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„Die Gelehrtesten sind nicht immer die Leute, die die neuesten Ideen haben.“

Am vergangenen Montag habe ich im Rahmen unseres Planspielseminars einen Präsenztermin dem wissenschaftlichen Arbeiten gewidmet – nur als ganz kurzer Überblick, nicht zur Vertiefung. Zu Beginn einer Seminarsitzung versuche ich in der Regel, den persönlichen Bezug der Teilnehmer zum konkreten Thema des Tages etwas freizulegen, denn dadurch erfahre ich, an was ich anknüpfen kann und worauf ich vielleicht achten sollte. Diesmal habe ich folgende Methode ausprobiert, die ich am KHN kennengelernt habe:

Im Raum hatte ich Zettel mit Zitaten verteilt, die offensichtlich oder auch versteckt etwas mit Wissenschaft zu tun haben. Die Studierenden sollten sich alle Zitate ansehen und sich dann das aussuchen, das sie am ehesten mit Wissenschaft in Verbindung bringen. Als schöner Nebenaspekt hat man so auch etwas „Greifbares“. Im Anschluss sollten jeder sein Zitat laut vorlesen und kurz schildern, warum er es ausgewählt hat, warum er es besonders mit Wissenschaft in Verbindung bringt, was es bei ihm ausgelöst hat. Als kleines Schmankerl war der Urheber der Aussprüche nicht bekannt und durfte erraten werden.

Ergebnis: Ich finde, das hat sehr gut geklappt. Man erfährt etwas über die Studierenden, kann schon die vielen Facetten eines Themas andeuten und kommt sehr einfach ins Gespräch. Finde ich toll.

Und, ohne zu googlen, von wem stammt wohl das Zitat im Titel dieses Beitrags?

Foto eines Zettels mit der Aufschrift: "Die Gelehrtesten sind nicht immer die Leute, die die neuesten Ideen haben."

Die Gelehrtesten sind nicht immer die Leute, die die neuesten Ideen haben.

Die Kommunikationsmauer muss weg!

Man freut sich ja immer, wenn das eigene Tun eine gewisse Bestätigung erhält. Diese habe ich gerade indirekt durch Florian Freistetter bekommen, seines Zeichens promovierter Astronom und Wissenschaftsblogger. In einem aktuellen Beitrag berichtet er vom Forum Wissenschaftskommunikation in Mannheim und fasst einen Vortrag zum Thema „Twitter, Foren, Blogs: Chancen und Grenzen neuer Medien“ zusammen, der von Carsten Könnecker gehalten wurde (Chefredakteur bei Spektrum der Wissenschaft).

Er befürwortet es, dass Wissenschaftler immer stärker auch mit Nicht-Wissenschaftlern kommunizieren, obwohl sich dadurch auch seine eigene Rolle als Wissenschaftsjournalist verändert. Die Gesellschaft habe ein Recht darauf zu wissen, was mit öffentlichen Geldern finanziert werde – was ich als Freund von Open Access natürlich ohne zu zögern unterschreiben würde und was auch meinem Selbstverständnis als Öffentlicher Wissenschaftler entspricht. Ein „bestes“ Medium dafür gäbe es jedoch nicht. Jeder müsse für sich einen Weg finden, sei es bloggen, populärwissenschaftliche Vorträge halten oder sich für Kinderunis engagieren. Wichtig dabei sei es, nicht als „Wissenschaftler“ zu kommunizieren, sondern als „Mensch“. Das sehe ich ebenso. Wissenschaftler sollten in meinen Augen Menschen zum „Anfassen“ sein, mit all ihren großen Ideen aber auch kauzigen Seiten und durchaus auch Fehlern – auch wenn dies einige sicher als „mangelnde Professionalität“ interpretieren würden, als Überschreiten einer Grenze zwischen Arbeit und Privatleben. Und wer weiß, möglicherweise bekommt man dafür ja sogar eine Art Gegenleistung, wenn vielleicht auch in „unbarer Münze“.

Erste Babyschritte in der Wissenschaftstheorie – Teil 2

Wie gestern versprochen, heute der zweite Teil meiner Zusammenfassung zu Martin Kornmeiers „Wissenschaftstheorie und Wissenschaftliches Arbeiten“, mit der ich mir einen Überblick über das Thema Wissenschaft(stheorie) verschaffen möchte. Heute geht es um einige Begrifflichkeiten, die man wohl kennen sollte. Nehmt euch etwas Zeit zum Lesen, auch dieser Beitrag ist etwas länger als sonst.

In einer wissenschaftlichen Arbeit trifft man stets Aussagen, die im Gegensatz zu einer Leerformel informativ sein müssen, um überhaupt falsifizierbar zu sein. Aussagen lassen sich verschiedenen Blättern eines Baumes zuordnen, wie man in folgender Abbildung sehen kann.

Aussagen (nach Nienhüser/Magnus und Raffée)

Aussagen (nach Nienhüser/Magnus und Raffée)

Zu den nicht wahrheitsfähigen Aussagen gehören einerseits die normativen Aussagen, die festlegen, was sein soll. Sie setzen Werte und können nicht anhand eines Wahrheitskriteriums geprüft werden. Sie lassen sich aber (stark vereinfacht) prüfen, indem man die Folgen der Ziele und Mittel diskutiert. Solche, die nicht aktzeptabel sind, sollten nicht umgesetzt werden. Empfehlungen heißen quasi-normativ, da sie nicht bindend sind. Zu den nicht-wahrheitsfähigen Aussagen zählen außerdem meta-physische Aussagen, da sie empirisch schlicht gehaltlos sind.

Laut Kornmeier sei die Betriebswirtschaftslehre eine praktisch-normative Disziplin. Normative Aussagen sind aber nicht wahrheitsfähig, wie wir hier sehen – sie sind also nicht falsifizierbar. Zuvor hatte Kornmeier behauptet, die Betriebswirtschaftslehre sei vor allem geprägt vom Konstruktivismus und vom kritischen Rationalismus, und letzterer fordert gerade falsifizierbare Aussagen, wie wir gestern gesehen haben. Wie passt das nun wieder zusammen? Die Frage bleibt offen.

Innerhalb der wahrheitsfähigen Aussagen unterscheidet man logische von empirischen Aussagen. Während erstere durch die Regeln der Logik überprüfbar sind, misst man die übrigen an der Realität. Man gliedert hier nochmals in drei Typen:

  1. technologische Aussagen: Sie geben überprüfbar an, mit welchem konkreten Mittel man ein Ziel erreichen kann (und damit auch, dass dies möglich ist), sie sind aber nicht normativ, weil sie keine Aussage darüber treffen, welches Mittel genutzt werden soll.
  2. deskriptive Aussagen: Sie beschreiben einzelne Sachverhalte (singuläre Ereignisse) zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort. Ihr Wahrheitsgehalt kann in der Realität auch von anderen Personen überprüft werden und somit Prognosen bestätigen oder widerlegen. (Antezedenz-Bedingungen)
  3. explikative Aussagen: Sie sind in gewisser weise ebenfalls deskriptiv, beziehen sich aber auf einen umfassenderen Ausschnitt der Realität und liefern auch Gründe für die Beobachtungen. In strenger Form als nomologische Aussagen sind sie nicht gebunden an Raum oder Zeit und daher allgemeingültig, jedoch sind auch stochastische oder „tendenzielle“ Aussagen möglich.

Nomologische Aussagen haben einen hohen Informationsgehalt, doch ist es sehr wahrscheinlich, dass sie falsifiziert werden.
Stochastische Aussagen sind weniger einfach falsifizierbar, aber dennoch informativ und empirisch prüfbar – es erfolgt eine Abstraktion vom Einzelfall.
Tendenzielle Aussagen sind nicht deterministisch, nicht stochastisch (Abweichungen gehorchen keinem Verteilungsgesetz), unterstellen keine eindeutige Kausalität und sind daher eigentlich eine Vermutung. Da sie damit auch nicht empirisch überprüfbar sind, ordnen einige Wissenschaftler sie nicht der empirischen Aussage zu. Kornmeier führt sie auf, weil in der Betriebswirtschaftslehre oft mit Tendenzaussagen gearbeitet werde und sie zu quasi-stochastischen Aussagen werden, wenn sie in irgendeiner Weise quantifizierbar sind.
In Betracht kommen nach Kornmeier auch quasi-theoretische Aussagen, die durch Einschränkung des Gültigkeits- und Aussagebereichs entstehen – man könnte sagen „Wischi-Waschi-Aussagen“ mit sehr begrenztem Informationsgehalt.

Von Bedeutung ist das Zusammensetzen von Aussagen. Zum einen führt dies zu Erklärungen, bei denen zu einem gegebenen Ereignis (Explanandum) eine passende nomologische Aussage (Gesetzesaussage) mit einer Randbedingung (Antezedenz-Bedingung) angegeben wird. Also eigentlich nicht viel anders als beim Lösen von Differentialgleichungen :-) Im Gegensatz zur Erklärung sind bei der Prognose eine nomologische Aussage und eine Randbedingung bekannt, mit denen dann ein Ereignis vorhergesagt wird. Wir kennen also eine Funktion, setzen ein Argument ein und erhalten den zugehörigen Funktionswert.

Überaus wichtig bei der Betrachtung von Aussagen ist die korrekte Unterscheidung zwischen Korrelation und Kausalität! Eine statistische Beziehung kann auch zufällig bestehen und muss keine Ursache-Wirkung-Beziehung beschreiben. Und selbst dann, wenn es diese gibt, können intervenierende Variablen zwischengeschaltet sein oder beide gar von einer dritten Moderatorvariable abhängen. Kausalität besteht zwischen zwei Aussagen nur dann, wenn ein statistisch signifikanter Zusammenhang vorliegt, eine der beiden der anderen zeitlich vorausgeht und der Einfluss von Drittvariablen ausgeschlossen ist.

Kornmeier schließt den Abschnitt mit der Bedeutung für das wissenschaftliche Arbeiten (abseits der Wissenschaftstheorie), wozu ich nur folgende Zitate festhalten möchte:

Wissenschaftlich Arbeiten bedeutet nicht, jede in einer Publikation […] gefundene Aussage willfährig und obrigkeitsgläubig zu übernehmen (Motto: „Wenn der Herr Professor etwas schreibt, so ist dies immer richtig!“).

und

Entgegen der landläufigen Meinung sind Renommee und Bekanntheitsgrad von Autoren kein Garant für Reliabilität und Validität bzw. Informationsgehalt ihrer Aussagen. Der zwingend erforderliche kritische Umgang mit Aussagen darf deshalb auch vor Autoritäten und „Gurus“ eines Fachgebiets nicht halt machen.

Zu Definitionen ist nur zu sagen, dass sie dazu dienen, die Realität in Sprache zu fassen, um sich mit anderen austauschen zu können. Definitionen können nicht wahr oder falsch sein, allenfalls zweckmäßig oder nicht – letzteres dann, wenn sie dem allgemeinen Gebrauch entgegenstehen. Definitionen müssen eindeutig sein und konsistent genutzt werden, vollständig sind sie in der Regel nicht.

Hypothesen sind allgemeine Aussagen, die behaupten, es gäbe einen Zusammenhang zwischen mindestens zwei Variablen. Sie sind normalerweise theoretisch oder empirisch fundiert und sollen die Realität erklären. Es sind qualitative und quantitative Hypothesen denkbar. Dabei sollen sie zeitlich und räumlich nicht beschränkt sein und folgenden Kriterien genügen:

  • Empirische Überprüfbarkeit
  • Falsifizierbarkeit
  • Hinreichender Informationsgehalt
  • Logischer Aufbau
  • Präzision und Eindeutigkeit
  • Theoretische Fundierung

Möglichkeiten zur Gewinnung von Hypothesen sind:

  • Induktion (empirische Exploration),
  • Deduktion (eher Literaturstudium),
  • Hermeneutik (Wirk- und Sinnzusammenhänge durch Kontextbezug verstehen und erklären)
  • Abduktion („Annahme des Wahrscheinlichen“, „Suche nach der besten Erklärung“)

Die Abduktion soll besonders dazu geeignet sein, um neue Theorien zu entdecken. Wenn ich es richtig verstanden habe, entspricht die Abduktion dem Prinzip des Erklärens: es ist das Ereignis gegeben, und man sucht eine zu einem hypothetischen Gesetz passende Randbedingung.

Zum Schluss sind Modelle und Theorien dran. Verbindet man zusammenhängende bewährte Hypothesen, so erhält man ein Modell. Verbindet man wiederum mehrere zusammenhängende Modelle, erhält man eine Theorie. Zur Bildung müssen stets reale Sachverhalte in sprachliche Begriffe übersetzt werden, so dass Zusammenhänge ersichtlich werden.

Die Theorie steht in enger Wechselbeziehung zu Empirie und Praxis. So bildet Theorie einen Rahmen für empirische Forschung und wird an dieser geprüft und gegebenenfalls modifiziert. Die Theorie liefert Anregungen und mögliche Erklärungen für die Praxis und erhält von dieser Rückmeldung über die Wirksamkeit der Anregungen, was abermals zu einer Modifikation führen kann. Ferner liefert auch die Empirie Empfehlungen für die Praxis und erhält Rückmeldung aus der Praxis.

Zusammenspiel von Theorie, Empirie und Praxis

Zusammenspiel von Theorie, Empirie und Praxis

Häufig beleuchten verschiedene Theorien denselben Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven und überschneiden sich mitunter auch. In der Betriebswirtschaftslehre wären das beispielsweise Entscheidungstheorien, verhaltenswissenschaftliche Theorien oder Organisationstheorien bei der Betrachtung von Unternehmen.

Neben der Falsifizierbarkeit gehört die Reichweite zu den bedeutsamsten Kriterien, das heißt Theorien sollten sich über ein möglichst weites Feld erstrecken. Um dies zu erreichen – und um Komplexität zu reduzieren – kann man mit Annahmen arbeiten, riskiert dabei aber den Verlust der Falsifizierbarkeit, weil man sich zu weit von der Realität entfernt hat (Modell-Platonismus).

Formuliert man eine Theorie, nutzt man mitunter theoretische oder hypothetische Konstrukte, die Phänomene beschreiben, die nicht direkt zu beobachten sind, beispielsweise „Unternehmenskultur“ oder „Marktorientierung“. Diese Konstrukte lassen sich nur über mehrere Indikatoren prüfen.

Theorien unterliegen einem zeitlichen Wandel. So gibt es wie beim kritischen Rationalismus die Annahme einer kontinuierlichen (evolutionären) Entwicklung, bei der Bestehendes stetig modifiziert und verbessert wird. Kuhn (der ist schon in meiner Liste) vertritt hingegen auch die Auffassung einer diskontinuierlichen Entwicklung in Sprüngen oder Schüben. Er spricht vom Paradigmenwechsel oder einer Revolution.

Wieder ziemlich lang, vielleicht etwas trocken, aber damit haben wir die erste kleine Etappe auf unserer Suche nach „der“ Wissenschaft auch hinter uns.