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Wie sozial ist digital?

Wir schreiben das Jahr 2014. Das World Wide Web hat seinen 20. Geburtstag bereits hinter sich. Der strapazierte Begriff Web 2.0 ist auch über 10 Jahre alt. Eigentlich, so könnte man meinen, müsste das doch alte Hüte sein. Die deutsche Bundeskanzlerin ist aber davon überzeugt, das Internet sei für uns alle noch Neuland. Auf extreme Skepsis gegenüber sozialen Medien stoße ich zudem selbst immer wieder, besonders im Bildungsbereich beim E-Learning und im Wissenschaftsbetrieb gegenüber Öffentlicher Wissenschaft. Die Argumente reichen da von „bringt nichts“ (ohne es je selbst versucht zu haben oder von Positivbeispielen zu wissen) bis hin zu „habe ich bisher ja auch nicht gebraucht“. Furcht vor Dread Risks ist ebenfalls an der Tagesordnung. Die vorgebrachten Einwände können und sollten allerdings nicht alle vom Tisch gewischt werden. Wie kollaborativ geht es denn wirklich zu im Netz? Wie unterschiedlich ist denn Kommunikation zwischen Menschen in der Online- und Offline-Welt? Oder kurz: „Wie sozial ist digital?“

Am 13. Mai findet zu exakt dieser Frage in Braunschweig ein wissenschaftliches Nachtcafé statt. Man sitzt gemütlich an Tischen und unterhält sich mit seinen NachbarInnen über das Thema, bekommt zwischendurch von Gerald Fricke und Philipp Bode weiteren gedanklichen Input und auch die Gelegenheit, mit ihnen zu diskutieren.

13. Mai 2014 ab 19:00 Uhr
Haus der Wissenschaft, Pockelsstraße 11 in Braunschweig, Raum Veolia

Organisiert wird die Veranstaltung von der Initiative Wissenschaft im Dialog, die mich als bloggenden Begleiter eingeladen hat. Da habe ich natürlich nicht nein gesagt! Ich fänd es toll, euch dort zu treffen und zum Thema zu diskutieren – aber das geht natürlich auch vorher, währenddessen und hinterher über soziale Medien :-P

pax digitalia

In den Medien wird man gerade gefühlt jeden zweiten Tag mit dem Urheberrecht konfrontiert: Da ruft auf der einen Seite jemand nach mehr Schutz des „geistigen Eigentums“, kurze Zeit später schallt aus aus der anderen Richtung zurück, ob man denn noch bei Trost sei. Die einen sehen nicht ein, warum sich für sie etwas ändern sollte, die anderen halten dagegen, Kunst müsse frei zugänglich sein – und hier ist dann wirklich mal kostenfrei gemeint. „Todesstrafe für illegale Downloads“ – „Waaas? Alles für alle, und zwar für umme!“ – „Jehova!“ – „Penis!“ – … Und so geht das munter weiter, ohne dass die eine Seite wirklich versucht zu verstehen, was die andere antreibt. Zumindest ich nehme bloß wahr, dass sich in der Öffentlichkeit zwei Fronten aneinander abarbeiten, Truppen um sich scharen und verbal aufeinander einschlagen. Ein TV-Gladiatoren-Polar-Talk auf gesellschaftlicher Ebene, angeheizt von Lanz-esker Medienbegleitung.

Auf der gesellschaftlichen Ebene finde ich das Thema aber durchaus gut aufgehoben, denn mittlerweile kann man im Internet nie sicher sein, nicht irgendwie das Urheberrecht von jemandem zu verletzen. Im Bildungsbereich sind die Einschränkungen erheblich und führten beispielsweise zu Ideen wie der des jüngst beerdigten Schultrojaners. Obendrein sind etwa die in § 52a des Urheberrechtsgesetzes überhaupt gemachten Zugeständnisse an Unterricht und Forschung lediglich befristet gültig und müssen demnächst wieder verlängert werden.

Was wäre denn zu tun? Für eine fällige Maßnahme halte ich etwa eine Entschärfung des Abmahnunwesens, das erstaunliche Streitwerte für Musikstücke ansetzen kann. Eine pauschale Totalüberwachung aller Bürger, um „Gute“ von „Bösen“ unterscheiden zu können, hielte ich für einen viel zu großen Eingriff in Freiheitsrechte. Auch bin ich der Ansicht, Unternehmen sollten sich mit neuen Geschäfts- und Vergütungsmodellen anfreunden. Statt sich mit aller Macht gegen den Wandel zu stemmen, sollten sie ihn lieber als Chance begreifen:

„The overwhelming majority of successful innovations exploit change.“
(Peter F. Drucker, Management-Vordenker)

Eine Verkürzung von Schutzfristen halte ich ebenfalls für sinnvoll. Und das alles übrigens, obwohl ich zu Hause diverse Regalmeter voll mit Büchern, CDs und Blu-rays stehen habe und für Downloads tatsächlich bezahle.

Andererseits halte ich es nicht für geboten, das bestehende System von jetzt auf gleich auf den Kopf zu stellen. Autoren, Musiker und Co. erbringen offenbar eine nachgefragte Leistung, und ich kann erst einmal nichts Verwerfliches darin sehen, auch angemessen vergütet werden zu wollen. Wenn nun jemand meint, das seien aber keine Künstler mehr, sondern nur Kommerzproduzenten, na, sei es drum. Ich finde es gut, die Position gerade von unbekannteren Kreativen stärken zu wollen, aber es kann mir niemand erzählen, dass alle Verlage und Musiklabels nur von raffgierigen Ausbeutern geleitet werden und keine sinnvolle Funktion erfüllen.

Dass „sogar“ die Piratenpartei dazu eine differenzierte Meinung vertritt, kann eigentlich jeder nachlesen – in einem waschechten Bundesparteitagsbeschluss. Um das zu erkennen, genügt schon die Lektüre der ersten Seiten. Ich bin mir allerdings nicht einmal sicher, ob die Mehrheit der Piraten da irgendwann reingeschaut hat.

Der in dem Papier gemachte Vorschlag muss gar nicht der Weisheit letzter Schluss sein, ich selbst finde auch die Idee der Kulturwertmark ganz charmant. Und es gibt bestimmt noch ganz viele andere Ansätze und lasse mich von klügeren Gedanken überzeugen – aber bitte in einem ehrlichen gemeinschaftlichen Diskurs, nicht durch einen Stellungskrieg. Wollen wir das alle mal probieren?

Und, was macht die Diss?

Diese Frage kennt sicherlich jeder Doktorand: „Und, was macht die Diss?“ Ich bin allerdings noch nie gefragt worden: „Hey, wie läuft dein Seminar?“ oder „Läuft die Lehre gut?“. Für Außenstehende scheint eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter offenbar wesentlich dafür gedacht zu sein, seine Doktorarbeit zu schreiben und das möglichst schnell. Der Job umfasst allerdings typischerweise zunächst einmal die Unterstützung von Forschung und Lehre, und es wird allenfalls in einem bestimmten Umfang Zeit dafür eingeräumt, an seiner Dissertation zu arbeiten.

Diese Fehlannahme finde ich zunächst einmal nicht verwunderlich und sehe meine These weiter bestätigt, dass die Öffentlichkeit viel zu wenig darüber weiß, was im Wissenschaftsbetrieb geschieht. Wie sieht es aber drinnen aus? Wie sehen die Leute in den Hochschulen ihre Stellen? Nehmen wir einfach ein Gespräch mit einem anderen Doktoranden, dass ich diese Woche geführt habe und welches das fehlende Tröpfchen war, um mein Blogbeitragverfassen-Fässchen zum Überlaufen zu bringen.

Nachdem ziemlich deutlich wurde, dass in die Lehre möglichst wenig Zeit gesteckt werden sollte, fragte ich sehr direkt, warum derjenige denn an der Uni sei. Antwort: „Weil ich den Doktor haben will.“ Ehrlich, aber in meinen Augen eine traurige Antwort. Weder, „weil mir Frage XY unter den Nägeln brennt und ich nach Antworten forschen will“, noch etwas wie „weil ich den Sinn von Erkenntnissuche vermitteln will“. Es geht offenbar bloß darum, selbst voranzukommen, die sogenannte Karriere voranzutreiben. Was außerhalb der eigenen Büromauern geschieht, interessiert nur am Rande. Derselbe Doktorand meinte auch, Studierende würden bloß möglichst schnell möglichst einfach durchs Studium kommen wollen, sich aber nicht für echtes Lernen interessieren. Abgesehen davon, dass es solche Studierenden auch gibt, scheint er möglichst schnell möglichst einfach seine Promotion abschließen zu wollen, sich aber nicht für gute Lehre zu interessieren. Es geht lediglich darum, ohne störende Ablenkung die Doktorurkunde einzusammeln – und dann nichts wie weg. So kommt der Geist der Hochschulwelt bei mir an und nicht das, was in Hochglanzprospekten steht oder fassadenhaft aufgebaute Leitbilder weismachen wollen. Den schönen Schein nach außen zu wahren zählt oft mehr als tatsächlich hinter etwas zu stehen.

Bausche ich das alles auf? Einzelfall? Schauen wir doch einfach mal weiter. Ich mache mich jetzt sicher ziemlich unbeliebt und wirke wie der Oberlehrer oder Moralapostel schlechthin. Ich schildere aber schlicht meine Wahrnehmung und eine Darstellung dessen, was dadurch in mir ausgelöst wird.

Es gibt an der TU Braunschweig das schöne Projekt Sag’s Uns, eine öffentlich zugängliche Online-Plattform, auf der Studierende Ideen, Lob und Probleme zum gesamten Unileben loswerden können, auf der jeder mitdiskutieren und gemeinsam mit anderen Lösungsvorschläge entwickeln kann. Könnte ein prima Instrument sein, um gegenseitiges Verständnis aller Beteiligten am Unileben zu fördern statt weiter Stellungskriege zu führen („Professoren wollen uns doch nur rausprüfen“, „Studierende sind dumm und faul“, „Die in der Verwaltung bekommen nichts gebacken“, …). Es passiert bei Sag’s Uns aber gar nicht so viel. Studierende benennen Probleme aus ihrer Sicht, kaum jemand außer der Betreiber der Plattform scheint ihnen zuzuhören – geschweige denn mitzudiskutieren. Klar, dass sie gefrustet sind und keine Lust mehr haben, sich einzubringen. Eine eigentlich großartige Chance für die Hochschulentwicklung wird nicht genutzt.

Wissenschaftliche Mitarbeiter wurden dann im Rahmen einer Forschungsarbeit befragt, um mögliche Ursachen für die geringe Beteiligung zu ermitteln: Unkenntnis der Plattform, Unsicherheit, … Yvonne, falls du das liest, soll ich dir meine persönliche Vermutung nennen? Es ist den meisten Doktoranden schlicht scheißegal. Warum sollten sie sich denn um die Uni kümmern? Arbeiten am System? Dafür fühlen sie sich nicht zuständig. Kostet bloß Zeit bei der Promotion, und wenn die vorüber ist, ergreifen doch die meisten gleich wieder die Flucht. „Nach mir die Sintflut.“ Das ist wohl im Sinn der Direkt-Karriere das beste Vorgehen, ich finde es jedoch traurig.

Anderes Beispiel gefällig? Als die Geschichte um das Guttenbergsche Plagiat gerade losging und der Präsident der TU Braunschweig zunächst in der Presse relativierte, bei über 700 Fußnoten seien 14 falsche Zitationen keine sehr hohe Fehlerquote und solch unsauberes Arbeiten sei ein Einzelfall, wurde in der hiesigen Fakultät 1 in Windeseile ein Schreiben an ihn verfasst. Er möge bitte das klares Signal aussenden, dass Plagiate in der Wissenschaft mehr sind als eine kleine Schummelei. Von den Informatikern wurden sehr schnell viele Unterschriften gesammelt – bei den Wirtschaftswissenschaftlern wurde wohl erst einmal diskutiert, ob es denn opportun wäre, sich daran zu beteiligen…

Es gäbe da noch mehr große und kleine Dinge, aber die betreffen dann die Professorenschaft und das ist eine andere Geschichte – eine weitaus längere und gruseligere.

Ich weiß, dass die Situation nicht überall so aussieht. Ich kenne auch sehr engagierte Leute in Rufreichweite, die auch mal links und rechts des Weges schauen. Ich bin mir bewusst, dass wissenschaftliche Mitarbeiter nicht Zeit ohne Ende für alles haben. Und ich weiß vor allem, dass auch ich meine Fehler habe und mir gar kein Urteil zusteht. Ich kann aber sehr wohl festhalten, dass ich mir unter der Arbeit in der Wissenschaftswelt etwas deutlich anderes vorgestellt habe, dass ich enttäuscht bin ich und mich überaus unwohl fühle. Vielleicht bin auch einfach ich das Problem und falsch für so eine Stelle? So oder so: Gut, dass ich hier bald verschwunden bin.

Ach so, und was die Diss macht? Schauen wir mal, ich muss mich auch noch um andere Dinge kümmern.

Aktualisierung am 24.04.2012
Unverhofft kommt oft – gerade heute wurde ich dann doch positiv überrascht.