Im Juli findet eine Tagung des Siggener Kreises statt. Im Rahmen der Veranstaltung diskutieren WissenschaftskommunikatorInnen, WissenschaftlerInnen und JournalistInnen über die Weiterentwicklung der Wissenschaftskommunikation. Sehr gefreut habe ich mich darüber, für einen Impuls eingeladen worden zu sein. Ich darf dazu anregen, über Formen und Formaten der Lehre bzw. der Hochschuldidaktik nachzudenken, die relevant für die Wissenschaftskommunikation sein können.
Als erste Vorbereitung habe ich mir den Siggener Aufruf angesehen, der 2014 erarbeitet und veröffentlicht wurde. Es sind mir über die Lehre hinaus mehrere Anknüpfungspunkte aufgefallen, die ich hier festhalte und gerne vorab mit euch diskutiere. Der Kommentarbereich steht euch wie immer offen!
Wissenschaft, was bist du?
Gleich zu Anfang stellte sich mir die Frage, was in dem Text unter Wissenschaft verstanden wird. Mein Eindruck: Forschung — aber nicht Lehre. Falls dem so sein sollte, könnte eine Diskussion des Begriffs Wissenschaft bereits interessant werden. Zumindest auf dem Papier beruft man sich an deutschen Universitäten ja gerne auf Wilhelm von Humboldt, für den Forschen und Lernen dasselbe waren. Die Symbiose von Forschung und Lehre wurde zum Ideal erhoben. Seither werden beide Begriffe zusammen unter Wissenschaft gefasst, gelebt wird diese Verschmelzung allerdings eher selten. Auch wenn von Humboldt nie im Sinn hatte, „Professoren forschen und übermitteln dann ihre Erkenntnisse (oder die von anderen Professoren) im Anschluss Studierenden“, dürfte das die am weitesten verbreitete Interpretation und Umsetzung sein. Ungeachtet der Tauglichkeit dieses einseitigen Vorgehens, die beispielsweise Donald Clark vergangene Woche anzweifelte oder früher auch Gunter Dueck, wären solche Unterfangen Wissenschaftskommunikation für eine spezielle Zielgruppe: die Studierenden. Wie wir gleich sehen werden, sind diese Überlegungen aber nicht bloß begriffliche Haarspalterei.
Sesamstraße öffne dich!
In dem Positionspapier des Siggener Kreises stieß ich auf die folgende Aussage, die mir bekannt vorkam:
Wir leben in einer Wissenschaftsgesellschaft. Wissenschaft prägt alle Bereiche des privaten und gesellschaftlichen Lebens. Sie ist Grundlage sowie Instrument für politische, wirtschaftliche und persönliche Entwicklungen und Entscheidungen. Wissenschaftliche Erkenntnisse wandern in Form von neuen Technologien und Verfahren mit wachsendem Tempo und in größerem Umfang in die Gesellschaft ein.
Diese Aussagen erinnern mich an die (Folge-)Zeit der Aufklärung, in der Wissenschaftsvermittlung als Bildungsaufgabe gesehen wurde, die möglichst vielen zukommen sollte. Als Folge öffnete sich die Wissenschaft, zum Beispiel durch Popularisierung (Peter Faulstich: Öffentliche Wissenschaft). Die Gedanken der Wissenschaftskommunikation haben also Tradition.
Es gibt aber auch Umstände, die früher weniger stark ausgeprägt waren. Als Problem sieht der Siggener Kreis nämlich „zunehmende Komplexität und disziplinäre Differenzierung der Wissenschaft bei wachsender Vernetzung und fächerübergreifender Kooperation.“ Für einen Teil der Öffentlichkeit würden wissenschaftliche Zusammenhänge immer weniger verständlich gemacht. Wissenschaft müsse sich daher erklären — vermutlich im doppelten Wortsinn.
In der ersten Lesart könnten darunter größere Klarheit und Nachvollziehbarkeit gemeint sein, mit der Erkenntnisse vermittelt werden sollen. Der umgekehrte Weg ist aber ebenso denkbar: Warum nicht die Öffentlichkeit stärker dazu befähigen, sich die wesentlichen Aspekte von Wissenschaft selbst zu erschließen und sie einzuordnen? Damit wären wir dann nämlich beim Thema Lehre. Wenn die Sesamstraße positive Effekte für die schulische Laufbahn hervorrufen kann, dann lässt sich womöglich mit etwas ausgefeilteren didaktischen Ansätzen auch die Wissenschaft anderen näherbringen. Denken kann man beispielsweise an produktorientierte Ansätze, zu denen Materialien als Open Educational Resources (OER) gerechnet werden können. Die Wissenschaftskommunikation könnte dann etwa bei der Qualitätssicherung oder beim Verteilen ins Spiel kommen. Ebenso möglich sind prozessorientierte Ansätze wie bewusst öffentliche und transdisziplinäre Hochschulseminare, an denen sich Interessierte sogar beteiligen können (von mir aus auch die berüchtigten MOOCs).
Diese Partizipation ginge auch über das hinaus, was im Siggener Aufruf gefordert wird:
Die Bürger müssen zu einem frühen Zeitpunkt in wissenschaftliche Entwicklungen einbezogen und zur faktenbasierten Diskussion befähigt werden. Dafür ermöglicht die Wissenschaftskommunikation Dialoge, in denen Bürger Meinungen einbringen, Wissenschaft beraten und sich an Entscheidungen beteiligen können.
Es bedarf hier gar nicht der Lehre. Auch wenn es nicht die Regel ist, können von „Normalsterblichen“ Erkenntnisse gewonnen werden, die für die Wissenschaft relevant sind. Ein sehr schönes Beispiel für solche Bürgerwissenschaft (citizen science) finde ich die Entdeckung der Pea Galaxies im Rahmen des Projekts Galaxy Zoo. Interessierte Laien stolperten über eine bisher unbekannte Art von Galaxien, entwickelten Hypothesen und brachten sich weitgehend selbst Techniken der Spektralanalyse bei. Darauf aufbauend konnten Wissenschaftler mehrere Artikel schreiben.
Zurück zu der Aussage, die Wissenschaft müsse sich erklären. In einer zweiten Lesart kann dies als eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft verstanden werden. Explizit wird dies später aufgegriffen:
Gleichzeitig werden durch Entwicklungen in Umwelt und Gesellschaft neue Ansprüche an die Wissenschaft gestellt: Bei der Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen bedarf es immer häufiger wissenschaftlicher Expertise und Innovation. Wissenschaft soll dafür die Grundlagen erarbeiten sowie Szenarien und Handlungsoptionen aufzeigen.
Helmut Schmidt fasste dies 2011 in der Aussage, Wissenschaft sei eine zur sozialen Verantwortung verpflichtete Erkennissuche, die sich (vermehrt) an der Lösung der Menschheitsprobleme des 21. Jahrhunderts beteiligen müsse. Auch hier käme Wissenschaftkommunikation ins Spiel; nicht unbedingt in Form von Lehre, aber ausgeschlossen ist das bestimmt auch nicht.
Hmm
Gestutzt habe ich bei der folgenden Passage:
Die Qualifikation der Wissenschaftler zur Kommunikation ist Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung und muss deshalb im Curriculum verankert sein. Weiterbildung in der Kommunikation muss im Rahmen der Personalentwicklung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen angeboten werden.
Was ist mit der wissenschaftlichen Ausbildung gemeint? Wenn von Personalentwicklung gesprochen wird, gehe ich davon aus, dass wissenschaftliche MitarbeiterInnen angesprochen werden. Dann verstehe ich jedoch den ersten Satz nicht. Einerseits gibt es zwar Doktorandenprogramme mit Kursen, die absolviert werden müssen, aber die Regel ist das meines Wissens nicht. Andererseits ist meinem Verständnis nach das Studium bereits eine wissenschaftliche Ausbildung. Die exemplarisch von mir herausgegriffene Allgemeine Prüfungsordnung der TU Braunschweig sieht denn auch im Master-Abschluss den Nachweis der Fähigkeit, „wissenschaftlich zu arbeiten und wissenschaftliche Erkenntnisse anzuwenden und bestehende Erkenntnisgrenzen in Theorie und Anwendung mit neuen methodischen Ansätzen zu erweitern.“
Mein Fazit
Es dürfte genügend Diskussions- und Arbeitsbedarf zu Formen und Formaten der Lehre bzw. der Hochschuldidaktik in der Wissenschaftskommunikation geben. Was meint ihr?
Hey Oliver,
„Mein Eindruck: Forschung — aber nicht Lehre“ (Oliver Tacke)
wieso die Lehre nicht?
Wenn ich das Wort ´Wissenschaft´auseinander nehme und ein kleines Wortspiel daraus machen, würde ich von meinem verständiss davon ausgehen, dass beides geimeint ist:
Wissen*Schafft – Wissen schaffen und somit auch verbreiten und lehren.
Wissenschaft hat somit etwas „Schaffendes“. Das kann man sowohl auf die Forschung beziehen (etwas neues entdecken und bestehendes erweitern) wie auch auf die Lehere (das bestehende Wissen schaffen und weitergeben).
Und ist nicht das geforderte denke von Helmut Schmidt auch eine Art von Lehre? Die Gesellschaft dazu zu befähigen Wissenschaft zu verstehen.
„Als Problem sieht der Siggener Kreis nämlich „zunehmende Komplexität und disziplinäre Differenzierung der Wissenschaft bei wachsender Vernetzung und fächerübergreifender Kooperation.“ Für einen Teil der Öffentlichkeit würden wissenschaftliche Zusammenhänge immer weniger verständlich gemacht. Wissenschaft müsse sich daher erklären“
Ist dadurch nicht die Wissenschaft aufgefordert die Gesellschaft zu lehren und Wissen zu schaffen (ebenfalls Lehre)?
„Die Qualifikation der Wissenschaftler zur Kommunikation ist Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung und muss deshalb im Curriculum verankert sein. Weiterbildung in der Kommunikation muss im Rahmen der Personalentwicklung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen angeboten werden.“
Bedarf es wirklich einer wissenschaftlichen Ausbildung, um wissenschaftlich zu arbeiten?
Arbeitet nicht bereits jeder Student im 2. Semester wissenschaftlich, nach festgelegten Normen und Standarts?
Kommuniziert nicht jeder Student mit wissenschaftlichen Arbeiten (Hausarbeit…) wissenschaftlich mit dem Dozenten, in dem er wissenschaftlich arbeitet (Zitieren, empirsche Forschungen ausübt…)?
Bedarf es in einer Individualisierten Gesellschaft, die global mit einander vernetzt ist noch ein festgelegtes, von Normen und Gesetzlichkeiten geprägtes Curriculum, oder kann nicht durch eine „OpenSciense“ mehr Wissen erarbeitet und erweitert werden?
So wie du Helmut Schmid zitiert hast, der die soziale Verantwortung sieht und die Lösung menschlicher Probleme – gehen nicht diese Probleme einen jeden an und ist nicht jedes Individuum (ob Wissenschaftlicher oder nicht) an eine soziale Verantwortung auf die eine oder andere Weise gebunden und verpflichtet?
Soweit meine Gedanken :)
Habe lediglich interpretiert, was beim Siggener Kreis das Verständnis von Wissenschaft zu sein scheint; genau darauf bezieht sich „Mein Eindruck“. Wenn unter „Lehren“ verstanden wird, einfach alle bestehenden Inhalte auszugießen, dann ist das auch drin.
„Bedarf es wirklich einer wissenschaftlichen Ausbildung, um wissenschaftlich zu arbeiten?“
Brauche ich eine Motorradausbildung, um ein Motorrad fahren zu können? Man kann sich vermutlich viel selbst aneignen, eine Ausbildung kann aber helfen. Von Belang ist das eher wegen der zugehörigen Zertifikate, die gesehen werden wollen.
gehen nicht diese Probleme einen jeden an und ist nicht jedes Individuum (ob Wissenschaftlicher oder nicht) an eine soziale Verantwortung auf die eine oder andere Weise gebunden und verpflichtet?
In der Sicht von Helmut Schmidt entziehen sich speziell viele Wissenschaftler dieser Verantwortung, weshalb er sie gezielt angesprochen hat.
Ich denke Helmut Schmid hatte da in seiner Kritik an die Wissenschaft vollkommen recht.
Ob die „Zertifikate“ heute noch gebraucht werden (gerade auch im Kontext mit dem digitalen Lernen Web 2.0, in dem sich jeder das aneignen kann was er möchte) stellt sich mir die Frage, ob nicht ein „ungelernter“ sich teilweise mehr Wissen aneignen kannals ein Gelernter, der im Gegenzug jedoch das Zertifikat besitzt.
Um dieses Diskussion (auch im Kontext ‚openSience‘) angehen, bedarf es vielleicht doch eine Revolution?
„Wirkliches Neuland […] kann wohl nur gewonnen werden, wenn man an einer entscheidenden Stelle bereit ist, den Grund zu verlassen, auf dem die bisherige Wissenschaft ruht, und gewissermaßen ins Leere springt“ (Heisenberg, 1901-1976)
Muss sich dann die Wissenschaftskommunikation nicht mehr mit digitalen Medien (Web 2.0) befassen und deren Experten, die sich in verschiedenen Bereichen (wie Foren) besser auskennen?
Könnte die Wissenschaftskommunikation nicht darin liegen einen Schritt zur Gesellschaft hin zu unternehmen, als sich von ihr zu differenzieren mit Theorien, die die Communitiy der Wissenschaft teilweise selber nicht mehr begreifen/ verstehen kann?
-nur mal so ein paar Gedanken zu einem liberaleren Wissenschaftsdenken- ;)
Zertifikate sind erst einmal nur ein Wisch Papier, dessen Aussagekraft ich für seeehr begrenzt halte. Nichtsdestotrotz verschließen sich wohl die wenigsten komplett davor, weil sie häufig von Stellen gewünscht werden, die dir mittelbar oder unmittelbar deine Brötchen bezahlen.
Dem Bogen von Heisenberg zur Wissenschaftskommunikation kann ich gerade nicht folgen :-(
Ich verstehe Heisenberg so, dass sich nur etwas „bewegen“ (verändern) kann, wenn die Berreitschaft dazu da ist auch etwas neues zu probieren und der Mut mal etwas unkonventioneles zu tun.
Um der Gefahr zu entgehen, in einer individualisiereten, modernen, Postmodernen und teilweise auch (neo) lieberalen Gesellschaft, als Wissenschaft und somit auch in der Kommunikation , als „verstaubt“ und veraltet darzustehen, muss sich die Wissenschaft und deren Kommunikation verändern und der „neuen“ Gesellschaft anpassen.
Dieses Ziel scheint nur mit einer Revolution (nicht im Sinne einer politischen Revolution, die zum Ziel hat bestehende Systeme abzuschaffen) erreicht zu werden.
vgl. Galileo bzw. Kopernikus, der an einer entscheidenden Stelle bereit war, den Grund (der aktuellen Wissenschaft und deren Kommunikation) zu verlassen, auf dem die damalige Wissenschaft ruhet, und gewissermaßen ins Leere sprang. (Heisenberg)
Bei der „geistigen“ Revolution dauert so ein Sprung deutlich länger, als bei einer politischen Revolution (wie lange hat die Kirche gebraucht, um das neue Weltbild zu akzeptieren, und somit auch die Wissenschaft, die in ihrer Kommunikation kirchliche Werte vertreten hat).
Denoch scheint mir dieser „Sprung“ in der heutigen Zeit nötiger den je.
Ein langer Atem und viel Kraft gehören sicherlich dazu, aber am wichtigsten ist m.E. die „gebetsmühlenartige“ Kommunikation auf allen wissenschaftlichen Ebenen.
Du versucht z.B. nicht nur durch Handeln (Meideneinsatz in Schulen, neue didaktische Methoden, durch Spielen Lehren usw…) die in sich gefestigte Wissenschaft zu verändern, du kommunizierst auch über revolutionäre Medien (Blog, opensience…) mit und über die Wissenschaft. Das fordert nicht nur Veränderungen bestehender wissenschaftlicher Kommunikation, das verändert auch.
Der „Sprung ins Leere“ (wie Heisenberg es nennt) ist somit schon getan und kann am Ende nur „Wirkliches Neuland“ bedeuten.
Aah! Bin mir nicht sicher, ob Heisenberg das Arbeiten im System (bestehende Theorien oder Ansätze innerhalb der Phsyik) meinte oder auch das Arbeiten am System, aber jetzt habe ich verstanden, was du meintest.