Wissenschaftliches Denken ist, banal gesagt, eine Methode zur Überprüfung von Vermutungen, Wenn ich vermute: „Im Kühlschrank könnte noch Bier sein…“, und ich schaue nach, dann betreibe ich im Prinzip schon eine Vorform von Wissenschaft. In der Theologie dagegen werden Vermutungen in der Regel nicht überprüft. Wenn ich also nur behaupte: „Im Kühlschrank ist Bier“, bin ich Theologe. Wenn ich nachsehe, bin ich Wissenschaftler. Wenn ich nachsehe, nichts finde, aber trotzdem behaupte: „Es ist Bier drin!“, dann bin ich Esoteriker. – Vince Ebert
Ist es so einfach? Betrachte ich mich selbst kritisch, muss ich mir einige Versäumnisse vorwerfen: Zwar habe ich ein intuitives Verständnis davon, was Wissenschaft bedeutet und ausmacht, aber wirklich auseinandergesetzt damit habe ich mich nicht – und ich will ein Wissenschaftler sein?
Auf meiner Wikiversity-Seite möchte ich mich daher der Wissenschaft auf die Spur machen und lade Reisende gerne dazu ein, auf den Zug aufzuspringen und mich ein Stück auf meiner Reise zu begleiten. Es gibt dafür viel freien Platz auf der Diskussionsseite, und vielleicht entsteht ja auch etwas Größeres daraus.
Die folgende Liste deutet den Pfad an, den ich einschlagen werde. Da ich aber gerade einmal ein bis zwei Stationen weit sehen kann (und erst einmal nur mein Bücherregal entlang), wird sich die Route sicher noch deutlich verlängern und verändern, und ich erwarte auch Umwege und Irrwege. Jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Den letzten kann ich gar nicht absehen – falls es einen solchen überhaupt gibt. Das ganze wird also eine Art Langzeit-Ideensammlung. Zu jedem Buch werde ich dann meine Gedanken und Eindrücke niederschreiben – ich bin gespannt, wann ich zum ersten Mal frühere Aussagen revidieren werde.
- Wissenschaftstheorie und wissenschaftliches Arbeiten von Martin Kornmeier
- Wege der Wissenschaft: Einführung in die Wissenschaftstheorie von Alan F. Chalmers
- Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen von Thomas S. Kuhn
- Einführung in den Konstruktivismus von Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld und Peter M. Hejl
- Die erfundene Wirklichkeit von Paul Watzlawick
- Wie wirklich ist die Wirklichkeit von Paul Watzlawick
- Die Logik der Forschung von Karl R. Popper
- Alles Leben ist Problemlösen von Karl R. Popper
- Auf der Suche nach einer besseren Welt von Karl R. Popper
- Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf von Karl R. Popper
- Der Wert der Wissenschaft von Henri Poincaré
- Wissenschaft und Methode von Henri Poincaré
- Wissenschaft und Hypothese von Henri Poincaré
- Erziehung zur Mündigkeit von Theodor Adorno
- How we think von John Dewey
Ich hoffe, ich komme damit bald mal in die Puschen…
Ein schönes Vorhaben auf das ich mehr als gespannt bin!
Ich könnte mir übrigens vorstellen, dass Max Webers „Wissenschaft als Beruf“ durchaus auch auf die Liste passen könnte! Es ist zwar etwas älter (1953), widmet sich aber (Groteils auf philosophische Weise) vielen interessanten Fragen, z.B. der nach dem Sinn akademischer Wissenschaft und der Beschreibung der Wissenschaft als Durchlauf einer ganzen Reihe von Illusionen.
Auch Sloterdijks „Scheintod im Denken: Von Philosophie und Wissenschaft als Übung“ habe ich für mich als einen sehr guten Einstieg in das Thema empfunden. Besonders auf Grundlage der Philosophie kann man herrlich von diesem buch als Ausgangspunkt in die verschiedensten Welten mäandern.
Ich wünsche auf jeden Fall viel Erfolg und hoffe auf spannende Beiträge und noch spannendere Diskussionen!
Jetzt wo du es sagst… „Wissenschaft als Beruf“ habe ich sogar hier im Sammelbändchen „Schriften zur Wissenschaftslehre“ – nur noch nie reingesehen :-) Das Buch von Sloterdijk werde ich mir auch mal ansehen. Vielen Dank!
Lieber Olli,
Es ist schön zu sehen, dass sich einer auf den Weg macht die vielen Diskussionen um „Bottom-up“ mal wirklich werden zu lassen. Denn so sehe ich deine Reise: Das Problem und die Frage an der Wurzel anpacken und sich nicht den bestehenden Strukturen zu unterwerfen. Weit gefasst; aber wie ich deine Einstellung kenne wird es eben auf deiner Reise an Irrwegen oder Unschärfe nicht fehlen, die eben den letzten Punkt, des in Fragestellens der Strukturen nicht zu kurz kommen lässt. Mal sehen wie du das für dich auslegst.
Ich jedenfalls werde dich begleiten und hoffe selbst einen Teil mitzugehen, nicht zuletzt um meine Frage zu klären: Warum forsche ich eigentlich?
Apropos, bald steht auch mal wieder eine „Fokusspiel-Episode“ auf dekomplex.de aus. Die Schärfe droht mir zu entgleiten :)
@Mattias einen schönen Blogeintrag hast du da Ollis Reiseankündigung gewidmet.
@Alexander Naja, ein kleiner Beitrag zur Bewerbung von Olivers Projekt, dass mir von grundauf sympathisch ist, stehe ich vor dem Hintergrund der Wissenschaftskommunikation doch selbst des öfteren vor der Frage was Wissenschaft eigentlich ist, sein kann und sein sollte – und damit natürlich vor der Herausforderung wie Wissenschaftskommunikation entsprechend konsequenterweise angelegt sein sollte. Übrigens ist hier die Parallele zu Deinem Punkt der „aufgebrochenen Strukturen“ denen man sich nicht unterwirft, denn das ist m.E. ein hochspannendes Moment in der Wissenschaftskommunikation: die Strukturen aufbrechen, Forschungsprozesse öffnen, Beteiligung zulassen, zuhören, Diskurs fördern.
Ich erhoffe mir also durchaus ein wenig Erkenntnisse für meine eigene Arbeit von Deinem Projekt Oliver! Daher, meiner Gesellschaft kannst Du Dir auf Deiner Reise sicher sein.
Cheers!
Hey, ihr beiden,
vielen Dank für die positive Rückmeldung! Jetzt muss ich aber auch Taten folgen lassen.
Ich werde nach und nach in der Wikiversity zunächst den Inhalt der Bücher zusammenfassen und auch gleich die Fragen notieren, die mir dazu kommen. Der Anfang ist schon gemacht. Daraus werde ich dann zu jedem Buch einen eigenen Blogbeitrag verfassen und zum Diskutieren einladen.
Ach, und „den Sloterdijk“ habe ich schon einmal in meinen virtuellen Einkaufswagen gelegt.
Wie war das doch gleich – Ankündigungen dienen nicht nur zur Orientierung und „Anfütterung“ der Leser, sondern (vor allem) auch der Erhöhung des extrinsischen Drucks! ;-) Bei mir bewahrheitet sich das zumindest…
Sieht ja durchaus nach einer fundierten Vorgehensweise aus, was Du planst. Schön! Übrigens fielen mir noch drei Werke ein, die man als Ergänzung der Literaturbasis hinzunehmen könnte. Aus den meisten lohnt sich allerdings nicht alles zu betrachten, sondern stellenweise einzelne Beiträge zu ergänzen. Hier die Ideen:
Thomas S. Kuhn „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“
(Kontroverse Arbeit, in der Kuhn den Erkenntnisprozess der Wissenschaften auf disruptive, revolutionäre Prozesse münzt. Seiner Ansicht nach findet der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn nicht als kontinuierlich, aufeinander aufbauender Fortschritt statt, sondern hat paradigmenwechselhafte Züge.)
Paul Feyerabend „Wider den Methodenzwang“
(Feyerabend hat einen nahezu anarchistischen Ansatz die Methodologie des Erkenntnisgewinns betreffend. Er dürfte also am ehesten an Alexanders „in Fragestellens der Strukturen“ nahekommen.)
Ludwik Fleck „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache: Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv“
(Eine nicht unumstrittene Arbeit, in der er die Erkenntnisgewinnung sehr stark an den Erkenntnisgewinner knüpft.)
Nur so eine Idee!
Ja, ist in der Tat ein Versuch von mir, mich damit anzutreiben. Und da sich ja auch jemand dafür interessiert :-)
Und danke für die Tipps, der „Kuhn“ ist aber schon an Nr. 3 gesetzt ;-)
Merke schon, der Titel „Langzeitgedankensammlumg“ war richtig gewählt…
Au Backe, da hab ich den Kuhn ganz übersehen – mea culpa!
Gerade den Kornmeier-Absatz in der Wikiversity gelesen. Der erste Punkt der Einteilung nach Raffée (Wissenschaft als Tätigkeit) bietet in der Tat schon Diskussionspotenzial. M.E. folgt der Erkenntnisgewinn nicht immer einer Systematik, wenngleich das Erkenntnisgewinnstreben systematisch angelegt, sich also einer nachvollziehbaren und zu großen Teilen formalisierten Methodik bedient.
Vom Wahrheitsbegriff mal ganz abgesehen! ;-) Übrigens habe ich zum Wahrheitsbegriff gerade eine sehr unterhaltsame Darstellung seiner verschiedenen Ausprägungen in Jürgen Hörisch’s „Theorie-Apotheke: Eine Handreichung zu den humanwissenschaftlichen Theorien der letzten fünfzig Jahre, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen“ gelesen. Kann ich zumindest empfehlen, auch wenn Kritiker wie Johan Schloemann (Literaturredakteur der SZ) da wohl eher weniger meiner Meinung wären.
(http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/341380/)
Ich bin also gespannt auf den ersten Blogartikel.
Cheers!