Am vergangenen Freitag habe ich zum ersten Mal ausprobiert, das Konzept Lernen durch Lehren in einer Vorlesung einzusetzen. Da ich nicht wusste, wie die Studierenden überhaupt reagieren würden, bin ich nicht „streng“ nach Jean-Pol Martin vorgegangen und habe erst einmal eine ganz kurze Phase eingebaut.
In einem früheren Semester hatten die Studierenden sich in einer Einführung in das Marketing bereits mit den sogenannten „vier Ps“ bzw. dem Marketing-Mix beschäftigt. Diesmal galt es, spezielle Aspekte davon im Online-Marketing zu betrachten. Statt das Konzept einfach zu wiederholen, fragte ich zunächst, wer noch gut damit vertraut war – die Mehrheit war eher sehr unsicher. Eine mutige Studentin sagte offen, sie könne mit dem Begriff gar nichts mehr anfangen. Ich bat daher sie um Hilfe bei meinem „Experiment“ und schrieb das Wort Marketing-Mix in der Mitte der Tafel an.
Ich bat sie nach vorne (kurzer Schock), sagte ihr aber gleich, dass ihr das zum einen nicht peinlich sein müsse – schließlich wusste ja keiner mehr genau, worum es geht. Zum anderen hätte sie die einfachste Aufgabe: Sie müsse keine Fragen beantworten, sondern dürfe sich nun von den anderen den Marketing-Mix erklären lassen. Sie solle lediglich nachfragen, wenn Sie etwas nicht verstanden hatte, und gegebenenfalls Wichtiges an die Tafel schreiben. Alle erinnerte ich an die Neuronen-Metapher, die ich zuvor bereits einmal vorgestellt hatte, dann sollte es losgehen.
Ich habe mich ganz nach hinten gesetzt, außer Sichtweite. Ein Student fing sofort an, die Ps erst einmal aufzuzählen. Er kam aber nur auf drei der vier und sah mich an. Ich sagte nur, ich sei gar nicht da. Eine Studentin ergänzte sofort den fehlenden Begriff, und die Studentin vorne gruppierte alle vier an der Tafel um den „Marketing-Mix“. Ohne, dass ich etwas tun musste, wurden dann die einzelnen Instrumente näher von dem anfangs aktiven Studenten beschrieben, nach hinten sah auch niemand mehr.
Dann passierte etwas, was ich bisher noch in keiner Vorlesung erlebt hatte: Der Student erklärte etwas nicht ganz richtig, und eine Studentin drehte sich zu ihm um und wollte ihn offenbar korrigieren. Er berichtigte sich zwar just in diesem Moment selbst, aber hier wäre tatsächlich Interaktion zwischen den Studierenden entstanden!
Diese kurze Phase dauerte nur wenige Minuten, aber ich war beeindruckt:
- Beteiligung, die ich nicht zentral anstoßen musste,
- Interaktion zwischen den Studierenden, die es bisher nicht gab und
- Zusammentragen des „verlorenen“ Wissens durch kollektive Intelligenz.
Es hat noch nicht alles geklappt. Ich hätte der Studentin, die mich vorne an der Tafel unterstützt hat (noch einmal danke!), wahrscheinlich vorher mehr Informationen geben sollen. Sie schien trotz des Arbeitsauftrags ein wenig hilflos zu sein. Das Ziel, die kurze Wiederholung des Themas Marketing-Mix, wurde aber spielend erfüllt. Ich bin begeistert, und LdL wird in Zukunft weiter verfolgt!
Super. Die Adresse habe ich an die LdL-Mailingliste geschickt (etwa 200 Leser)!
Vielen Dank! Wird auf jeden Fall von mir weiter verfolgt – vielleicht gibt es in Kürze schon mehr zu berichten.
Herzlichen Glückwunsch für den Mut und den Start in ldl. Der letzte Absatz erscheint mir ganz wichtig: man muss die Studenten/Schüler an ldl heran führen. Wer vorne steht soll für Kommunikation sorgen, aber auch seine eigenen Gedanken einbringen („Ich bin der Meinung das ist so und so. Stimmt ihr mir zu oder ist jemand anderer Meinung?“ „Wer möchte was ergänzen?“).
Diese Fragestellungen muss man den Studenten/Schülern erst beibringen, aber meiner Erfahrung nach kommt das sehr schnell. Wichtig ist, dass sich der Dozent/Lehrer möglichst komplett aus dem Geschehen nimmt (hinten reinsetzen!!), nicht auf fragenden Blickkontakt reagiert und sich erst einschaltet, wenn es ganz verkehrt wird. Der Zeitpunkt des Eingreifens erfordert viel Erfahrung und Fingespitzengefühl.
Weiter so, das wird schon!
Grandios! Ich finde es toll, dass du es ausprobierst und dass du erste tolle Erfahrungen mit dem Konzept gemacht hast. Und keine Bange: Ich mach das schon ein Semester lang und fühle mich immer noch unsicher. Ich begreife jetzt erst so langsam, welche methodischen Hinweise u.ä. ich den Studenten geben muss…
@Erich @Christian
Vielen Dank für die bestärkenden Worte! Habe für dieses Semester noch mindestens eine LdL-Einheit im Kopf, die auch viel größeren Raum einnehmen wird – Lehren lernen durch Lernen durch Lehren ist bei mir angesagt :-)
Gratulation. Es macht Spaß, diesen kurzen LdL-Versuch lesend nachzuvollziehen. Kann dort viele eigene Erfahrungen wieder entdecken, inklusive der Verunsicherung, die sich bei Schülern (und genauso bei Studierenden) am Anfang einstellt. – Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass genau diese Verunsicherung zu den Unschärfen gehört, die LdL ausmachen und als Anfangserfahrung für die Lernenden wichtig sein können.
Natürlich soll es dabei nicht bleiben, aber es gehört „irgendwie“ zu LdL dazu.
Mach weiter! – Und erzähl uns davon :-)
@Herr Larbig:
Danke für den Kommentar! Habe gerade gestern für weitere Verunsicherung gesorgt, als ich mein nächstes Vorhaben ankündigte: In vier Wochen werde ich eine komplette Sitzung per LdL abhalten.
Gerne erzähle ich dann mehr davon.