Es gibt immer noch Grau zwischen Schwarz und Weiß – ja, warum eigentlich?

Vielleicht stehe ich unter dem Einfluss der Medikamente, die ich in den letzten Tagen wegen einer Erkrankung konsumieren durfte, vielleicht bin ich auch einfach nur ein notorischer Querulant oder es liegt am Wetter – es muss sich jedenfalls etwas ändern.

Seit dem von WikiLeaks ausgelösten US-Depeschenkrach mache ich mir wieder verstärkt Gedanken um meine gedankliche Konstruktion der Welt. Für mich ergab der Ausspruch „information wants to be free“ – öffentliche Daten sollten frei zugänglich sein – nämlich unmittelbar und unbedingt Sinn, ohne dass ich wusste warum. Das fand ich schon seltsam. Um der Sache auf den Grund zu gehen, habe ich das Buch „Hackers“ gelesen, das irgendwo als so etwas wie die gedankliche Quelle hinter WikiLeaks bezeichnet wurde. Darin werden die Anfänge der Computerzeit am MIT in Cambridge beschrieben. Doch es dreht sich weniger um die Technik als vielmehr um die Menschen, die von der Computerei fasziniert waren und sich nicht dafür interessierten, ob die Außenwelt sie für Spinner hielt. Sie erkundeten die Systeme, sammelten neues Wissen, gaben es bereitwillig weiter, damit es jemand anderes benutzen oder verbessern konnte. Das taten sie um der Sache willen, nicht um berühmt zu werden. Unbewusst lebten sie das, was man heute als Hacker-Ethik bezeichnet:

  • Access to computers — and anything which might teach you something about the way the world works — should be unlimited and total. Always yield to the Hands-On Imperative!
  • All information should be free.
  • Mistrust Authority — Promote Decentralization.
  • Hackers should be judged by their hacking, not bogus criteria such as degrees, age, race, sex, or position.
  • You can create art and beauty on a computer.
  • Computers can change your life for the better.

In diesen Richtlinien (die übrigens nicht in Stein gemeißelt sind und diskutabel bleiben, so gibt es beispielsweise die Ergänzungen „Mülle nicht in den Daten anderer Leute.“ und „Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen.“) und dem Drumherum im Buch habe ich sehr viel von mir selbst entdeckt. Und das erklärt auch, warum mir einige Sitten und Bräuche des Wissenschaftsbetriebes ziemlich sauer aufstoßen: kein freier Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen (Open Access), das Bewerten von Menschen nach deren akademischem Grad oder das Streben nach persönlichem Ruhm statt nach der „Wahrheit“. Das kann doch so nicht weitergehen!

Höre ich Ja-Abers? Aber es gäbe doch finanzielle Zwänge. Aber das System könne man doch so nicht ändern. Aber dies und jenes müsse man doch berücksichtigen. Man müsse halt einen Mittelweg finden, einen Kompromiss eingeh… Halt. Stopp. Nein. Das kann ich nicht mehr hören. Das kann doch nicht immer und überall die Lösung sein. Warum soll denn nie schwarz oder weiß als Antwort genügen? Sind wirklich immer diffuse Grautöne die bessere Wahl, obwohl sie niemanden wirklich glücklich machen? Die Frage ist für mich offen und keinesfalls klar.

Unglücklich ist offenbar auch Christian Spannagel mit seiner Situation im Wissenschaftsbetrieb, er sucht nach einem Ausweg und auf die (Zwischen-)Ergebnisse bin ich sehr gespannt. Sein erster Schritt ist ein gesundes Sich-selbst-an-die-eigene-Nase-fassen: Christian hat seine öffentliche Publikationsliste gelöscht, weil es ihn stört, dass so etwas nur der Reputation dient. Und da ich sein Vorgehen ganz richtig finde, habe ich dasselbe getan. Passt gut zu meiner E-Mail-Fußzeile, aus der ich schon vor einer Weile den akademischen Grad aussortiert habe. Irgendwann muss sich ja mal etwas ändern.

Kittee hacking

7 thoughts on “Es gibt immer noch Grau zwischen Schwarz und Weiß – ja, warum eigentlich?

  1. Das taten sie um der Sache willen, nicht um berühmt zu werden.

    Was bedeutet genau „um der Sache willen“? Gibt es absolut keine „Belohung“ wenn man Daten und Innovationen anderen zugänglich macht? Wer waren diese „anderen“? Waren diese Gruppen – wenn auch Randgruppen – nicht so beschaffen, dass sie so etwas wie „Ruhm“ vermittelten? Und darüber hinaus: Ruhm als solches wird nicht angestrebt, sondern die Möglichkeiten der Bedürnfisbefriedigung, die Ruhm verschafft, oder?
    http://jeanpol.wordpress.com/2008/11/06/informationsverarbeitung-und-warum-ich-nach-ruhm-strebe/
    Und natürlich ohne die Verdienste von Christian Spannagel schmälern zu wollen: als W3-Professor kann er sich leisten, gewisse Entmachtungswagnisse einzugehen. Das gehört zur Aktionsforschung und ist auch ein interessantes Experiment. Solange er von der etablierten Wissenschaftler-Community akzeptiert und respektiert wird. Und die etablierte Community respektiert ihn, glaube ich.

  2. Die Jungs hatten einfach Spaß daran, die Maschinen zu erkunden und zu verstehen. Klar, sie hatten auch etwas davon, wenn jemand anderes ihre eigenen Programme verbessert, aber das war nicht der primäre Zweck. Die anderen waren schlicht Gleichgesinnte, die ebenfalls so drauf waren und ebenso introvertiert. Einige mögen von denen mögen auch Ruhm gesucht haben, anderen war das schlicht vollkommen egal. Das gibt es in der Mathematik beispielsweise auch: Grigorij Perelman, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Grigori_Jakowlewitsch_Perelman.

    Wenn Christian nur wegen der Menge an Publikationen oder durch eigene Zurschaustellung von der „etablierten“ Wissenschaftler-Community akzeptiert werden würde, wäre es das dann wert?

  3. Gut, dass ich stets über einfache Erklärungen verfüge: die oberste Motivation ist die Gewinnung von (kognitiver) Kontrolle. Dass man als Gruppe mehr Kontrolle gewinnen kann als allein ist selbstverständlich. Es macht Spaß, sich mit anderen zusammenzutun, um mehr von der Welt zu verstehen und gemeinsam in diesem Sinne zu handeln (Koaktion). Aber das wiederum als Idealismus zu deklarieren („aus Idealismus an Open-Source-Projekten beteiligen“) ist Selbstidealisierung. Und du weißt ja, welcher Link nun unbedingt kommen muss (nicht für dich, du kennst das ja, sondern für eventuelle Leser):
    http://jeanpol.wordpress.com/2008/11/11/warnung-vor-selbstidealisierung/

    1. Mag alles sein, aber mir ging es auch nicht um die Negation allgemeiner extrinsischer Motive, sondern speziell um Ruhm. Hauptantrieb ist das meinem Beitrag nach (bzw. zugrundeliegend „Hackers“ von Stephen Levy) und gemäß der Studie nicht.

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