Schlagwort-Archiv: Lehre

Hörsaalspiele? Ja, wo kommen wir denn da hin?!

Am Montag hatten wir Kristina „Luci“ Lucius und Christian Spannagel zu Gast in Braunschweig. Sie boten einen Workshop zum Thema Hörsaalspiele an, zu dem ich an anderer Stelle schon kurz berichtet habe. Geht ja wohl gar nicht!

Wo kommen wir denn bitteschön hin, wenn Spiele in eine der letzten Bastionen vordringen, die sich noch ernsthaft mit der Welt auseinandersetzt,  wo kühle Ratio unverzichtbar ist? Spannung, Spiel und Schokolade mögen ja gut sein, um den Verkauf von nutzlosem Zeugs anzukurbeln. Sie haben aber nichts an einer seriösen Einrichtung zu suchen, an der gestandene WissenschaftlerInnen die Wahrheit suchen und vermitteln. Es steht zu viel auf dem Spiel!

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Nur weil da einige infantile Kindsköpfe der Meinung sind, sie müssten ihre verqueren Ideen in Hörsäle bringen, um Studierende zu unterhalten, muss da noch lange nichts heißen. Lernen ist nun mal nüchtern und trocken und macht keinen Spaß. Alles andere ist doch pures Edutainment, um die Leute bei Laune zu halten. Was soll dabei rumkommen? Der Begriff „Studieren“ stammt immer noch von „studere“ ab, also „anstrengen“. Leichtes-Spiel-haben ist da nicht. Geht doch nach Nimmerland, wenn ihr nicht erwachsen werden wollt!

Wissenschaft, und damit auch die Lehre an Unis, ist ein hartes Geschäft. Es gibt in jedem Fach soooo viel wirklich, also wirklich unverzichtbaren Stoff, der in Hirne hineingeprügelt werden muss — da ist nun für Spaß wirklich keine Zeit. Medizin soll ja auch nicht schmecken, sondern helfen. Und früher ging das ja wohl auch ohne Spiele! Schon aus dem alten Rom stammt das bekannte Zitat: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Carcassonne zerstört werden muss.“

Oliver "The Clown" TackeUnd überhaupt! Wer sollte mich denn als Lehrenden auch noch ernst nehmen, wenn ich mich mit so etwas zum Affen mache? Das ist doch vollkommen unprofessionell! Was sollen denn andere Lehrende oder meine Chefs von mir denken? Oder die Studierenden? Die glauben mir doch nichts mehr, wenn ich sie spielen lasse. Und sie wollen auch gar nicht spielen! Das weiß ich ganz sicher.

Ich stehe als Lehrender Modell, also muss ich mit gutem Beispiel vorangehen, auch wenn das heißt, mir einen Stock in den Allerwertesten schieben zu müssen. Und der Spannagel, also wie der als Professor rumrennt… Am Ende soll ich mir auch noch eine Clownnase aufsetzen, oder wie?

Spiele gehören in die Freizeit, nicht in den Hörsaal. Dafür ist die Uni nicht da, sondern für die kognitive Vermittlung des aktuellen Erkenntnisstands der Wissenschaft. Das lässt sich nicht mit Spielen erreichen. Schickimicki könnt ihr zu Hause machen!

Aus diesen Gründen wende ich mich mit dieser Fünf-Punkte-Minimalforderung an die Welt, um das Schlimmste vielleicht noch zu verhindern.

  1. Regelmäßige, unangekündigte Infantilitätstests für alle Angehörigen von Hochschulen, um sie gegebenenfalls aus der Institution auszuschließen
  2. Verbannung von Beispielen aus der Hochschullehre
  3. Verbot von grafischen Benutzeroberflächen an Hochschulrechnern, um die Lehrenden nicht per Point-and-Click für Computerspiele anzufixen
  4. Hochschulweiter Aushang von Parolen gegen Spiele auf Stammtischniveau — um den Bierernst zu fördern
  5. Einbau einer automatisch in regelmäßigen Abständen betätigten Spaßbremse in alle Hörsäle

Ich freue mich über weitere passende Forderungen in den Kommentaren!

E- war einmal

Von Zeit zu Zeit stelle ich mein Blog für Gastbeiträge zu Verfügung — es ist wieder soweit! Ich freue mich über einen kurzen Artikel von Thomas Czerwionka und eure hoffentlich zahlreichen Kommentare!


An unzähligen Hochschulen gibt es bereits seit vielen Jahren sogenannte „E-Learning“-Zentren, -Büros, -Beauftragte, -Schulungen und/oder dergleichen. Vereinzelt werden auch heute noch derartige Strukturen und Angebote ins Leben gerufen. Das kann man längst überfällig und daher gut finden, man kann jedoch aus verschiedenen Gründen auch anderer Meinung sein. Meine eigene werde ich hier im Folgenden mal kundtun, und ich bin gespannt auf eure.

Noch etwas vorweg: Ich bin sicher nicht der Erste mit diesen oder ähnlichen Gedanken, und deshalb gibt es vermutlich auch schon Veröffentlichungen entsprechenden Inhalts. Da ich in dieser Richtung kaum recherchiert habe, bin ich euch für Hinweise darauf dankbar.

Ach ja, und apropos dankbar: Vielen Dank dir, Olli, dass du mir als Noch-immer-nicht-Bloggendem den Platz hier gewährst! :-)

Alles ist „E-Learning“ ist nichts

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„Neues“ Medium Computer? („Commodore C64“, 1982) — Bild von Bill Bertram (CC BY-SA 2.5)

Der Begriff „E-Learning“ stammt aus einer Zeit, in der digitale, also auf Digitaltechnologie basierende Medien etwas Neues waren und sie dementsprechend als „neue Medien“ bezeichnet wurden. Wurden diese sogenannten „neuen Medien“ damals rund um formelles Lehren und Lernen eingesetzt, sprach man von „E-Learning“. Abgesehen von der natürlich fragwürdigen Bezeichnung kognitiver Prozesse als „elektronisch“ war das zu jener Zeit nicht mehr als ein spezieller Begriff für spezielle Formen der Lehr- und Lernunterstützung.

Das war einmal. Heute ist es für Lehrende wie für Studierende vollkommen selbstverständlich, digitale Medien zu nutzen; sie sind aus dem Alltag wie auch aus dem Lehren und Lernen nicht mehr wegzudenken. Wohl kaum ein/e Lehrende/r stellt nicht zumindest hin und wieder Informationen und/oder Materialien zu Lehrveranstaltungen online oder schreibt den Studierenden eine E-Mail. War man früher ein Exot, wenn man digitale Medien in der bzw. für die Lehre genutzt hat, so ist man heute einer, wenn man dies nicht tut. Braucht man aber für etwas Selbstverständliches eine besondere Bezeichnung?

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„Neues“ Medium World Wide Web?
(1. Webserver „CERN httpd“, 1990)

Zahlreiche Definitionen des Begriffs „E-Learning“ sind gut und gern 10 Jahre alt.* Das ist für bildungswissenschaftliche Entwicklungen bzw. Strömungen zwar kein allzu langer Zeitraum, bezogen auf die Verbreitung und Nutzung digitaler Medien jedoch eine halbe Ewigkeit.** Allein deshalb gehört der Begriff auf den Prüfstand. Doch dass er überholt ist, ist nicht das einzige Übel.

Was alle Definitionen naturgemäß eint, ist die Absicht, „E-Learning“ vom normalen/herkömmlichen/traditionellen Lehren und Lernen abzugrenzen (schon die Suche nach einem passenden Adjektiv verdeutlicht, wie absurd eine solche Unterscheidung ist). Der Begriff „E-Learning“ suggeriert, dass sich Hochschullehre trennscharf unterteilen lässt in solche mit digitalen Medien und solche, die ohne diese auskommt. Wo aber hört „normales“ Lehren und Lernen auf und wo fängt „E-Learning“ an? Hier wird etwas unterschieden, das nicht (oder nicht mehr) unterscheidbar ist. Der Begriff zieht eine imaginäre Grenze zwischen zwei Lagern, wo es nur noch eines gibt, und ist damit leider mehr als einfach nur ein sprachliches Ärgernis.

Das Unwort „E-Learning“

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„E-Learning? Vollkommen überflüssig. Lernen ist eine geistige Leistung, dafür braucht man keine Technik. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss noch mein Skript hochladen.“

Der „E-Learning“-Begriff ist heute zum einen ein Symptom für ein unzeitgemäßes und/oder unreflektiertes Verständnis von digitalen Medien im Lehren und Lernen. Zum anderen ist er auch dessen Ursache. Er hält es am Leben, weil er etabliert ist, weil wir uns an ihn gewöhnt haben und wir ihn auch im Jahr 2015 noch als berechtigtes Element in einer großen Didaktik-Tagcloud akzeptieren. Das funktioniert, weil jede/r Einzelne ein ganz eigenes, diffuses „E-Learning“-Begriffsverständnis hat, das sich (je nebulöser, desto einfacher) mit der persönlichen Sicht auf Lehren und Lernen irgendwie in Einklang bringen lässt. Wohlgemerkt: „In Einklang bringen“ heißt dabei immer noch, die Nutzung digitaler Medien als Sonderform von Lehren und Lernen zu verstehen — möglicherweise als sinnvolle und vertraute, im schlechteren Fall jedoch als störende, fremdartige, mit der man nichts zu tun hat oder haben will. Die Verwendung des Begriffs beeinflusst somit die Wahrnehmung digitaler Medien im Lehren und Lernen. Und damit auch die Haltung ihnen gegenüber.

„Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

Kurzum: Für mein Empfinden hat der Begriff „E-Learning“ aus didaktischer Perspektive seine Daseinsberechtigung verloren. Zum einen ist er nicht mehr zeitgemäß, zum anderen steht er einer sachlich-konstruktiven Auseinandersetzung mit den Potenzialen digitaler Medien im Lehren und Lernen eher im Wege als dass er sie fördert.

Natürlich kann man auch heute noch der Meinung sein, digitale Medien seien neu und ihre Nutzung in der Hochschullehre sei etwas Besonderes, das einen speziellen Begriff und eine besondere Behandlung verdiene. Dennoch sollte man sich die Signale, die vom Begriff „E-Learning“ ausgehen, und die Wirkungen, die er hervorrufen kann, bewusst machen. Und man sollte sich im Klaren darüber sein, dass man den Begriff künftig enger und enger wird fassen müssen, um ihn überhaupt noch irgendwie mit Sinn zu füllen.

Wäre dann nicht jetzt ein guter Zeitpunkt, sich von ihm zu verabschieden?


* Vgl. Beats Biblionetz, Begriff „E-Learning“, Abschnitt „Definitionen“ (02.03.2015)
** Lag beispielsweise der Anteil der InternetnutzerInnen in Deutschland im Jahr 2003/2004 noch bei gut 50 % der Gesamtbevölkerung, nähert er sich aktuell der 80-%-Marke (vgl. ARD/ZDF-Onlinestudie, 02.03.2015, und (N)ONLINER Atlas 2014, S. 56 f., 02.03.2015).

Wie, an der Uni darf mal lehren ohne Qualifikation?

Im kürzlich erschienen Beitrag Wir Dozenten sind nicht eure Vorturner! auf ZEIT Online gibt es die folgende passage zu lesen:

Wie soll man als Dozent didaktisch wertvoll Wissen vermitteln, wenn eine didaktische Ausbildung von wissenschaftlichem Unipersonal grundsätzlich nicht vorgesehen ist? Im Gegenteil, Dozenten müssen sich in ihrer Freizeit selbst um didaktische Weiterbildung kümmern.

Dazu erreichte mich die Frage „Dort steht das auch mit der fehlenden didaktischen Ausbildung, scheint also überall so zu sein?“ Diese Frage hat mich zunächst etwas irritiert. Für mich war das halt Alltag, normal. Offenbar ist das außerhalb der Hochschulwelt aber eben nicht klar. Ich verliere also an dieser Stelle ein paar Zeilen dazu.

Wer in der Schule lehrt, hat in aller Regel eine entsprechende Lehramtsausbildung hinter sich. Er oder sie hat sich neben den Fachinhalten ebenso mit Pädagogik und Didaktik auseinander gesetzt. Er oder sie hat auch ein Referendariat hinter sich. Dort soll gezeigt werden soll, dass man Unterricht planen und gestalten kann und allgemein der Situation auch gewachsen ist. Wer an der Universität lehrt, hat sich in den allermeisten Fällen aber bloß mit seinem Fach auseinander gesetzt. Mehr ist nicht vorgesehen.

Wie kommt das? Gunter Dueck, früher selbst Professor für Mathematik, hält dazu in seinem Buch Das Neue und seine Feinde [1] fest:

Ein gut gehütetes (falsches) Vorurteil lautet: “Wer gut in Forschung ist, ist wahrscheinlich auch so intelligent, dass er es einleuchtend erklären kann.

Offenbar waren in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten zu wenige Menschen (oder die „falschen“) der Ansicht, dass man das Lehren auch an Hochschulen lernen müsste. Bettina Jorzik (Leiterin des Programmbereichs „Lehre und akademischer Nachwuchs“ beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft) hält dazu kritisch fest, dass Lehrende dort nicht systematisch ausgebildet würden und die Teilnahme an didaktischen Qualifizierungsmaßnahmen meist im Belieben jedes Einzelnen liege; der Erwerb der Lehrberechtigung sei ironischerweise nicht an einen Nachweis von Lehrbefähigung geknüpft [2]. Tatsächlich wird sie Habilitierten zwar mit der Facultas Docendi bescheinigt, doch beruht sie vornehmlich auf der Forschungsleistung. Nachzuweisen ist lediglich Erfahrung in der Lehre, ohne deren Qualität zu berücksichtigen.

Nun ist es natürlich nicht so, dass man das Lehren nicht auch durch Selbststudium, Üben und Reflexion in der Praxis lernen könnte — entsprechendes Engagement in der Lehre vorausgesetzt. Aber was wäre das gerade an einer Universität für eine Aussage, dass man sich nicht mit Theorie auseinandersetzen brauche?! Und warum werden Personen ins kalte Wasser geworfen?

Dabei denke ich vor allem an eine Personengruppe, die die Lehre an deutschen Hochschulen in weiten Teilen trägt: die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Vielleicht gerade erst das eigene Studium absolviert, stehen sie plötzlich auf der anderen Seite des Hörsaals und sollen plötzlich ohne Vorbereitung lehren. Das allein mutet schon sonderbar an. Seien wir obendrein aber realistisch, sehr viele von ihnen interessieren sich auch kein Stück für die Lehre. Das ist zumindest mein Eindruck nach gut sieben Jahren im Biotop der Universitäten. Viele wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen bloß möglichst zügig promovieren, um dadurch ihre Karrierechancen zu verbessern. Lehren müssen sie trotzdem. Entsprechend hoch sind dann Motivation und investiertes Engagement. Doch selbst dann, wenn sie eine Professur anstreben, tun sie gut daran, sich möglichst auf die Forschung zu konzentrieren. In Berufungskommisionen spielt die Qualifikation für die Lehre immer noch eine undankbare Nebenrolle. Didaktische Qualifizierung wird dadurch in der Tat gewissermaßen zur Freizeitbeschäftigung.

Zum Weiterlesen…


[1] Dueck, Gunter (2013): Das Neue und seine Feinde. Wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen. Frankfurt am Main: Campus.

[2] Jorzik, Bettina (2009): Qualitätskultur in der Lehre. Wirtschaft&Wissenschaft, 17(4), 30-31.