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Weltverbesserung mit BWL

Am Sonntag habe ich zur Frage geblogged, ob der Kaukasus-Leopard bei seiner geringen Verbreitung überhaupt noch eine Chance auf’s Überleben hat. Zu dieser Frage können nicht nur Biologen etwas beisteuern, sondern etwa auch Informatiker, indem sie das Ökosystem modellieren und simulieren und so Aufschluss darüber geben können, welche Maßnahme am dringendsten ist oder am meisten Erfolg verspricht. Oder Politologen und Soziologen, indem sie die Gesellschaftsstrukturen und -prozesse im Kaukasus untersuchen und mit entsprechenden Programmen die Menschen einbeziehen.

Warum sollten nicht auch Betriebswirte etwas dazu beitragen können? Warum sollten sie den WWF beispielsweise nicht darin unterstützen, Projekte zu begleiten, Kostenpläne zu erstellen, die Logistik für Kampagnen zu managen oder Marketingstrategien zu erarbeiten? Und so fänden sich sicher viele Probleme in der Praxis – außerhalb von Unternehmen – an deren Lösung auch Kaufleute mit ihrem Wissen mitwirken könnten.

Anfang des Jahres sprach der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt zu dem Thema und betonte die Verantwortung der Forschung im 21. Jahrhundert, die sich angesichts der Menschheitsprobleme ergäbe. Wissenschaft sei „eine zur sozialen Verantwortung verpflichtete Erkenntnissuche“ [1]. Etwas philosophischer betrachtet Martin Carrier die Frage nach den Werten in der Wissenschaft und kommt zu seinem persönlichen Schluss, dass abseits der methodischen Objektivität eine ethische Perspektive notwendig sei, in deren Folge sich Forscher auch mit den gesellschaftlichen Konsequenzen ihrer Arbeit auseinandersetzen sollten [2].

Es gibt in der Praxis so viele bedeutende (subjektiv, ich weiß) Probleme, zu deren Lösung auch Wirtschaftswissenschaftler beitragen können. Man muss nur mal eine Tageszeitung aufschlagen, um einen ersten Eindruck zu erhalten; danach bedarf es nur etwas Phantasie. Speziell für die Wirtschaftsinformatik diskutiert beispielsweise Urgestein Peter Mertens deren gesellschaftliche Rolle und führt auch Umweltschutz, Aus- und Weiterbildung oder Lebensstandards der Bevölkerung als relevante Bereiche des Fachs an [3]Gary Hamel, in der Wirtschaftswelt kein ganz Unbekannter, ist der Ansicht, dass Betriebswirte sich mit Fragen wie „Warum sollten so viele Menschen in uninspirierenden Unternehmen arbeiten?“ oder „Warum sollten Manager ihre gesellschaftliche Verantwortung nicht begrüßen statt ihr aus dem Wege zu gehen?“ zu beschäftigen haben [4]. Geld verdienen zu wollen, ist nichts Verwerfliches, aber man sollte die Umstände im Auge behalten. Und auch Forschung findet nicht in einem vom Umfeld isolierten System statt.

Was bedeutet das für mich und meine Arbeit? Ich selbst beschäftige mich in meiner Dissertation mit Lernen durch Lehren (LdL) in der betrieblichen Weiterbildung. Unternehmen könnten vom Einsatz des Konzepts profitieren (ob und wie, versuche ich einzugrenzen), aber besonders auch die Lernenden. Es geht bei LdL halt nicht nur darum, fachlich weiterzukommen, sondern sich über seinen Job hinaus auch selbst als Persönlichkeit zu entwickeln. Das verbuche ich unter einem gesellschaftlich bedeutsamen Aspekt. Der Gedanke der Weltverbesserung im Kleinen ist bei LdL im Prinzip fest eingebaut.

Wenn nun künftig Studierende von mir bei ihrer Abschlussarbeit betreut werden möchten, werden sie sich stets um solche Dinge Gedanken machen müssen. Ich werde auch solche Themen bevorzugt annehmen, die konkret einen klaren größeren Nutzen erkennen lassen – sei es die Personalführung in ehrenamtlicher Einrichtungen zu untersuchen oder Strategien für Non-Profit-Organisationen zu entwerfen.

Zum Weiterlesen

[1] Schmidt, Helmut (2011): Verantwortung der Forschung im 21. Jahrhundert, URL: http://www.mpg.de/990353/Verantwortung_der_Forschung (zuletzt abgerufen am 13.06.2011).

[2] Carrier, Martin (2011): Werte in der Wissenschaft, in: Spektrum der Wissenschaft, 34. Jg., Nr. 2, S. 66-70.

[3] Mertens, Peter (2011): Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Wirtschaftsinformatik, in: Wirtschaftsinformatik & Management, 3. Jg., Nr. 1, S. 32-38.

[4] Hamel, Gary (2009): Moon Shots for Management, in: Harvard Business Review, 87. Jg., Nr. 2, S. 91-98.

Das Beste daraus machen

Willkommens-FlipChart

Willkommens-FlipChart

Für vergangenen Montag hatte ich meinem Seminarkurs angeboten, eine freiwillige Sitzung zum Thema Was ist eigentlich Wissenschaft? zu leiten. Ziel war es, einen ersten Eindruck davon zu vermitteln, was das sein könnte – und so zu erahnen, weshalb wissenschaftliches Arbeiten mit all diesen Merkwürdigkeiten gespickt ist. Zu- bzw. abgesagt hatte trotz entsprechender Bitte leider nur die Hälfte der Seminarteilnehmer. Optimistisch setzte ich darauf, dass von der anderen Hälfte schon noch der eine oder andere aufkreuzen würde, doch unglücklicherweise lag ich falsch und habe das dann mit den zwei Anwesenden anders als geplant durchgezogen.

Das soll hier aber gar kein Jammerbeitrag werden, ich finde den Verlauf zwar schade, aber gar nicht so tragisch: Ich versuche einfach, das Beste daraus zu machen.

Auf der Wikiversity-Seite des Kurses habe ich eine neue Seite angelegt. Dort kann man nun nachträglich schrittweise in etwa das absolvieren, was ich für die Veranstaltung geplant hatte. Es wäre vermutlich eleganter, die einzelnen Bausteine mit unterschiedlichen Instrumenten abzubilden – Nummer 1 etwa hier im Blog – aber auf die benutzte Art und Weise bleibt der Kurs zentral an einer Stelle.

Was offline nicht möglich war: Nun können auch andere mitmachen! Wenn euch das Thema Wissenschaft bzw. wissenschaftliches Arbeiten interessiert, dann schaut doch mal vorbei.

Es gibt immer noch Grau zwischen Schwarz und Weiß – ja, warum eigentlich?

Vielleicht stehe ich unter dem Einfluss der Medikamente, die ich in den letzten Tagen wegen einer Erkrankung konsumieren durfte, vielleicht bin ich auch einfach nur ein notorischer Querulant oder es liegt am Wetter – es muss sich jedenfalls etwas ändern.

Seit dem von WikiLeaks ausgelösten US-Depeschenkrach mache ich mir wieder verstärkt Gedanken um meine gedankliche Konstruktion der Welt. Für mich ergab der Ausspruch „information wants to be free“ – öffentliche Daten sollten frei zugänglich sein – nämlich unmittelbar und unbedingt Sinn, ohne dass ich wusste warum. Das fand ich schon seltsam. Um der Sache auf den Grund zu gehen, habe ich das Buch „Hackers“ gelesen, das irgendwo als so etwas wie die gedankliche Quelle hinter WikiLeaks bezeichnet wurde. Darin werden die Anfänge der Computerzeit am MIT in Cambridge beschrieben. Doch es dreht sich weniger um die Technik als vielmehr um die Menschen, die von der Computerei fasziniert waren und sich nicht dafür interessierten, ob die Außenwelt sie für Spinner hielt. Sie erkundeten die Systeme, sammelten neues Wissen, gaben es bereitwillig weiter, damit es jemand anderes benutzen oder verbessern konnte. Das taten sie um der Sache willen, nicht um berühmt zu werden. Unbewusst lebten sie das, was man heute als Hacker-Ethik bezeichnet:

  • Access to computers — and anything which might teach you something about the way the world works — should be unlimited and total. Always yield to the Hands-On Imperative!
  • All information should be free.
  • Mistrust Authority — Promote Decentralization.
  • Hackers should be judged by their hacking, not bogus criteria such as degrees, age, race, sex, or position.
  • You can create art and beauty on a computer.
  • Computers can change your life for the better.

In diesen Richtlinien (die übrigens nicht in Stein gemeißelt sind und diskutabel bleiben, so gibt es beispielsweise die Ergänzungen „Mülle nicht in den Daten anderer Leute.“ und „Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen.“) und dem Drumherum im Buch habe ich sehr viel von mir selbst entdeckt. Und das erklärt auch, warum mir einige Sitten und Bräuche des Wissenschaftsbetriebes ziemlich sauer aufstoßen: kein freier Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen (Open Access), das Bewerten von Menschen nach deren akademischem Grad oder das Streben nach persönlichem Ruhm statt nach der „Wahrheit“. Das kann doch so nicht weitergehen!

Höre ich Ja-Abers? Aber es gäbe doch finanzielle Zwänge. Aber das System könne man doch so nicht ändern. Aber dies und jenes müsse man doch berücksichtigen. Man müsse halt einen Mittelweg finden, einen Kompromiss eingeh… Halt. Stopp. Nein. Das kann ich nicht mehr hören. Das kann doch nicht immer und überall die Lösung sein. Warum soll denn nie schwarz oder weiß als Antwort genügen? Sind wirklich immer diffuse Grautöne die bessere Wahl, obwohl sie niemanden wirklich glücklich machen? Die Frage ist für mich offen und keinesfalls klar.

Unglücklich ist offenbar auch Christian Spannagel mit seiner Situation im Wissenschaftsbetrieb, er sucht nach einem Ausweg und auf die (Zwischen-)Ergebnisse bin ich sehr gespannt. Sein erster Schritt ist ein gesundes Sich-selbst-an-die-eigene-Nase-fassen: Christian hat seine öffentliche Publikationsliste gelöscht, weil es ihn stört, dass so etwas nur der Reputation dient. Und da ich sein Vorgehen ganz richtig finde, habe ich dasselbe getan. Passt gut zu meiner E-Mail-Fußzeile, aus der ich schon vor einer Weile den akademischen Grad aussortiert habe. Irgendwann muss sich ja mal etwas ändern.

Kittee hacking