungen. Die Debatte ähnelt der um Open-Source-Software, die schon vor etlichen Jahren geführt wurde. Richard Stallman, Gründer des GNU-Projekts und einer der bekanntesten Verfechter von freier Software, prägte diesbezüglich den Ausspruch “‘free’ as in ‘free speech’, not as in ‘free beer’” [7]. Jeder dürfe Geld für freie Software verlangen, aber anderen nicht die Freiheit nehmen, sie zu nutzen, weiter zu verteilen, zu verändern und zu verbessern. In diesem Sinne kann auch ein kostenpflichtiges Online-Repositorium unter OER fallen, wenn die Gebühren nicht für die Inhalte erhoben werden, sondern für die Nutzung des Dienstes. In diesem Fall müssen die angebotenen Materialien allerdings unter einer freien Lizenz stehen [8].

Weit verbreitet sind für diesen Zweck die Creative-Commons-Lizenzen. Sie umfassen in Deutschland sechs verschiedene Standardverträge und lassen NutzerInnen viele Freiheiten, wenn sie entsprechend gekennzeichnete Werke nutzen, bearbeiten und weitergeben möchten. Gleichzeitig existieren zusätzlich zu den juristischen Fassungen “Übersetzungen” in allgemein verständlicher Sprache, so dass auch für Rechtsunkundige meist klar wird, unter welchen Bedingungen die Inhalte weiter verwendet werden können. Gleichwohl kann es schwierig werden, wenn Rechte Dritter betroffen sind, etwa bei Fotos von Personen. Auch ist vielen NutzerInnen unklar, wie zu verfahren ist, wenn Inhalte verschiedener Lizenztypen unterschiedlicher Versionsstände miteinander kombiniert werden.

OER finden

Selbst wenn viele Personen ihre erstellten Texte, Tonaufnahmen, Grafiken, Videos oder Kurse frei zur Verfügung stellen, ist es damit noch nicht getan. Die Inhalte müssen von Interessierten auch gefunden werden, und das ist mitunter nicht so einfach. Es existieren zwar einige Sammlungen für bestimmte Zielgruppen oder Fächer, grundsätzlich sind Inhalte allerdings weit verstreut. Suchmaschinen helfen hier nur bedingt. Zu umfangreich und unspezifisch sind oft die gelieferten Ergebnisse, die es zu sichten gilt. Jörn Loviscach rät aus diesem Grund gar, speziell beim Erstellen von MOOCs auf OER zu verzichten, obwohl er der Idee grundsätzlich positiv gegenüber steht. Zu lange dauere es, bis geeignetes Videomaterial gefunden sei.

Vor Zeitmangel stehen oft auch LehrerInnen. Dankbar greifen sie daher zum Beispiel Arbeitsblätter auf, die von Unternehmen, Vereinen oder Stiftungen zur Verfügung gestellt werden. Sie sind oft aufwändig produziert worden und machen Einiges her. Eine noch laufende Studie der Universität Augsburg untersucht das Phänomen, um herauszufinden, wie es um die Güte der Unterlagen bestellt ist. Sie kommt zu dem Zwischenergebnis, dass die teils sehr einseitigen Darstellungen nicht mit dem pädagogisch-didaktischen Prinzip zu vereinbaren sind, möglichst verschiedene Sichtweisen und konträre Positionen zu liefern [9, S. 2].

Auch wenn OER verfügbar und auffindbar sind, bleibt ihr didaktischer Wert zunächst offen. Es bedarf einer Qualitätssicherung. Ein übliches Verfahren sind Peer Reviews, die jedoch sehr aufwändig sind und oft nicht in bestehende Arbeitsabläufe eingebunden werden. Eine weitere Möglichkeit sind Empfehlungen. Tatsächlich sehen Lehrende die Tipps von KollegInnen als gute Entscheidungshilfe an [10, S. 12]. Dieser Ansatz funktioniert allerdings nur zufriedenstellend bei bereits bestehendem Vertrauen ins Gegenüber oder wenn möglichst viele Menschen die Inhalte unabhängig voneinander bewerten. Dies setzt wiederum voraus, dass sich viele daran beteiligen. Bei der bestehenden Zersplitterung von Plattformen mit geringer Beteiligung ist dies nicht ohne Weiteres gegeben.

OER nutzen

Die Fundstücke schließlich zu nutzen, scheint auf den ersten Blick trivial zu sein, doch auch hier lauern Fallstricke. Eine Stärke von OER ist es zwar, dass sie verändert und verbessert werden können, aber aus dieser Möglichkeit ergibt sich nicht zwingend, dass dies auch geschieht. Es ist nicht selbstverständlich, dass Änderungen für andere bereitgestellt werden. Auch können OER ihr volles Potenzial erst dann entfalten, wenn alle Lernenden über geeignete digitale Geräte verfügen und sicher damit umgehen können. Zusammen mit einem geeigneten Ökosystem und passender Infrastruktur, etwa WLAN an Schulen, wird dadurch nicht nur das Verteilen der Materialien deutlich vereinfacht. Es werden ebenfalls vielfältige kollaborative Lernszenarien denkbar, die auf freien Inhalten basieren. Daraus lassen sich komplette Kurse oder Lernumgebungen entwickeln, die jeder und jedem offen stehen. Sie bringen aber auch gewisse Folgerungen für alle Beteiligten mit sich, welche die eigene Rolle, die mediendidaktische Gestaltung und die Rahmenbedingungen betreffen. Spätestens an dieser Stelle muss kritisch gefragt werden, ob Lehrende und Lernende überhaupt über die notwendige Souveränität im Umgang mit OER verfügen [11]. Es muss beispielsweise davor gewarnt werden, die Bedeutung von Inhalten zu stark zu betonen und darüber andere Gestaltungsmöglichkeiten von Lehr- und Lernumgebungen zu vernachlässigen. Für jede/n zugängliche Online-Kurse werfen weitere Fragen auf. Lernen bedeutet schließlich auch, Fehler zu machen, um aus ihnen zu lernen. Es lässt sich fragen, welchen Einfluss die Öffnung der Veranstaltungen auf die Teilnehmenden hat, wenn dadurch Fehler sichtbar und dokumentiert werden.

Mögliche Handlungsfelder der Wirtschaftsinformatik

Für WirtschaftsinformatikerInnen ergeben sich aus den geschilderten Problemen zahlreiche Handlungsfelder. Wie zu Beginn bereits angedeutet, sind sie typische Ansprechpersonen, wenn es um die Gestaltung von Anwendungssystemen geht. Sie können hier einerseits ihr Verständnis technischer Sachverhalte einbringen. Gleichzeitig bringen sie aber auch die Fähigkeit mit, organisatorische Abläufe zu analysieren, zu verbessern und schließlich Werkzeuge zu entwickeln, die NutzerInnen bestmöglich bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Diese können je nach Kontext sehr unterschiedlich ausfallen. Konkreter Bedarf kann beispielsweise bei den folgenden Punkten bestehen:

  • Schaffen einer Produktionsumgebung, in der die Schritte vom Erstellen bis zum Verteilen im Internet nahtlos und unkompliziert verzahnt werden
  • Anbinden einer solchen Umgebung an bestehende Plattformen in Schulen, Hochschulen oder Unternehmen
  • Schaffen einer einfachen Suchlösung für OER, die beispielsweise verschiedene bestehende Angebote transparent verknüpft
  • Integrieren geeigneter Mechanismen zur Qualitätssicherung, etwa durch Bewertungs- und Feedbackmöglichkeiten für NutzerInnen
  • Entwickeln einer Lösung, welche die Kombination unterschiedlich lizenzierter Inhalte unterstützt und das Veröffentlichen der Ergebnisse mit Blick auf das Urheberrecht vereinfacht

Das Spektrum möglicher Handlungsfelder für WirtschaftsinformatikerInnen ist indes nicht auf diesen Bereich beschränkt. Denkbar und nützlich wäre es ebenso, eine Sammlung von Best Practices zu erstellen, wie sie aus dem IT-Service-Management durch ITIL bekannt ist. Ein entsprechendes Werk könnte beschreiben, welche Prozesse, Regeln, Formate und Werkzeuge sich als sinnvoll erweisen, wenn mit OER umgegangen werden soll. Interessierte erhielten dadurch eine wertvolle Hilfestellung beim Einführen und Nutzen freier Bildungsmaterialien in ihrer Organisation.

Sinnvoll sein kann dies zum Beispiel in Unternehmen, die sich mit dem Konzept der Open Innovation anfreunden können. Naheliegend ist es dabei, das Wissen von Externen in eigene Entwicklungsprozesse zu integrieren. OER können etwa für die Gestaltung der eigenen betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen genutzt werden. Die umgekehrte Richtung ist jedoch ebenfalls möglich. Material, das keine strategische Bedeutung haben sollte, kann unter einer entsprechenden Lizenz frei verteilt werden. Andere können dann die OER verbessern und erweitern, wovon wiederum das Unternehmen profitiert, wenn es die Änderungen aufgreift. Vorstellbar ist es auch, gemeinsam mit anderen eine offene Lerninfrastrukur zu entwickeln und stetig zu verbessern, gleichzeitig aber die dafür selbsterstellten Inhalte nur gegen Bezahlung oder gar nicht freizugeben. Nach demselben Prinzip entstand in der Software-Welt beispielsweise die integrierte Entwicklungsumgebung Eclipse. Sie ist kostenlos verfügbar und kann von allen Interessierten weiterentwickelt werden. Einige Unternehmen erzielen allerdings auch Einnahmen durch kommerzielle Erweiterungen.

Offenbar könnte sich mit OER sogar Geld verdienen lassen, und tatsächlich kann genau dies als Herausforderung gesehen werden. Bisher finanzieren sich Initiativen oft über staatliche Zuwendungen, Stiftungsgelder oder Privatspenden, vereinzelt auch über Werbung. Ob dies auf lange Sicht tragfähig ist, bleibt ungewiss. Eine Alternative bietet das Freemium-Modell. Lehrmaterialien blieben dabei kostenlos verfügbar, darauf aufbauende Dienstleistungen wie individuelle Anpassung, Beratung, Training oder Support müssten aber bezahlt werden. Diesen Weg verfolgt beispielsweise bereits das Massachusetts Institute of Technology. Die bekannte Universität bietet Kurse auf ihrer Plattform MITx an, bei der Texte, Videos und andere Unterlagen frei zugänglich sind – wer sich seine Lernleistung zertifizieren lassen möchte, muss dafür zahlen. Dieser spezielle Ansatz ist jedoch nicht einfach auf andere Institutionen übertragbar, da nicht jede auf einen Weltruf wie das MIT bauen kann.

Fazit

Open Educational Resources können eine großen Beitrag leisten, um Lehren und Lernen zu verbessern. Um sich tatsächlich zu etablieren, müssen allerdings noch zahlreiche Hürden überwunden werden. Betroffen sind Fragen der technischen Gestaltung, der organisationalen Einbindung und nicht zuletzt der Finanzierung, die sich gegenseitig beeinflussen. WirtschaftsinformatikerInnen, die sich von Haus aus an den Schnittstellen der Felder bewegen, könnten wertvolle Akteure bei der Lösung der Probleme sein – wenn sie denn wollen. Wollen Sie es mal versuchen?

Links und Literatur

[1] Pariser Erklärung zu OER, URL: http://www.unesco.de/fileadmin/medien/Dokumente/Bildung/Pariser_Erkl%C3%A4rung_zu_OER.pdf (zuletzt abgerufen am 29.12.2013).

[2] Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode. URL: http://www.tagesschau.de/inland/koalitionsvertrag136.pdf (zuletzt abgerufen am 24.12.2013).

[3] Dueck, Gunter (2009): Culture Technologies – Dreimal mehr in Herz und Kopf! In: Informatik Spektrum, 32. Jg., Nr. 1, S. 65-69.

[4] Mertens, Peter (2011): Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Wirtschaftsinformatik. In: Wirtschaftsinformatik und Management, 3. Jg., Nr. 1, S. 32-38.

[5] Anfrage: Gibt es eine Möglichkeit…, URL: https://plus.google.com/108274094993719308695/posts/4HGMUscLnay (zuletzt abgerufen am 12.11.2013).

[6] Deimann, Markus; Bastiaens, Theo (2010): Potenziale und Hemmnisse freier digitaler Bildungsressourcen – eine Delphi-Studie. In: Zeitschrift für e-learning, 5. Jg., Nr. 3, S. 7-18.

[7] What is free software?, URL: https://www.gnu.org/philosophy/free-sw.en.html (zuletzt abgerufen am 03.01.2014).

[8] Kreutzer, Till; Spielkamp, Matthias; Steinhau, Henry (2013): Urheberrechtliche Fragen zu OER. In: Hamburger Hamburger eLearning-Magazin, Nr. 11, S. 34-36.

[9] Clusteranalyse “Nachhaltige Entwicklung” und “Soziale Marktwirtschaft”, URL: http://www.bildungsmedien.de/download/presse/pressedownloads/forschungsprojekt-augsburg/forschungsprojekt-augsburg-abstract-iii.pdf (zuletzt abgerufen am 05.01.2014).

[10] Clements, Kati I.; Pawlowski, Jan M. (2012): User-oriented quality for OER: understanding teachers’ views on re-use, quality, and trust. In: Journal of Computer Assisted Learning, 28. Jg., Nr. 1, S. 4-14.

[11] Mayrberger, Kerstin; Hofhues, Sandra (2013): Akademische Lehre braucht mehr “Open Educational Practices” für den Umgang mit “Open Educational Resources” – ein Plädoyer. In: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 8. Jg., Nr. 4, S. 56-68.


Daten zum Artikel: Tacke, Oliver (2014): Freies Lernmaterial und Wirtschaftsinformatik, in: Wirtschaftsinformatik und Management, 6. Jg., Nr. 3, S. 78-84.

5 thoughts on “Was Wirtschaftsinformatik und frei verfügbares Lernmaterial miteinander zu tun haben (können)

  1. Wie schon auf Twitter beschrieben: Guter Artikel, gerade für Einsteiger. In der Wirtschaftsinformatik ist in den letzten Jahren der Themenbereich E-Learning nach meiner Wahrnehmung etwas zurückgegangen, man kann ja bspw. versuchen, es zwischen den Tracks der nächsten WI-Konferenz zu finden: http://www.wi2015.de/tracks/

    Es gibt aber auch ein paar interessante Entwicklungen in diesem Bereich, eine direkt hier aus der Chemnitzer Wirtschaftsinformatik: Absolventen und nun Inhaber eines E-Learning-Unternehmens (chemmedia) haben ihr LCMS KnowledgeWorker in einer kostenlosen Version (Open KnowledgeWorker) bereitgestellt mit der Bedingung, dass die Contents, die damit erstellt werden, unter CC-Lizenz gestellt werden müssen http://www.openknowledgeworker.org/ So richtig offen ist das freilich nicht, denn das LCMS ist nicht Open Source – hier besteht sonst das Problem der (Re-)Finanzierung: chemmedia bietet das ganze natürlich auch in geschlossenen Form Instanzen für Unternehmen an, deren Contents nicht frei gegeben werden sollen.

    Ein wenig bleibt bei mir die Frage, die mir bei der Gestaltung (im Sinnve von Weiterentwicklung) von OER und dazugehörigen Informationssystemen immer bleibt: Braucht es ein neues Fomat dafür? Bei OER reden wir ja nicht nur bspw. von einem Lehrbuchtext mit ein wenig Bild und Mediengedöns drin. OERs haben und/oder bekommen ja auch eine Entwicklungsgeschichte mit, Einsatzszenarien, Diskussionen etc. Wäre es hierfür nicht gut, sich von den bisherigen Formaten zu lösen und ein dafür geeignetes zu schaffen ODER leben wir mit denen weiter, die wenigstens von (mehr oder weniger) vielen Lehrenden erstellt werden können: Textdokumente, Slides, Videos etc.? Läuft letzteres dann nicht nur auf so etwas wie http://www.edutags.de/ raus – ein wirklich tolles Projekt, aber ist es das, was wir uns unter OER vorstellen?

Schreibe einen Kommentar zu Anja Lorenz Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert