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Köpfe der Wissenschaft selbst gemacht

Oft ist es im Studium so, dass man über viele große Namen stolpert: In der Mathematik hat jeder schon von Carl Friedrich Gauß oder Leonhard Euler gehört, in der Betriebswirtschaftslehre von Frederick Taylor oder Henri Fayol. In der Regel weiß man auch noch (halbwegs), was sich diese Leute haben einfallen lassen. Aber was haben sie erlebt? Wie sind sie aufgewachsen? Welche Schicksale haben sie ereilt? Das ist mitunter nicht nur spannend, sondern kann dem einen oder anderen auch dabei helfen, Theorien und Gedanken besser einzuordnen und zu verstehen.

Köpfe der Unternehmensführung

Köpfe der Unternehmensführung

Wie schön wäre es da, gäbe es zu jeder Veranstaltung das passende Buch mit Hintergrundinformationen. Glücklicherweise gibt es die Wikipedia, und die erlaubt es seit rund einem Jahr, sich aus den Beiträgen individuelle Bücher zusammenzustellen. Man sammelt einfach die gewünschten Artikel in einem Inhaltsverzeichnis, arrangiert sie nach Wunsch und lädt das fertige Werk dann kostenlos als PDF-Datei herunter – oder, viel schöner, bestellt es gleich als gedrucktes Buch. Zu den Vorlesungen meines Chefs an der TU Braunschweig habe ich beispielsweise das Buch „Köpfe der Unternehmensführung“ zusammengestellt, das  sich jeder Interessierte anschauen und beschaffen kann.

Natürlich wird man auch auf Personen stoßen, die man gerne aufnehmen würde, zu denen man aber kaum etwas oder gar nichts in der Wikipedia findet – wenn das nicht nach einem studentischen Projekt schreit…

Wer ist eigentlich verantwortlich für erfolgreiches Studieren?

„I can only show you the door. You’re the one that has to walk through it.“
Morpheus/The Matrix

Wer ist eigentlich verantwortlich dafür, ob ein Studium erfolgreich verläuft oder nicht? Der Student? Der Dozent? Die Uni, die Regierung oder gar die Gesellschaft? Fangen wir damit an, was in Hörsäalen oder Studentenbuden vor sich geht.

Einige Professoren halten es möglicherweise mit Goethes Faust: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!“ Der Erfolg des Studiums hänge einzig und allein vom Verhalten der Studenten ab. Wenn die sich nur anstrengen und fleißig sind, dann wird schon alles gelingen. Anders herum: Wenn es nicht klappt, wurde wohl von den Lernenden zu wenig geleistet, oder sie sind einfach intellektuell nicht in der Lage mitzuhalten.

Und was meinen die Studenten? Vielleicht nach Klausuren? Möglicherweise: „Das hatten wir aber gar nicht in der Vorlesung!“ Der Dozent habe einfach schlecht erklärt. Das Skript sei unvollständig gewesen, man hätte ja noch anderswo nachschlagen und sich selbst Gedanken machen müssen, wie das funktionieren könnte.

Weder das eine noch das andere Extrem finde ich sonderlich überzeugend. Ziel eines Studiums sollte es meiner Meinung nach sein, selbständig und eigenverantwortlich lernen zu können. Dafür müssen Studenten sich in der Tat anstrengen! Sich lediglich Tag für Tag passiv in Vorlesungen zu setzen, ist nicht genug. Gegen Ende des Semesters bloß die gelieferten Unterlagen auswendig zu lernen, dürfte auch nicht die beste Strategie sein. Studieren heißt übersetzt aus dem Lateinischen nicht umsonst „sich um etwas bemühen“.

Das soll aber nicht heißen, dass ein Student allein verantwortlich ist für sein Fortkommen. Dozenten müssen dazu den nötigen Schubs geben, wenn er nötig ist, und sich auch Gedanken machen, wie das am besten funktioniert. Bloß ihr Vorlesungsprogramm abzuspulen, ist wenig hilfreich. Sie müssen zum Lernen ermutigen oder – wenn sie das können – dazu inspirieren. Die Studenten müssen lernen wollen, von sich aus (intrinsisch) motiviert sein und nicht von außen durch Anreize oder Kontrolle dazu gebracht werden. Der Neurobiologe Gerald Hüther spricht in diesem Zusammenhang davon, dass andere (extrinsisch) zu motivieren „hirntechnischer Unsinn“ sei, weil dies nicht zur Selbstverantwortung und Selbstgestaltung führe, sondern allenfalls Dressurleistungen erzeuge. Man passe sich nur den Wünschen und Anordnungen des Dompteurs an. Aufgabe eines Dozenten kann es also nur sein, das Interesse zu wecken statt auf Belohnung oder Bestrafung zu setzen – er muss die Tür zeigen. Aufgabe der Studierenden muss es sein, durch diese Tür zu gehen, sich selbst weiterzuentwickeln.

Anstrengung ist also eine notwendige Bedingung für selbst erzielten Erfolg, aber ist es auch eine hinreichende? Wer das Buch „Überflieger“ von Malcolm Gladwell gelesen hat, wird dies sicher verneinen. Er schildert darin, wie viele weitere Faktoren das Fortkommen unterstützen oder behindern können: kulturelle und soziale Herkunft, aber ebenso – so komisch das ohne Erläuterung klingen mag – Geburtstag, Geburtsjahr, Länge der Semesterferien und natürlich Glück. Die Rahmenbedingungen des Studiums können demnach sehr wohl Einfluss auf den Erfolg haben. Für bedeutsamer als Debatten um die Art der Abschlüsse oder die Ausstattung von Hochschulen halte ich aber das, was vor Ort geschieht: Das Lehren und Lernen an sich – und dafür tragen Studenten und Dozenten gleichermaßen die Verantwortung.

Vorlesungen – überholt?

„Classes will dull your mind, destroy the potential for authentic creativity.“
John F. Nash/A Beautiful mind

Das Zitat entstammt zwar einem Film, aber der gleichnamigen Biographie über den Mathematiker ist zu entnehmen, dass er tatsächlich dem Unterricht fernzubleiben pflegte. Sind Vorlesungen vielleicht gar nicht sinnvoll? Diese Frage stelle ich mir selbst schon seit dem Studium – da ist man ja hautnah dran und erfährt, wie man sich selbst dabei fühlt. Man macht dort recht unterschiedliche Erfahrungen. Wichtigste Meinung vorweg: 90 Minuten lange Monologe, womöglich noch schlecht abgelesen, kann man sich sparen. Das hat verschiedene Gründe. Man könnte das Vorgelesene schlicht selbst nachlesen – das spart die Anreise, man kann in seinem eigenen Tempo vorgehen, nachschlagen und selbst entscheiden, wann man sich wie lange mit dem Thema beschäftigt. Vorträge können zwar auch dabei helfen, indem sie Ton statt Text als Aufnahmemöglichkeit bieten, dafür müssen sie aber gut sein: Nicht das Ego des Vortragenden muss im Mittelpunkt stehen, sondern der Nutzen für die Empfänger. Die Struktur des Vortrags muss für sie sinnvoll sein, und sie müssen sich angesprochen fühlen. Des Weiteren sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es für die meisten Menschen unmöglich sein dürfte, 90 Minuten lang aufmerksam einem Vortrag zuzuhören. Nach Thilo Baum nervt ein Vortrag nach spätestens 45 Minuten, und man sollte dann eine zehn minütige Pause einlegen, bevor man fortfährt. Noch besser dürfe es allerdings sein, sich gar nicht erst auf Einwegkommunikation einzulassen, und eine Vorlesung auf Dialog auszulegen. Zum einen lockert das die Atmosphäre, denn die “Zuhörer” werden aus ihrer passiven Rolle entlassen, aktiviert und einbezogen. Sie dürfen (und sollen) denken, eigene Idee entwickeln, fragen und diskutieren, statt lediglich vorgefertigtes Wissen auswendig zu lernen (Albert Einstein: “Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt”).

Einerseits setzt dies natürlich methodische Kenntnisse und Fähigkeiten des Dozenten voraus. Er muss das genannte Ziel durch geeignete Maßnahmen und ein lernwirksames Umfeld vorantreiben. Andererseits muss er auch eine entsprechende Einstellung mitbringen. Das Thema sollte mit Überzeugung vertreten werden, aber wer seine eigene Meinung für der Weisheit letzter Schluss hält und lediglich versucht, diese mit einem Feuerwerk an rhetorischen und didaktischen Kniffen an die Studenten zu bringen, wirkt nicht authentisch oder glaubwürdig. Er wird weniger Erfolg haben als jemand, der sich nicht als jemand “Besseres” sieht und seinen “Zuhörern” ehrliche Wertschätzung entgegenbringt, ihnen auf Augenhöhe begegnet.

Zurück zur Ausgangsfrage: Sind Vorlesungen sinnvoll? Versteht man darunter einen fachlich fundierten, offenen Vortrag, der durch vielfältige Methoden aktivierend wirkt und zum selbständigen Denken anregt, der auf die Situation und Belange der Studenten eingeht, dann ja – aber dann ist der Begriff der “Vorlesung” irreführend.

Erstaunlich ist nun, dass diese These keineswegs neu ist. Schon vor rund 200 Jahren forderten Johann Gottlieb Fichte, Daniel Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt eine Abkehr von der Vorlesung im ursprünglichen Sinn: Sie rege Studenten nicht zu selbständigem Studieren an, sondern zwinge sie in eine passive Haltung. Professoren kümmerten sich nicht darum, ob die Hörer ihnen überhaupt folgen können und verkannten die Chance, selbst etwas im Diskurs zu lernen. Und schließlich müsse es das Ziel des Vortrags sein, nicht Wissen zu vermitteln, sondern wissenschaftliches Denken zu lehren.

Meiner Ansicht nach machen sich viele Professoren darüber zu wenig Gedanken – schlimmer noch, interessieren sich nicht einmal dafür. Das reine Ablesen eines Skripts dürfte inzwischen die Ausnahme sein, wenngleich es dies immer noch gibt. Die meisten Dozenten dürften inzwischen frei vortragen, an Beispielen verdeutlichen und sicher auch den Witz nicht zu kurz kommen lassen. Ich bezweifle aber, dass sie sich wirklich dafür interessieren, ob ihre Maßnamen die Studenten voranbringen. Oft meine ich, eher eine hochmütige Haltung zu erkennen, frei nach dem Motto: “Ich habe die fachliche Kompetenz, mein Gebiet in der Breite vorzustellen.“ Das ist zweifelsfrei auch korrekt. „Es ist Aufgabe der Studenten, meine Ausführungen zu verstehen und im Nachgang selbst den Stoff zu vertiefen.” Wenn das mit dem Verstehen nicht klappt, sei halt der Student schuld. Dieser Punkt stört mich. Natürlich müssen Studenten selbständig und selbstverantwortlich lernen, sich mit komplexen Themen auseinandersetzen, sich den Kopf zerbrechen – aber man muss sie dazu auch anregen. Ein Vortrag, in dem lediglich das eigene Wissen nett verpackt zur Schau gestellt wird, ist dabei sicher nicht sonderlich förderlich.

Problematisch ist selbstverständlich der Fall, wenn Hunderte von Studenten in einer Vorlesung sitzen. Es ist dann im Prinzip unmöglich, individuell auf Einzelne einzugehen. Hier wäre die Politik in der Pflicht, durch mehr wissenschaftliches Personal die Teilnehmerzahlen pro Veranstaltung deutlich zu senken, um so bessere Methoden als den Frontalvortrag zu ermöglichen. Ungeachtet dessen sollte man aufgeschlossen für neue Ideen sein und diese auch ausprobieren – möglicherweise lassen sich dadurch einige Dinge doch besser vermitteln.