Gedankensalat zur öffentlichen Wissenschaft

Zusammen mit Christian Spannagel arbeite ich gerade an einem Beitrag zum Thema öffentliche Wissenschaft (mit Schwerpunkt Forschung) und habe mir dazu heute Gedanken gemacht. Den Salat, der dabei herausgekommen ist, stelle ich einfach kurz vor. Muss gar nichts weltbewegend Neues dabei sein. Wer dazu Anmerkungen hat, wer vielleicht gar jemanden kennt, der sich dazu schon Gedanken gemacht und die veröffentlicht hat – immer her damit!

1. Gedankengang: Der Grad der Exklusivität wissenschaftlicher Erkenntnis verringert sich beständig

Sieht man sich die Geschichte der Wissenschaftswelt an, stellt man fest, dass sich der Zugang zu ihren Erkenntnissen weiter und weiter verbreitert hat. Schrieben sich Gelehrte vor Hunderten von Jahren noch untereinander Briefe und behielten Entdeckungen auch schon einmal für sich, werden die Ergebnisse von Forschung heute in Zeitschriften und Büchern veröffentlicht. Deutlich mehr Menschen haben dadurch Zugriff auf das darin konservierte Wissen. Einen weiteren Schub zu einer noch größeren Öffnung bieten Initiativen wie Open Access.

Für den nächsten Schritt brauchen wir einen Klassiker aus den Wirtschaftswissenschaften, die Klassifizierung von Gütern nach Ausschließbarkeit und Rivalität:

  • Ausschließbarkeit: Ich kann wirksam und verhältnismäßig verhindern, dass jemand ein Gut nutzen kann oder nicht. Ein Buch kann ich beispielsweise in einen Tresor einschließen, und jemand müsste schon viel Mühe aufbringen, wenn er es lesen wollte. Bei Atemluft wird das schon deutlich schwieriger.
  • Rivalität im Konsum: Was der eine hat, kann der andere nicht haben. Wenn ich ein Stück Kuchen esse, kann das nicht gleichzeitig ein anderer futtern. Wenn ich aber Radio höre, sind die Funkwellen für meinen Nachbarn nicht plötzlich weg.
Güter nach Ausschließbarkeit und Rivalität

Güter nach Ausschließbarkeit und Rivalität

Die Trennlinien können – wie so oft – nicht scharf gezogen werden, aber es lässt sich daraus eine zweidimensionale Matrix erstellen, bei der die beiden Dimensionen Ausschließbarkeit und Rivalität im Konsum auf den Achsen aufgetragen werden und man dann vier Felder erhält, die verschiedene Güterarten bezeichnen. Besteht bei etwas keine Rivalität im Konsum, aber ich kann andere von der Nutzung ausschließen, nennt man das zum Beispiel ein Klub-Gut. Es könnten etwa beliebig viele Mitglied in einem Buchklub werden, ohne sich gegenseitig zu stören, aber es könnte beschränkt werden, wer Mitglied sein darf.

Zurück zur Wissenschaft. Denken wir uns die wissenschaftliche Erkenntnis als ein Gut vor, dann würde ich bei dieser keine Probleme mit der Rivalität sehen (oder irre ich mich?). Wenn jemand etwas lernt, verlernt dadurch ein anderer nichts. Wissenschaftliche Erkenntnis war aber früher ziemlich exklusiv, der Zugang zu ihr wurde stark reglementiert (etwa durch die Kirche) oder freiwillig begrenzt (Geheimhaltung). Es lag ein Klub-Gut vor. Durch die Aufklärung und die Errichtung des Publikationswesens und von Bibliotheken sanken jedoch die Zugriffshürden bereits beträchtlich. Open Access und Co. verstärken diese Marschrichtung. Jemanden von wissenschaftlichen Ergebnissen auszuschließen, scheint immer schwieriger zu werden. Können wir von wissenschaftlicher Erkenntnis (bald) als öffentliches Gut sprechen?

2. Gedankengang: the final frontier?

Bei dem bisher geschriebenen konnte man wissenschaftliche Erkenntnis als Produkt interpretieren – als Artikel in einer Zeitschrift, als Buch, vielleicht auch als Vortrag auf einer Konferenz. Eine gewisse Form der Ausschließbarkeit findet sich dann immer noch in der Art der Darstellung, in der Sprache. Wenn jemand ein solches Produkt erstellt, tut er dies für eine bestimmte Zielgruppe. Oft unterscheidet man in Wissenschaftler (des eigenen Fachs) und Nicht-Wissenschaftler und macht das an der Zugehörigkeit zu einer Forschungseinrichtung fest. Diese Einteilung übernehme ich an dieser Stelle der Einfachheit halber. Wir finden dann im Internet auf Seiten der Wissenschaft etwa arXiv.org, wo zahlreiche wissenschaftliche Artikel für jedermann kostenlos zugänglich sind (Open Access). Für Nicht-Wissenschaftler gibt es beispielsweise Aufzeichnungen von Quarks&Co. Verhindern kann man natürlich nicht, dass Wissenschaftler sich Quarks&Co anschauen oder Nicht-Wissenschaftler sich wissenschaftliche Artikel durchlesen, aber es wird vorab von einer bestimmten Zielgruppe ausgegangen.

Produkte und Prozesse in der Wissenschaft

Produkte und Prozesse in der Wissenschaft

Wissenschaft lässt sich aber auch als ein Prozess betrachten, der bestimmte wiederkehrende Bausteine umfasst – etwa Themenfindung, Entwurf eines Forschungsdesigns oder der Auswertung von erhobenen Daten. Da hat aber in der Regel niemand einen Einblick, das ist ziemlich exklusiv. Christian Spannagel und ich sind der Ansicht, dass auch hier eine Öffnung Vorteile für viele Beteiligte bringen könnte; sowohl für denjenigen, der seine Arbeitsabläufe für andere erlebbar macht, als auch für diejenigen, denen diese Chance gewährt wird. Das geht etwa über die kontinuierliche Arbeit in frei zugänglichen Wikis, Reflexionen in Blogs, usw. Das führe ich hier nicht aus. Ich habe aber auch hier eine Matrix gebastelt, bei der ich auf der einen Achse die Trennung in Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler aufgetragen habe, bei der anderen in Produkte und Prozesse.

Schwierigkeiten bereitet mir die obere Zeile mit den Prozessen. Während es mir bei Produkten irgendwie einleuchtet, dass diese für eine bestimmte Zielgruppe gestaltet werden, stört mich diese Unterscheidung bei Prozessen. Den Balken habe ich daher grau statt schwarz gezeichnet. Ich habe den Eindruck, bei Prozessen entscheiden vielmehr die Konsumenten bzw. Teilhabenden, ob diese für sie gemacht sind oder nicht. Eine Abgrenzung zwischen so etwas wie Prozessen für Wissenschaftler und Prozessen für Nicht-Wissenschaftler finde ich schwieriger, kann es aber noch nicht besser in Worte fassen. Falls mir dazu jemand einen geeigneten Gedankenanstoß liefern kann – egal ob die Grafik dann hinfällig ist oder nicht…

3. Gedankengang: Transparenz ist nicht Partizipation

Das ist nur ein ganz kleiner Gedankengang zum Thema Prozesse der Wissenschaft. Schön wäre es schon, wenn die Prozesse transparent würden und man Wissenschaftlern quasi beim Arbeiten zuschauen könnte und man mitbekäme, wie das wirklich alles funktioniert. Es wäre ja schon eine gewisse Neuheit, wenn man auch die ganzen Fehlschläge mitbekommen würde. Schöner wäre es aber, wenn auch diese Nicht-Wissenschaftler sogar etwas zur wissenschaftlichen Erkenntnis beitragen könnten. Das geht! Ich glaube aber auch nicht, dass alles geht. Diese Unterscheidung zwischen Transparenz und Partizipation scheint mir noch wichtig zu sein. Eine dritte Grafik habe ich aber dazu nicht gezeichnet :-)

3 thoughts on “Gedankensalat zur öffentlichen Wissenschaft

  1. Wir haben zumindest einen kleinen Schritt in die Richtung gemacht und lassen uns zu einem bestimmten Grad über die Schulter schauen (http://www.mechlab.de/index.php/blog/), aber selbst an einer Hochschule geht das nicht immer.
    Wenn ich an die Entwicklung im Industrieumfeld denke, ist es völlig ausgeschlossen, dass das öffentlich wird. Es wird ja auf so hohem Niveau geforscht, dass es ohnehin nicht viele Leute auf der Welt gibt, die dazu noch etwas beizutragen haben oder womöglich helfen könnten. In sofern ist es illusorisch, dass für den veröffentlichenden etwas dabei heraus springt, außer vielleicht, dass er dem Konkurrenten mitteilt, wie gerade der Arbeitsstand ist.
    Leider wird an Hochschulen kaum noch aus reiner Lust geforscht, sondern fast alles ist drittmittelfinanziert. Wenn jemand da Geld rein steckt, dann möchte er auch die Ergebnisse, an sonsten wäre es ja wissenschaftliches Crowdfunding, das wäre dann wirklich 100% öffentlich.

    1. Nein, immer geht das nicht. Immer wäre es sicher nicht sinnvoll. Immer haben wir auch nicht im Sinn. Dass es gar nicht geht, glauben wir allerdings ebenso wenig – und es gibt ja auch Beispiele dafür.

      Dass es auch für Unternehmen nicht ausgeschlossen ist, Forschungsprozesse durchlässiger zu gestalten, zeigt der Bereich „Open Innovation“, der seit nunmehr 10 Jahren durch die BWL-Theorie und BWL-Praxis geistert. Sicher auch nicht überall sinnvoll, aber eben auch nicht unmöglich.

      Zu den Hochschulen gibt es nur ein *seufz* von mir…

  2. Kommentar auf Google+
    Ich finde Deine Gedanken – wie immer – interessant und nachvollziehbar. Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, dass die Wissenschaft sehr selbstreferenziell ist. Hilf mir mal bei der Transformation in die Kommunal-, Wirtschafts-, oder Soundso – politik … und: Geht das eigentlich? Öffentlichkeit ist auch Publizität und das hört sich schon so ähnlich wie Politik an, um einmal assoziativ einzuwerfen.

    Antwort dazu
    Ja, diese Selbstreferenzialität gibt es. Dass das hier der Fall ist, liegt daran, dass sich der Beitrag auf der Metaebene mit Wissenschaft beschäftigt (wie funktioniert die Wissenschaft) und nicht mit „normalen“ Erkenntnisobjekten.

    Ein naiver Transfer auf die Politik scheint mir auf den ersten Blick gar nicht sooo schwierig, oder? Nachdem Politik lange von exklusiven Zirkeln (oder gar Einzelpersonen) gemacht wurde, kam irgendwann die Demokratie. Und das Internet legt auch da noch eine Schippe drauf.
    Solche 1:1-Übertragungen sind allerdings schwierig. Sollte das klappen, kann man u. U. viel von benutzen, was es schon gibt. Wenn ich eine mathematische Struktur untersuche und feststelle, „hey, das ist eine Gruppe“, dann weiß ich, das dafür alles gilt, was für Gruppen gilt. Ist in den Geisteswissenschaften nicht ganz so einfach, aber falls Wissenschaft kein Klub-Gut ist, sondern ein öffentliches Gut, dann sollte man vielleicht auch zur Verbreitung auf Erkenntnisse des Marketing für öffentliche Güter zugreifen, nicht für Klub-Güter. Oder falls etwa eBooks nicht mehr unter Privatgüter fallen, weil die Rivalität flöten geht und die Ausschließbarkeit nur durch Deep Packet Inspection sichergestellt werden kann, sollte man eventuell zu solchen Geschäftsmodellen greifen, die nicht für private Güter gemacht sind.

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