Der Flipped Classroom: Haben wir einfach keine Lust?

Dass ich kein großer Freund der monokulturartigen, klassischen Vorlesung an Universitäten bin, dürfte aufmerksamen Lesern dieses Blogs nicht entgangen sein. Da werden Studierende in einen Raum zusammengebracht, wo sie von- und miteinander lernen könnten, müssen dann aber still sein und in den Kinomodus schalten. Vorne spielt die Musik. In einem festen Tempo, in einem festen Rhytmus, zu einer festen Zeit. Wer dann nicht da ist, geht leer aus. Wer es gerne langsamer oder schneller, häppchenweise oder wiederholt hätte, hat Pech gehabt.

Wieso sollte man diese kostbare Zeit vergeuden, in der sich Lehrende und Studierende tatsächlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen? Wenn ich ausschließlich Input zu liefern habe, kann ich den auch in ein Video verpacken und vor einem Termin zur Verfügung stellen. Das kann man sich beliebig oft zur gewünschten Zeit anschauen. In der Veranstaltung selbst kann ich dann darauf aufbauen und damit richtig arbeiten, Fragen dazu beantworten oder über bestimmte Aspekte diskutieren. Statt in der Uni den Stoff präsentiert zu bekommen und ihn zu Hause zu üben und zu vertiefen, wird der Spieß einfach umgedreht. Das wird daher auch Flipped Classroom genannt.

Die Idee ist mal wieder nicht neu, aber trotzdem weit davon entfernt, weit verbreitet zu sein. In meinem eigenen Studium nutzte ein Informatikprofessor aufbereitete Videos seiner Vorlesungsinhalte inklusive passender Einspieler zu besonderen Aspekten, etwa Bilder, die er im Silicon Valley gemacht hatte. Die Präsenzveranstaltungen bauten dann auf dem auf, was in den Videos schon vorgestellt wurde. Nach demselben Prinzip wird etwa in der Fachhochschule Osnabrück mit Podcasts vorgegangen.

Etwas bekannter wurde das Konzept aber jetzt – wie sollte es anders sein – durch einen Lehrer in den USA: Salman Khan hat hunderte von Videos in der Khan Academy zur Verfügung gestellt, einer Lernumgebung, in der man selbständig Lektionen bearbeiten und seine Fortschritte festhalten kann. Khan erklärt das ausführlicher in einem TEDx-Vortrag.

Warum kommt so etwas in Deutschland eigentlich nicht in die Gänge? Fehlt es an Geld? Um das Konzept überhaupt zu nutzen, braucht es eigentlich nicht viel. Christian Spannagel etwa stellt die Videos seiner umgedrehten Mathematikvorlesung einfach bei YouTube ein. Mit einer speziellen Plattform gäbe zwar sicher noch einen Zusatznutzen, aber machbar ist es auch so. Jetzt. Haben wir vielleicht einfach keine Lust dazu? Lust dazu, uns selbst ein wenig umzuwöhnen und ein paar Anstrengungen auf uns zu nehmen? Ich denke, da kommen wir der Sache schon näher. Ich kann nun zwar nur von Professoren sprechen, nicht von Lehrern, aber von deren Seite habe ich schon verschiedene Vorbehalte gehört.

1. Der Reputationsbewusste
„Was, wenn ich vielleicht einmal einen Fehler mache? Dann können das ja auch andere Professoren mitbekommen.“ Sehen wir einmal davon ab, dass man die Videos nicht zwangsläufig der ganzen Welt zugänglich machen muss: Hier fürchtet jemand um seine Reputation. Kollegen könnten sich ja über eventuelle Pannen lustig machen. Studierende werden dazu angehalten, sich nicht vor Fehlern zu fürchten, selbst wollen einige Professoren aber doch lieber ein makelloses Scheinbild von sich präsentieren.

2. Der Besitzstandswahrer
Ein anderer Professor fürchtete, Politiker könnten an den Arbeitsplätzen seiner Zunft sägen, weil die Aufzeichnungen sie überflüssig machen könnten. Wäre das denn möglich? So ist es jedenfalls nicht gedacht, denn die Videos sollen die Präsenzzeit nicht ersetzen, sondern ergänzen. Aber dann müssen Professoren natürlich wirklich gut lehren statt nur 90-Minuten-Monologe zu halten. In den Worten von Gunter Dueck hieße das, der Commodity-Teil kann durch Dienste im Internet erbracht werden und der Premium-Teil bleibt übrig, für den man aber professionell intelligent sein muss. Ist der Professor das nicht und bietet auch nichts, was über die Präsentation von Inhalten hinausginge, warum sollte man das nicht mit Videos abdecken? Hier kommt jedoch noch eine Befürchtung ins Spiel: Selbst wenn ein Professor professionell intelligent wäre und richtig etwas auf dem Kasten hätte, würden Politiker das nicht sehen und die Videos als vollwertigen Ersatz ansehen – und auf lange Sicht Stellen abbauen.

3. Der Gekränkte
Von einem anderen Professor habe ich gehört, er hätte seine Vorlesungen aufgezeichnet und nachträglich ins Netz gestellt. Das ist zwar nicht die Idee des Flipped Classroom, aber dennoch entstehen schon hier Vorbehalte gegen Videos. Hier kam es nämlich dazu, dass kaum noch jemand die Veranstaltung besuchte. Das ist eigentlich nicht tragisch, denn mit weniger Leuten lässt sich besser interagieren und Studierende sind erwachsene Menschen und können selbst entscheiden, ob sie die Gelegenheit wahrnehmen möchten oder nicht. Offenbar sehen sie in den Videos aber einen guten Ersatz für die Vorlesungen mit den eingangs erwähnten Vorzügen. Beim Professor kommt das allerdings als Geringschätzung seiner Arbeit und vielleicht sogar seiner Person an. Indem er die Studierenden quasi drängt, seinen Vorträgen live zu lauschen, täuscht er sich zumindest selbst. „Das Haus ist voll, ich mache gute Arbeit.“

Wenn also jemand etwas wie eine deutsche Khan-Academy vorantreiben möchte, sollte er sich in meinen Augen nicht nur auf die Finanzierung und Erstellung einer Infrastruktur beschränken. Vielleicht ist es das viel größere Problem, die Menschen mitzunehmen, die bisher die Lehre leisten und denen ein Umdenken schwer fällt: „Bisher sind wir ja auch gut damit gefahren.“, „Denkt doch mal an die ganzen Risiken!“,  „Das ist ein Hype, der geht vorbei, man muss nicht alles mitmachen.“ Oder können wir das vernachlässigen und uns am viel beschworenen und oft gescholtenen System doch irgendwie vorbeimogeln?

Explorism #1

Am vergangenen Donnerstag war ich bei Matthias Fromm in Berlin zu Gast, der mich für seinen neuen Podcast als Gast eingeladen hatte. Er möchte gerne über Menschen in der weiten Welt der Wissenschaft berichten, von deren Projekten und Erlebnissen. Und irgendwie passe ich da ja auch hinein.

In der Erstausgabe plaudern wir über meine bitte, bitte irgendwann vielleicht doch mal fertig werdende Doktorarbeit rund um Lernen durch Lehren, öffentliche Wissenschaft und was man in der Uni so für Eindrücke gewinnen kann. Wohin sich das Format einmal entwickeln wird, ist bisher offen, aber ich finde die Idee spannend. Und da ich außerdem auch gerne den collaborative rockers lausche, einem anderen Projekt von Matthias, freue ich mich auf die nächsten Folgen.

Hört doch auch mal rein!

Wissen und Macht und Präsentationskunst

Gerade lese ich die Bücher von Garr Reynolds, in denen er sich dem Thema Präsentieren widmet. Er beschreibt darin, wie wichtig Planung und Vorbereitung sind, was gutes Design ausmacht (mehr als Schmuckwerk), warum Schlichtheit wichtig ist und man Folienumente verbannen sollte, wie bedeutsam es ist, die Zuhörer einzubeziehen und ganz viele andere Dinge. Die Bücher sind wirklich gut!

Ich habe das selbst noch nicht alles ausprobiert, ich kann das nicht alles auswendig wiedergeben oder gar umsetzen. Aber ich war am Donnerstag und Freitag in Berlin auf der Tagung Wissen und Macht – die neue Freiheit im Internet? und habe mal ganz bewusst auf die Präsentationen der Vortragenden geachtet – und mit Präsentation sind hier nicht bloß Folien gemeint, sondern der gesamte Auftritt. Da gab es ganz unterschiedliche Ansätze, von denen ich ein paar herausgreife.

Verena Metze-Mangold (Vizepräsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission) hat beispielsweise vom Blatt abgelesen und dazu eine PowerPoint-Wüste zur Visualisierung benutzt. Der Text war zwar ausgefeilt, aber als Vortrag kaum verfolgbar, und die grafische Unterstützung alles andere als hilfreich. Anders war das bei Sigrid Baringhorst (Professorin in Siegen). Sie hat zwar auch aus einem Manuskript gelesen – zwar irgendwie unpersönlich – aber auf eine Weise , dass man ihr recht gut folgen konnte. Ihre ebenfalls textlastigen Präsentationsfolien hätte sie nach meinem Empfinden einfach weglassen sollen, die waren nicht schön und wirkten ablenkend.

Frau Metze-Mangold präsentierte mit einem Folienument

Frau Metze-Mangold präsentierte mit einem Folienument

Offenbar gestützt auf einige Stichworte, ganz ohne grafisches Beiwerk, sprach Constanze Kurz (Sprecherin des Chaos Computer Club). Gleichwohl ich ihre Art ein wenig zu bedächtig fand, gefiel mir ihr Vortrag gut. Stephan Urbach (Netzaktivist) ging ähnlich vor und nutzte Karteikärtchen, die jedoch leider für einen etwas stockenden Redefluss sorgten. Bis auf einen Schuss zu viel Demagogie gefiel mir aber, dass er eine Geschichte erzählte und nicht einfach kalte Fakten vorstellte.

Sehr frei und energisch sprach Frank Schomburg (nextpractice GmbH), da wurde man wach. Seine Präsentationsfolien waren teilweise allerdings überladen und wurden in einem so flotten Tempo an die Wand geworfen, dass ich die Inhalte nur schwerlich nachvollziehen konnte.

Zum Schluss kam Gunter Dueck (ehemaliger CTO von IBM Deutschland) an die Reihe. Als einziger löste er sich vom Platz hinter dem Rednerpult, das die Verbindung zum Publikum hemmt. Außerdem stieg er nicht gleich ins Thema ein, sondern begann mit einer persönlichen Erzählung. Da fühlt man sich wohl. Allerdings kamen mir viele Folien schlicht überflüssig vor, die hätte er gar nicht benötigt, und ich fand sie optisch auch nicht unbedingt hilfreich. Zudem hatte ich persönlich das Gefühl, dass dem Vortrag eine klare Linie fehlte und von allem ein bisschen drin war, aber nicht unbedingt passend zum Vortragstitel. Dass Herr Dueck das Zeitlimit gnadenlos überschritt, gehört wohl ebenso nicht zum guten Ton, aber da zumindest ich seine Rede sehr unterhaltsam fand: verziehen :-)

Gunter Dueck nah dran am Publikum

Gunter Dueck war nah dran am Publikum

Wenn ich nun mein persönliches Gefühl mit dem vergleiche, was Garr Reynolds in seinen Büchern schreibt, dann muss ich ihm recht geben. Schlechte Präsentationsfolien schaden einem guten Redner im schlimmsten Fall deutlich mehr als sie nutzen, und ein schlecht vorbereiteter und gehaltener Vortrag wird durch schöne Bilder allein auch nicht gerettet. Ein weiterer Punkt, an dem ich selbst arbeiten muss.