Vorlesungen – überholt?

„Classes will dull your mind, destroy the potential for authentic creativity.“
John F. Nash/A Beautiful mind

Das Zitat entstammt zwar einem Film, aber der gleichnamigen Biographie über den Mathematiker ist zu entnehmen, dass er tatsächlich dem Unterricht fernzubleiben pflegte. Sind Vorlesungen vielleicht gar nicht sinnvoll? Diese Frage stelle ich mir selbst schon seit dem Studium – da ist man ja hautnah dran und erfährt, wie man sich selbst dabei fühlt. Man macht dort recht unterschiedliche Erfahrungen. Wichtigste Meinung vorweg: 90 Minuten lange Monologe, womöglich noch schlecht abgelesen, kann man sich sparen. Das hat verschiedene Gründe. Man könnte das Vorgelesene schlicht selbst nachlesen – das spart die Anreise, man kann in seinem eigenen Tempo vorgehen, nachschlagen und selbst entscheiden, wann man sich wie lange mit dem Thema beschäftigt. Vorträge können zwar auch dabei helfen, indem sie Ton statt Text als Aufnahmemöglichkeit bieten, dafür müssen sie aber gut sein: Nicht das Ego des Vortragenden muss im Mittelpunkt stehen, sondern der Nutzen für die Empfänger. Die Struktur des Vortrags muss für sie sinnvoll sein, und sie müssen sich angesprochen fühlen. Des Weiteren sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es für die meisten Menschen unmöglich sein dürfte, 90 Minuten lang aufmerksam einem Vortrag zuzuhören. Nach Thilo Baum nervt ein Vortrag nach spätestens 45 Minuten, und man sollte dann eine zehn minütige Pause einlegen, bevor man fortfährt. Noch besser dürfe es allerdings sein, sich gar nicht erst auf Einwegkommunikation einzulassen, und eine Vorlesung auf Dialog auszulegen. Zum einen lockert das die Atmosphäre, denn die “Zuhörer” werden aus ihrer passiven Rolle entlassen, aktiviert und einbezogen. Sie dürfen (und sollen) denken, eigene Idee entwickeln, fragen und diskutieren, statt lediglich vorgefertigtes Wissen auswendig zu lernen (Albert Einstein: “Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt”).

Einerseits setzt dies natürlich methodische Kenntnisse und Fähigkeiten des Dozenten voraus. Er muss das genannte Ziel durch geeignete Maßnahmen und ein lernwirksames Umfeld vorantreiben. Andererseits muss er auch eine entsprechende Einstellung mitbringen. Das Thema sollte mit Überzeugung vertreten werden, aber wer seine eigene Meinung für der Weisheit letzter Schluss hält und lediglich versucht, diese mit einem Feuerwerk an rhetorischen und didaktischen Kniffen an die Studenten zu bringen, wirkt nicht authentisch oder glaubwürdig. Er wird weniger Erfolg haben als jemand, der sich nicht als jemand “Besseres” sieht und seinen “Zuhörern” ehrliche Wertschätzung entgegenbringt, ihnen auf Augenhöhe begegnet.

Zurück zur Ausgangsfrage: Sind Vorlesungen sinnvoll? Versteht man darunter einen fachlich fundierten, offenen Vortrag, der durch vielfältige Methoden aktivierend wirkt und zum selbständigen Denken anregt, der auf die Situation und Belange der Studenten eingeht, dann ja – aber dann ist der Begriff der “Vorlesung” irreführend.

Erstaunlich ist nun, dass diese These keineswegs neu ist. Schon vor rund 200 Jahren forderten Johann Gottlieb Fichte, Daniel Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt eine Abkehr von der Vorlesung im ursprünglichen Sinn: Sie rege Studenten nicht zu selbständigem Studieren an, sondern zwinge sie in eine passive Haltung. Professoren kümmerten sich nicht darum, ob die Hörer ihnen überhaupt folgen können und verkannten die Chance, selbst etwas im Diskurs zu lernen. Und schließlich müsse es das Ziel des Vortrags sein, nicht Wissen zu vermitteln, sondern wissenschaftliches Denken zu lehren.

Meiner Ansicht nach machen sich viele Professoren darüber zu wenig Gedanken – schlimmer noch, interessieren sich nicht einmal dafür. Das reine Ablesen eines Skripts dürfte inzwischen die Ausnahme sein, wenngleich es dies immer noch gibt. Die meisten Dozenten dürften inzwischen frei vortragen, an Beispielen verdeutlichen und sicher auch den Witz nicht zu kurz kommen lassen. Ich bezweifle aber, dass sie sich wirklich dafür interessieren, ob ihre Maßnamen die Studenten voranbringen. Oft meine ich, eher eine hochmütige Haltung zu erkennen, frei nach dem Motto: “Ich habe die fachliche Kompetenz, mein Gebiet in der Breite vorzustellen.“ Das ist zweifelsfrei auch korrekt. „Es ist Aufgabe der Studenten, meine Ausführungen zu verstehen und im Nachgang selbst den Stoff zu vertiefen.” Wenn das mit dem Verstehen nicht klappt, sei halt der Student schuld. Dieser Punkt stört mich. Natürlich müssen Studenten selbständig und selbstverantwortlich lernen, sich mit komplexen Themen auseinandersetzen, sich den Kopf zerbrechen – aber man muss sie dazu auch anregen. Ein Vortrag, in dem lediglich das eigene Wissen nett verpackt zur Schau gestellt wird, ist dabei sicher nicht sonderlich förderlich.

Problematisch ist selbstverständlich der Fall, wenn Hunderte von Studenten in einer Vorlesung sitzen. Es ist dann im Prinzip unmöglich, individuell auf Einzelne einzugehen. Hier wäre die Politik in der Pflicht, durch mehr wissenschaftliches Personal die Teilnehmerzahlen pro Veranstaltung deutlich zu senken, um so bessere Methoden als den Frontalvortrag zu ermöglichen. Ungeachtet dessen sollte man aufgeschlossen für neue Ideen sein und diese auch ausprobieren – möglicherweise lassen sich dadurch einige Dinge doch besser vermitteln.

21 thoughts on “Vorlesungen – überholt?

  1. Ich stimme dir vollkommen zu: „Ungeachtet dessen sollte man aufgeschlossen für neue Ideen sein und diese auch ausprobieren – möglicherweise lassen sich dadurch einige Dinge doch besser vermitteln.“

    Mich stört das Format „Monolog“ schon lange, insbesondere weil ich in der Lehramtsausbildung tätig bin und die zukünftigen Lehrer interessante Methoden kennen lernen sollten. Hier gibts ein paar Links zum Format „Aktives Plenum“ oder „Neuronenvorlesung“ (ich weiß, du kennst die Links, aber vielleicht interessierts auch den ein oder anderen Leser hier :-))
    http://cspannagel.wordpress.com/?s=Neuronenvorlesung

    Liebe Grüße,

    Christian

  2. Vorlesungen sind als Erstauftakt – Begrüßung, allgemeine Hinweise, Gliederung siinnvoll. Und danach?
    Nein.
    Warum?
    Weil Individualität nicht nur für Kinder gilt, sondern auch für Studenten.
    Lösung?
    Individueller Abruf des Vortrags (YouTube) und spezielle Twitteraccounts zu speziellen Themen (für Quickfragen) und spezielle Themenblogs für schwerere Fragen bzw. intensivere Dialoge. Darüberhinaus Wikipedia für Archivierung des Wissens ;-) und z.B. Googletext für gemeinsame Bearbeitung von Dateien.
    Reicht das?
    Nein. Mindmeister.com und Projektmanagementsoftware als Ergänzung …sowie weitere neue ergänzende Tools per Internet machen Vorlesungen überflüssig. Eigentlich zu 100%…

    Aber zum Glück gibt es die allgemeine Trägheit und alles bleibt noch so wie es ist…bis sich alles ändert…;-)

    Grüße

    Adi

  3. @Christian
    Kann dir nur zustimmen, auf das aktive Plenum sollten sich mehr Dozenten einlassen. Wer dann noch behauptet, man könne mit so vielen Leuten gar nichts anderes machen als stumpf „vorlesen“… Frage mich, bei wie vielen Leuten das Limit ist.

    @Adi
    Danke für den Beitrag! Auch meine Meinung, man kann „Vorlesungen“ (in dicken Häkchen) sehr gut mit multimedialen bzw. netzbezogenen Dingen anreichern und verbessern. Die persönliche Komponente vor Ort sollte man dennoch nicht unterschätzen – aber dafür braucht man auch keine 90-Minuten-Monologe, da gibt es weitaus bessere Formate.

  4. @Christian
    Da können wir dann im April noch vertieft mit anderen diskutieren :-)

    Bleibt die Frage: Geht’s bei mehr als 100 Teilnehmern nur mit 90-Minuten-Monolog? Ich würde sagen: Nein! Adi hat da ja schon einige Möglichkeiten genannt.

  5. Man könnte die Vorlesungen sicherlich anders(für die Stunden sogar besser gestalten) aber, meiner Meinung nach ,ist es mit unserem „Studiumsystem“ nicht möglich.
    Wir können nicht ein Dialog in einer Vorlesung mit 800 Stundenten führen, da wahrscheinlich von den 800 vielleicht 100 aktiv mitmachen würden…dem Rest ist die Vorlesung egal, für sie ist das nur ein Modul das die Credits bringt.

    Man müsste die Studiengänge umstrukturieren und vielleicht noch mehr spezialisieren.
    Wenn wir sowas jedoch machen würden, werden gleich die netten Herrn aus der HR Abteilungen kommen und sich direkt beschweren, dass Studenten ausschließlich nur über ein Tunnelblick besitzen.

    Ob die Vorlesung überflüssig ist? Auch hier bin ich der Meinung, dass man diese Art der Lehre nicht komplett ersetzen kann.
    Die Grundlagen, die die Stundenten wissen müssen um weiterarbeit zu können, müssen ja irgendwie uns beigebracht werden.
    Wenn man da noch für die unterschiedlichen Modell vielleicht aktuelle Beispiele parat hat, kann man die Vorlesung schon lebhafter gestalten.
    Vielleicht könnte man mehr Fallstudien(in der Vorlesung) einsetzen, den Studenten z. B. zuerst eine Einfürhung in eine Materie geben und anschließend 1-2 Fallstudien durchgehen.

  6. Aus studentischer Sicht möchte ich an dieser Stelle eine persönliche Erfahrung, die sich durch ein sehr unterhaltsames und auch erfolgreiches Lernen auszeichnet, nicht vorenthalten.

    Konkret ging es vor einigen Semester darum, die Grundkenntnisse der Java-Programmierung zu erlernen. Mein Interesse auf diesem Gebiet war (möglicherweise auch durch die zu geringen Erfahrungen in dieser Materie) kaum nennenswert, dennoch kam ich nicht um sie herum. Ich besuchte also die wöchentlichen 90-Minuten-Monologe, in der theoretische Ansätze vermittelt wurden. Diese Situation hat mein Vorredner aus meiner Sicht recht treffend mit „nur ein Modul das die Credits bringt“ bezeichnet.

    Nach einiger Zeit fand ich im Internet ein Tutorial über Java. Da ich ohnehin häufiger auf Tutorials zurückgreife, gab ich eben diesem auch seine Chance. Die Inhalte gliederten sich hier in viel kleinere Kapitel auf, die eher schnell, aber intensiv abgearbeitet werden konnten. Innerhalb kürzester Zeit erwarb ich die wesentlichsten Kenntnisse über die Java-Programmierung, unterfüttert durch zahlreiche Beispiele, persönlichne „Lern-Ziel-Konrollen“ (in Form von Fragen, Aufgaben) zu den neuen Erkenntnissen und zum Abschluss eines jeden Kapitels kleinen Aufgaben, die den Zusammenhang verdeutlichen sollten. Die Inhalte der Vorlesung nutzte ich so noch viel intensiver, um meine erworbenen Kenntnisse zu vertiefen.

    Mir gab dieses Tutorial eine besondere Motivation zur weiteren Vertiefung der Inhalte. So wurde ich häufig nach kleinen Unterkapiteln inspiriert, eigene Beispiele und Ideen zu der frisch erlernten Materie zu entwickeln, eigene Aufgaben zu erstellen, zu lösen und anderen Kommilitonen zur Verfügung zu stellen. Hinsichtlich zur Verbesserung der Lehre könnte man hier z.B. in Form von kleinen Wettbewerben dazu verleiten, Studierende zum eigenen Denken und zur Mitarbeit anzuregen. Vielleicht könnten die besten, von Studenten gestellten Aufgaben, in der Vorlesung/großen Übung besprochen oder zur Klausurvorbereitung genutzt werden.

    Nachteilhaft an dieser Vorgehensweise ist natürlich, dass es immer erstmal jemanden geben muss, der sich hinsetzt und derartige (inhaltlich aufeinander aufbauende) Tutorials erstellt und die Mitarbeit administriert. Dennoch sehe ich hier ein größeres Potential als z.B. in aufgesetzten Wikis, in denen Beispiele aus der Praxis oder weiterführende Informationen gesammelt werden sollen. Dies gab es erst im vergangenen Semester in einer Veranstaltung. Aber selbst der Anreiz, dass häufig bearbeitetere Themen eher klausurrelevant sein könnten, führten zu keiner erwähnenswerten Mitarbeit.

    Vielleicht basiert diese Darstellung auf einer zu subjektiven Wahrnehmung und vielleicht ist die Idee auch nicht auf alles übertragbar, dennoch möchte ich diese Erfahrung nicht unerwähnt lassen – möglicherweise lassen sich noch durchdachtere Konzepte für eine interaktivere Lehre aus ihr ableiten.

  7. Wenn man akzeptiert, dass die Verarbeitung von Information ein Grundbedürfnis ist, wenn man ferner sieht, dass der Hörer die Struktur der von ihm aufgenomenen Informationen ganz individuell moduliert, damit er diese Information optimal aufnehmen kann (und mit Vergnügen) ist es klar, dass eine einzige Quelle (Professor) nie in der Lage ist, jeden einzelnen exakt mit der richtigen Menge und dem richtigen Tempo zu bedienen. Wenn 100 Leute in der Vorlesung sitzen, werden vielleicht zwei optimal bedient und alle anderen leiden!:-))
    http://jeanpol.wordpress.com/2009/12/31/informationsverarbeitung-als-grundbedurfnis/

  8. Ich betreibe seit nunmehr ein paar Jahren eine kleine empirische Studie, was die Effizienz von Frontalvorlesungen auf das Motivations- und Lernniveau angeht. Es ist leider nur zu bestätigen, dass solch monotone Vorträge, wie sie auch mein Vorredner erwähnte, zwecks Optimierung des Note/Lernzeit – Verhältnisses am Anfang des Semesters identifiziert und schnellst möglichst gemieden werden.

    Leider sind wirklich nur eine Hand voll Veranstaltungen nicht einschläfernd. Ich kann es auch nicht nachvollziehen, wie man (bzw. Professor) seine mangelnde Motivation / Fähigkeit eine ansprechende Vorlesung zu gestalten, dadurch versucht zu überspielen, indem man gezielt prüfungsrelevanten Stoff nur in der Vorlesung anbietet und dann nicht im Web zur Verfügung stellt (bzw. sich durch diverse andere nicht studentenfreundliche Methoden Zuhörer verschafft). Auch dies ist eine mehrfach aufgetretene Beobachtung.

    Des Weiteren ist mir in meiner kleinen Studie aufgefallen, dass es für die Verinnerlichung des gelernten Stoffes immer nützlich ist, gelernte Theorie gleich an Praxisbeispielen festzumachen und zu veranschaulichen.

  9. @Marcin
    Bei 800 Leuten wird es sicher sehr schwierig, alle einzubeziehen. Das funktioniert allein aus Zeitgründen nicht (bzw. weil sich nicht alle gleichzeitig beteiligen über Audio können). Aber auch hier gibt es möglicherweise sinnvolle Ergänzungen, zum Beispiel die Einbindung von Twitter, mit der Susanne experimentiert.
    Hier stellt sich mir vor allem noch folgende Fragen: Warum gibt man überhaupt Unsummen für solche großen Räume aus, wenn Lehre darin sinnvoll nicht geleistet werden kann? Warum ist die bauliche Form beispielsweise unseres Audimaxes auf „frontal“ ausgelegt (gerade Sitzreihen hintereinander weg statt runde Form), wenn man weiß, dass rein rezeptive Lernformen den schlechtesten Lernerfolg bieten? Bloße Massenabfertigung…

    @Jonas
    Ja, Tutorials können da sehr gut unterstützen. Man sollte sich aber das Lernziel vor Augen halten: Ist es schlicht eine Ausbildung, man soll vorgefertigte Dinge wissen oder vorgefertigte Methoden anwenden können? Oder geht es doch um ein bisschen mehr, um selbständiges Denken, um eigenständiges Lernen und um das Entwickeln und Erforschen von Neuem? Unis stehen eigentlich für letzteres, allein mit Tutorials ist es dann auch nicht getan, mit Vorlesungen (im klassischen Wortsinn) ebenso wenig.

    @Sebastian
    Unsere „Studien“ decken sich – ich bin den meisten Veranstaltungen auch fern geblieben. Was sagt es wohl aus, wenn ein Dozent zur Teilnahme an seinen Lehrveranstaltungen „zwingt“?
    Was das Material angeht, gerade bei Veranstaltungen in frühen Semestern: Da dürfte alles Wesentliche auch in Büchern oder im Netz zu finden sein. Man sollte sich sowieso nie nur auf eine Quelle verlassen, zum Beispiel nur Vorlesungsfolien o. ä.
    Und ja, Beispiele können helfen. Da gäb’s jetzt viel zu schreiben zu…

  10. Ich stimme Dir zu, Oliver, und als Dozent versuche ich auch, die Dinge „dialogisch“ zu vermitteln, neue Methoden auszuprobieren – und von den Studenten zu lernen.
    Allerdings hat das Format „Vorlesung“ auch weiterhin seine Berechtigung, meine ich. Es gibt tatsächlich charismatische Professoren, so hoffe ich doch, bei denen das konzentrierte Zuhören einen intellektuellen Genuss bedeuten. Ich habe als Student den Politologen Gilbert Ziebura über die „Grundmuster der Weltpolitik“ gehört – und dieses Erlebnis möchte ich wirklich nicht missen. Das Weltwissen, die intellektuelle Integrität und reflexive Kraft dieses „Gelehrten“ alter Schule hat mir eine kritische Sicht auf die Welt und die Politikwissenschaft eröffnet, die ich nicht allein im Selbststudium oder in den Büchern gefunden hätte. Ja, und kurzweilig und unterhaltsam waren die Vorlesungen auch. Es hätte mich wahnsinnig gemacht, wenn diese Veranstaltungen durch viele Zwischenfragen „gestört“ worden wären.
    Auch als Autor habe ich eine differenzierte Sicht auf das „Vortragen“. Wenn die Leute zu einer Lesung kommen, dann möchten Sie tatsächlich den Autor und nicht das Plenum hören und können sich dann auch anderthalb Stunden darauf „konzentrieren“. Manche Menschen sitzen sogar 3 Stunden in einer Oper, ohne den Anspruch zu formulieren, selber mitzusingen. Sie bezahlen sogar Eintritt dafür!
    Zurück zur Uni: Ich meine, es sollte einem Dozenten möglich sein, nicht „Stoff“ zu „pauken“, sondern sein Fachgebiet, sein wissenschaftstheoretisches Verständnis, seine Methoden, Herangehensweisen, Erfahrungen und Forschungsprojekte vorzustellen – in Vorlesungen, zum besten Nutzen der Studenten, die dann, natürlich, eine Debatte auslösen. Wenn Studenten dieses Engagement und dieses Ethos bei einem Dozenten, einer Dozentin „spüren“ werden sie ihm oder ihr auch eine etwas „langweiligere“ Stoffvermittlung zwischendurch nicht übelnehmen. Es kommt also auf die gute Mischung an, meine ich. Eine „Vorlesung“ sollte sich mit kollaborativen, webzweinullgen Formaten abwechseln und so die ganze Veranstaltung gemeinsam weiter entwickeln.

  11. @GeraldFricke
    „Es gibt tatsächlich charismatische Professoren, so hoffe ich doch, bei denen das konzentrierte Zuhören einen intellektuellen Genuss bedeuten.“
    – Auch ich habe solche erlebt. Allerdings waren es Ausnahmen. Es fragt sich nur, ob der Typus „Vorlesung“, der an der Hochschule einen Großteil des Angebotes ausmacht, wegen diesen herausragenden Lehrern in der gegenwärtigen Breite aufrechterhalten werden soll. Es wäre absurd, begnadeten Vortragenden zu verbieten, Vorlesungen zu halten. Aber nachweislich Uncharismatischen, die vielleicht selbst unter ihren Defiziten leiden, sollte empfohlen werden, auf andere Formate auszuweichen.

  12. Und noch ein Gedanke: auch nach diesen hervorragenden perfomancen fühlte ich mich selbst weniger inspiriert als passivisiert. Ich brauchte ein bisschen zeit, um mich und mein selbstbewusstsein wieder aufzurichten.

  13. Die zahlreichen Kommentare freuen mich :-)

    @Gerald
    Gegen gute „Vorlesungen“ von guten „Vorlesenden“ (gibt’s dafür kein passenderes Wort?) habe ich ja nichts, steht ja drin. Ein Vergleich mit einer Lesung oder einem Opernbesuch hinkt aber, denn dort geht es in der Regel um bloßen Konsum. Studieren und Lernen funktioniert so aber nicht, das ist in der Tat Arbeit und rein passiv geht das mehr schlecht als recht. Und vom ausschließlichen Selbststudium habe ich auch nicht gesprochen – zur Unterstützung soll der Dozent ja gerade da sein.

    Wenn ein Dozent wirklich inspirierend ist, ja super: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ (Antoine de Saint-Exupery) Wie viele hast du davon schon kennen gelernt? Die meisten, denen ich zuhören durfte, spulen bloß lieblos ihr Vorlesungsprogramm ab, fokussieren das Thema, weder das Umfeld noch die Hörer und interessieren sich überhaupt nicht darum, ob man etwas lernt – das ist wenig hilfreich. Da hätte ich direkt noch etwas von mir zu anzubieten: http://www.olivertacke.de/2009/09/02/wer-ist-eigentlich-verantwortlich-fur-erfolgreiches-studieren/

    Dann bleiben dennoch diverse pädagogische oder psychologische Fußangeln zu umgehen: Ein Tempo für alle (siehe obiger Kommentar von Jean-Pol bzw. http://jeanpol.wordpress.com/2009/12/31/informationsverarbeitung-als-grundbedurfnis/), passives Lernen (bloß zuhören/zusehen) liefert schlechtere Ergebnisse als aktives Lernen (aktiv teilhaben oder gar selbst lehren), fehlendes kritisches Hinterfragen, wenn der „Allwissende“ vorne steht, …

    @Jean-Pol
    Danke für den Beitrag!

    @Alex
    Warum müssen Hochschullehrer das Lehren eigentlich nicht lernen?

  14. @GeraldFricke und @jeanpol:
    Ich glaube wie es eben Letzterer zusammengefasst hat und Gerald angemerkt hat ist es zweckdienlich. Ich kann völlig nachvollziehen, dass das Format „Vorlesung“ nicht ausgemerzt werden muss. Denn es gibt in der Tat sehr charismatische Redner denen man dieses Podium geben sollte und in der Regel auch geben will.
    Was ich aber beobachte ist, dass solche Vorträge häufig wenig gemeinsam haben mit einem Power Point Schlachtfeld sondern vielmehr generelle Aussagentreffen und eher zum Weiterdenken anregen!

    Und dennoch bleiben diejenigen, deren VorLESUNG keine motivatorischen Zwecke erfüllen können, und somit auch wenig Lernanstoß geben. Man (der Student) beruft sich auf die empfohlene Lektüre und bleibt der Veranstaltung fern. Denn nicht zu selten werden auch gerade die angesprochenen freien Vorträge zur strukturellen Tortour und somit eine Qual für den Hörer. Ich sehe hier die Aussage „Da sind die Studenten schuld wenn sie es nicht verstehen!“ gleichberechtigt mit der Aussage „Da ist die aufgewendete Zeit des Vortragenden verschwendet wenn er nicht vortragen kann!“ (denn es gibt sicherlich auch objektive Maßstäbe für Vorträge nach denen man das bestimmen könnte). Da sollte er doch lieber 1,5 Std mehr forschen und einfach sein Buch zur Verfügung stellen oder gar noch stärker zum Selbstlernen und somit auch Verstehen anregen. Dann kann er seine Zeit wieder sinnvoll bspw. mit Sprechsstunden oder digitaler Betreuung verwenden!

  15. Interessante Aspekte… von den Seiten habe ich das Thema noch gar nicht beleuchtet… eigentlich habe ich das Thema noch überhaupt gar nicht beleuchtet…
    … wahrscheinlich weil mir das Wort Vorlesung an sich irgendwie unbehagen bereitet…

    … wobei ich mich an zwei drei erquickliche Vorlesungen erinnern kann:

    1. Als Erstsemester im Diplom-Studiengang Pädagogik an der Uni Frankfurt. Der Prof. (ich kann mich nicht mehr entsinnen welcher das damals war) hat ein paar Kisten Äpfel mitgebracht und dazu gemeint, dass das Studium potentiell Erkenntnis bringe, die uns u.U. aus dem Paradies vertreibe.

    Ich habe noch nie zuvor so herzhaft in einen Apfel gebissen. ;)

    2. Die Abschiedsvorlesung von Schulz von Thun (http://appelt.net/?s=Schulz+von+Thun&x=0&y=0) hat mir richtig gut gefallen, auch die Vorlesung von Selke (Der Mensch als Dokument) http://lernspielwiese.wordpress.com/2009/12/20/der-mensch-als-dokument-worth-to-watch-2/

    Aber sonst? Kann ich mich an keine eine erinnern.

    Ich glaube…. ich war sonst in keiner?

    1. @Monika
      Interessant, du hast sonst keine Vorlesungen besucht? Hat das einen besonderen Grund?

      @Andreas
      Danke, das war sehr umfangreich! Die Vorlesung als „institutionelle Einrichtung“, also als Zusammentreffen von Studenten und Professoren, halte ich auch nicht für überholt – sehr wohl aber die VorLESUNG als Methode. Wenn die vorwiegend rezeptiv gestaltet ist, könnte ich den Stoff auch zu Hause aus einem Buch oder einem Videomitschnitt lernen – wann ich will, so oft ich will, in meinem Tempo.
      Du sprichst noch die Stofffülle an. Häufig empfinde ich es so, dass Lehrende möglichst viel Stoff in möglichst kurzer Zeit per Druckbetankung in die Köpfe der Lernenden schieben möchten. Die reagieren dann mit Bulimie-Lernen darauf: Bis zur Klausur alles reinstopfen, das für kurze Zeit drinbehalten und dann schnell wieder raus damit. Wäre es nicht sinnvoller, den Umfang des Stoffs zu reduzieren, dann aber so zu lehren, dass man ihn auch langfristig behält?
      Der typische Weg ist wahrscheinlich: Das und das muss man wissen, das pinsele ich ins Skript oder auf die Schaubilder – und dann bestimmt das halt das Tempo der Vorlesung. Wäre es nicht sinnvoller sich zunächst zu überlegen, was die Studenten am Ende der Einheit wissen, können oder erfahren haben sollen (Herz, Hand und Verstand) – und erst dann fragen, welchen Stoff ich dafür tatsächlich brauche? Und vor allem nicht vergessen, wie und womit ich das vermittele (Arbeitsform, Aktivierung, …)? Und was, wenn es irgendwo Probleme gibt? Bei einem Vortrag bekommt man das eigentlich gar nicht mit, Fragen werden gegebenenfalls kurz abgehakt – man muss ja mit dem Stoff vorankommen…
      Aber ich glaube, wir sind da grundsätzlich ähnlicher Meinung!

  16. Hallo Oliver,

    ich gebe dir in allen Punkten recht! Da sind wir absolut der gleichen Meinung.

    Oftmals ist es (nach meiner Erfahrung) auch so, dass die Professoren seit vielen Jahren (und Jahrzehnten) das gleiche Skript haben und sich fest daran klammern. Da wird dann versucht Jahr für Jahr den Stoff teilweise auf Gedeih und Verderb durchzuwuchten.

    Wie gesagt, gibt aber auch andere Vorlesungen, in der der Professor auch mal Scherze macht, Videos oder Anwendungen zeigt. Das sind immer so die Highlights und auch die weit abgeschiedenen Studenten werden wieder munter und hören gespannt zu.

  17. @Andreas
    Ja, das mit Skript-Recycling habe ich auch schon erlebt – obwohl ich da auch sehr viele kenne, die wenigstens ihre Beispiele aktualisieren. Die Lanze musste ja mal von mir gebrochen werden.

    Scherze, Videos, usw.: prima. Aber wenn das lediglich ein Hygienefaktor ist (Studenten wachen wieder auf, weil der Rest einschläfernd ist) und kein Motivator (Aktivierung zum Mitdenken), schade.

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