Niemand sagt etwas (in großen Gruppen)… Teil 2

Neulich wollte ich eine der typischen Fragen bearbeiten, die uns in der Hochschuldidaktik immer wieder unterkommen: „Wie bekomme ich Studis dazu, mir zu antworten?“ In weiten Teilen habe ich sie umschifft und mich zunächst den Ursachen gewidmet, denn das erschien mir deutlich sinnvoller. Auf mehrfachen Wunsch gehe ich nun aber etwas mehr auf einige Maßnahmen ein, die ergriffen werden können.

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Wichtig ist mir immer noch, Maßnahmen nicht blind einzusetzen, weil sie gerade irgendwie passend erscheinen. Wenn sie an der Ursache für das Schweigen vorbeigehen, kann man sich den Aufwand vermutlich auch sparen. Wenn die Maßnahme nicht zu mir selbst passt, wird es auch schwierig. Aber genug der Vorrede!

Ich schlage in den weiteren drei Texten (es ist nämlich ganz schön viel geworden) einfach ein paar Möglichkeiten vor, die ich im ersten Teil noch nicht genannt habe, aber zu den denkbaren Ursachen aus der Tabelle passen. Ich erhebe aber überhaupt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und freue mich über eure Ergänzungen und Diskussionen in den Kommentaren!

Rahmenbedingungen (GLOBE)

Unter Rahmenbedingungen fasse ich alles zusammen, was man als organisatorische, strukturelle oder gar sozio-kulturelle Ursachen bezeichnen könnte.

Bei hoher Teilnehmerzahl können sich Einzelne verstecken

Die Situation findet sich häufig gerade in Vorlesungen in großen Hörsäalen. Vielleicht ist sie dem Phänomen der Verantwortungsdiffusion ähnlich, das die Psychologie beispielsweise bei Verkehrsunfällen ausgemacht hat: Allen ist klar, dass eine Aufgabe ansteht, aber er wird immer unwahrscheinlicher, dass jemand die Initiative ergreift, je mehr Personen anwesend sind.

Helfen können hier bereits Kleinigkeiten wie Blickkontakt oder das Verringern der physischen Distanz — wie oft verschanzen sich Lehrende hinter Pulten oder Tischen… Denkbar ist es auch, Personen gezielt anzusprechen. Dabei macht natürlich der Ton die Musik — ein Verhör sollte es nicht werden, und ein vorwurfsvolles „Wissen Sie die Antwort denn nicht?“ verspricht weniger Erfolg als ein einladendes „Was geht Ihnen dazu durch den Kopf?“ Und was spricht dagegen, die Studierenden zunächst selbst nachdenken zu lassen, die Frage dann in kleinen Gruppen diskutieren zu lassen, bevor man sie ins Plenum holt? Das „Verstecken“ wird dann schwieriger. Das Prinzip (Listen)-Think-Pair-Share lässt grüßen.

Die Veranstaltung findet sehr früh oder spät am Tag statt

An diesem Problem ist organisatorisch nicht unbedingt etwas zu machen, denn Veranstaltungen um 08:00 Uhr morgens oder gegen 18:30 abends lassen sich im Hochschulbetrieb kaum vermeiden. Versuchen kann man es natürlich trotzdem. Damit muss gar nicht das zeitliche Verschieben des Termins gemeint sein, sondern das Verlagern von kollaborativen Elementen mittels digitalen Medien. Diskussionen können damit etwa auch asynchron geführt werden. Das bringt natürlich wieder andere Schwierigkeiten mit sich, klar, deshalb zwischendurch nochmals der Hinweis: Lehren ist keine Tütensuppe zum Nachkochen. Wer hier ein Patentrezept erwartet, ist leider verkehrt.

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Wenn man nichts ändern kann, aber sich wenigstens klarmacht, dass viele Menschen um diese Uhrzeiten noch nicht ganz wach beziehungsweise schon etwas müde sind und sie weniger Elan haben, dann hilft das auch schon. Die Stellschraube ist in diesem Fall die eigene Erwartungshaltung.

Andere Lehrende stellen kaum Fragen oder verzichten auf Diskussionen

Selbst dann, wenn man der coolste, begeisterungsfähigste und engagierteste Lehrende ist, ist man an Hochschulen nicht allein. Andere Lehrende konditionieren Lernende gewisserweise mit. Wenn 95 % der übrigen Lehrenden „Mitschreibveranstaltungen“ anbieten, sind sie womöglich mitverantwortlich für eine Konsumhaltung der Studierenden. Eigentlich finde ich das sowieso unerlässlich, aber besonders in diesem Fall sollte von Beginn an klar gemacht werden, warum man wie und in welcher Atmosphäre das Semester über arbeiten möchte. Wahrscheinlich lag es nicht einzig daran, aber mir sind damit auch an Unis wenig verbreitete Ansätze wie LdL gelungen. Ein wenig Beharrlichkeit zahlt sich aus.

Auf lange Sicht sollte vielleicht eher die Ursache angegangen werden. Das Problem der Konsumerwartung wäre schließlich geringer, wenn mehr Lehrende nicht vorrangig Vorträge hielten. Ändern kann man aber nur sich selbst. Von daher ist das Vorangehen mit „gutem“ Beispiel vermutlich der erste Schritt.

In der Veranstaltung folgen (langen) rezeptiven Phasen sofort sehr interaktive

Das Problem habe ich im ersten Teil des Beitrags „Kippschalter“ genannt. Ihr könnt dort nachschlagen.

Die Akustik des Raums eignet sich kaum für Diskussionen im Plenum

Das Braunschweiger Audimax etwa ist ein akustischer Fail: Zwischen Bühne und Auditorium gibt es so etwas wie eine Schallwand. Es ist unglaublich schwierig, selbst aus vorderen Reihen Wortbeiträge aus dem Plenum zu verstehen.

Wer möchte, kann sich natürlich eine abgefahrene technische Lösung ausdenken, angefangen bei Mikrofonen, die herumgereicht werden wie bei Michael Sandell bis hin zu Diskussionen in einem zusätzlichen Online-Kanal wie Twitter. Vielleicht sollte man in diesem Fall aber schlicht auf Diskussionen im Plenum verzichten und sich anderer Wege bedienen?


Weiter geht es am Mittwoch um 12:00 Uhr mit dem Teil zum Individuum (ICH). Bis dahin freue ich mich auf eure Anregungen in den Kommentaren!

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