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Niemand sagt etwas (in großen Gruppen)… Nachtrag

Meine Ausführungen zum Thema „Niemand sagt etwas (in großen Gruppen)…“ der letzten Tage kamen nicht aus dem Nichts, sondern beruhten auf einer echten Frage.

Wie bekomme ich Großgruppen dazu mit mir oder dem Professor zu diskutieren? Situation: Unsere VL wir auf Englisch gehalten mit 80-100 Teilnehmern. Die VL ist ein Wahlfach, somit gehe ich davon aus, dass im Allgemeinen Interesse an dem Themengebiet besteht. Zum Ende jeder VL-Einheit werden Diskussionsfragen gestellt, die in der Gruppe mit dem Dozenten als Moderator gelöst werden sollen. Bei solchen Diskussionen beteiligen sich in der Regel 1-2 Leute. Der Rest der 80 Studierenden hört zwar interessiert zu und schreibt mit, traut sich aber nicht etwas beizutragen. Lösungen für die Diskussionsfragen stellen wir nicht zur Verfügung. Falls die Fragen nicht in der VL beantwortet werden, werden sie erneut in der Übung oder Klausurvorbereitung aufgegriffen. Selbst durch den mehrmaligen Hinweis, dass die Fragen/Antworten klausurrelevant sind und die Studierenden sich die Lösungen in der Gruppe erarbeiten müssen, stieg die Beteiligung an der Diskussion nicht.

Nun gibt es seit gut zwei Wochen http://www.antwort-n.de. Ihr könnt dort von  Ingmar Rothe und Cornelius Filipski binnen 24 Stunden eine Antwort auf eure Fragen zur Hochschuldidaktik erhalten — und zwar auf der Tonspur! Toller Service, oder? Ich war so frei, die oben angeführte Frage dort einzureichen. Ihr könnt euch also weitere Gedanken dazu anhören!

Niemand sagt etwas (in großen Gruppen)… Teil 4

Solltet ihr direkt hier gelandet sein und den Kontext brauchen: Dies ist Teil 4 zum Thema „Niemand sagt etwas (in großen Gruppen)…“. Startet doch im Zweifel mit Teil 1Teil 2 oder Teil 3.

Inhalt (ES)

In die Kategorie Inhalt habe ich einsortiert, was mir eng verbunden mit dem Stoff und seiner Darbietung erschien.

Fragen haben keinen Lebensweltbezug

Wenn ihr keinen echten Bezug zu Inhalten habt, könntet ihr Probleme bekommen, sie interessant vorzustellen. Das haben wir gerade eben gesehen. Für Studierende ist aber nicht nur das Fachliche, sie wissen womöglich auch gar nicht, wie der Stoff in ihr Leben passt.

Wenn ihr mit euren Fragen Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt der Studierenden findet, sei es popkulturell, berufsperspektivisch oder anderswie, dann ist das durchaus von Vorteil. Die Lebensgeschichte von jedem müsst ihr nicht dafür kennen, aber ihr solltet euch durchaus für eure Studierenden interessieren und nicht ganz so abseits dessen liegen, womit sie sich beschäftigen.

Helfen kann es außerdem, wenn die Studierenden sich selbst über ihren persönlichen Bezug zu einem Thema klarwerden sollen und diese Information womöglich mit jemandem teilen. Manch einer berichtet womöglich gerne von seinem Hobby, für das er nun noch etwas dazulernen möchte — ein super Einstieg in ein Thema!

Fragen zum Stoff sind zu komplex oder zu einfach

Sind Fragen zu einfach, denkt man im Zweifel wohl eher an eine Fangfrage und schweigt. Sind die zu komplex (gestellt), findet man keinen Einstiegspunkt. Kaum pauschal für eine Gruppe Studierender abschätzbar, aber das Problem des fehlenden Wissens um das Wissen habe ich oben ja bereits angesprochen.

Stoff und Fragen dazu werden in einer Fremdsprache dargeboten

Eigentlich finde ich diesen Punkt trivial, aber er kann natürlich eine Ursache für Schweigen sein oder den oben erwähnten Punkt der Unsicherheit verstärken.

Interaktion (WIR)

In den Bereich Interaktion fällt für mich, was ein Gruppengefüge als Ganzes betrifft. Dazu zählen zum Beispiel Kommunikation und Beziehungsaskepte zwischen Personen.

Lernende kennen sich untereinander kaum

Wenn sich Lernende untereinander kaum kennen, kann das die Unsicherheit erhöhen. Ich scheue mich sicher mehr, mich frei zu äußern, wenn ich die anderen nicht kenne und ihre Reaktion darauf gar nicht einschätzen kann. Vorteilhaft kann es für das Arbeiten mit Gruppen daher sein, dem Kennenlernen zu Beginn bewusst Raum einzuräumen und auch später immer wieder Phasen jenseits des Fachlichen einzubauen.

Bei einem der letzten zweitägigen Workshop, die ich geleitet habe, habe ich beispielsweise am ersten Tag viel Energie darauf verwendet, Gruppenprozesse anzustoßen — durchaus an einem Inhalt aufgehängt, aber im Fokus stand er eigentlich nicht. Das stellenweise geäußerte Feedback nach Tag 1, dass ja „nicht so viel herumgekommen“ sei, konnte ich gut verschmerzen. An Tag 2 hatten nämlich wissenschaftliche MitarbeiterInnen offenbar überhaupt kein Problem damit, sich vor und mit versammelter Mannschaft zur Auflockerung zur Amöbe, Fliege, Frosch, T-Rex oder Affen zu machen. Wir haben als Erwachsene Menschen Evolution gespielt und hatten einen Heidenspaß dabei. Ich habe auch ein Video davon, aber das öffentlich bereitzustellen, müsste ich dann vielleicht doch klären :-)

Die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden ist „kühl“

Wie bereits angedeutet: In der Welt er Wissenschaft schwingt immer Objektivität mit. Das ist für die Forschung an sich auch gut so, wenngleich auch da Emotionen mitschwingen. Für die Lehre ist es aber in meinen Augen ein Irrglaube, den Faktor Mensch außen vor lassen zu können. Manch einer mag es als Ausdruck von Professionalität verstehen, wenn er sich einzig auf das Fachliche beschränkt und keine Beziehung zu den Studierenden eingeht, weil er darunter gleich unfaire Verbrüderung oder etwas in der Art versteht. Eine Vorlesung ist kein Fachbuch in mündlicher Form, wie es Friedemann Schulz von Thun sagte. Wer sich zum Pseudo-Buch degradiert, bekommt halt weniger Antworten. Mit Büchern redet man eher selten, selbst wenn darin Fragen gestellt werden.

kalte Winterlandschaft

steiles „Hierarchiegefälle“ zwischen Lernenden und Lehrenden

Man kann machen, was man will: Ein gewisses Hierarchiegefälle zwischen Lernenden und Lehrenden lässt sich kaum vermeiden. Manch einer erzittert vor Erfurcht bereits vor der Amtsbezeichnung Professor, obwohl das ein ganz lockerer Typ sein kann. Und selbst wenn jemand ein Semester zuvor selbst noch Studierender war, darf er nun womöglich mitentscheiden, wenn es um Noten geht. Das bringen die unterschiedlichen Rollen nun einmal mit sich. Ein solches Gefälle empfinde ich an sich auch nicht als Problem; nur wenn es zu steil wird, dann sollte man sich womöglich um etwas Ausgleich bemühen. Ich nenne es wieder Beziehungsarbeit.

Diskussion ist unpassende Kommunikationsform

Last but not least: Eine Diskussion kann schlicht für bestimmte Ziele, Personen oder Rahmenbedingungen eine unpassende Kommunikationsform sein oder schlecht geleitet werden. Dann sollte man nicht zögern und sie durch etwas anderes austauschen.


Puh, das waren viele Gedanken zu dem Thema. Wenn ihr noch Luft habt, freue ich mich wie immer über Kommentare! Wie soll es weitergehen? Wollt ihr statt Texten vielleicht auch mal kurze Videos zu solchen und ähnlichen Fragestellungen? Lasst es mich wissen!