Archiv der Kategorie: Offene Wissenschaft

In „Offene Wissenschaft“ veröffentliche ich meine Gedanken zu Forschung und Lehre

Jetzt bin ich zertifizierter Laie

Neben meinem Job an der Uni habe ich in den vergangenen zwei Jahren diverse Kurse zur Weiterbildung in der Hochschullehre (WindH) besucht. Seit heute halte ich nun das zugehörige Zertifikat in Händen. Aber was sagt das wirklich aus?

Ich habe 200 Stunden zu verschiedenen Themen absolviert; einige verpflichtend, andere frei wählbar. Darunter waren Veranstaltungen wie Lehre planen oder E-Learning, aber auch Coaching und Hospitationen durch Kursleiter und Kollegen.

Wenn wir nun einfach das Bologna-System zum Vergleich nehmen, sind das nicht einmal sieben Leistungspunkte. Wir können vielleicht die Zeit dazurechnen, in der ich das Gelernte zum Beispiel hier im Blog reflektiert habe. Oder die Tage, an denen versucht habe, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Wie viele Stunden mögen das dann gewesen sein? Nehmen wir einfach (wohl eher großzügig) an, ich hätte insgesamt 900 investiert, das entspräche 30 Leistungspunkten oder gerade einmal einem Studiensemester.

„Führerschein niemals ersetzen Augen, Ohren, Verstand.“ (Mr. Miyagi)

Das Zertifikat bezeugt eine Wertschätzung meines Einsatzes, klar. Das weiß ich zu schätzen. Ich glaube, ich habe auch ganz schön was gelernt. Das Papier drückt jedoch allenfalls aus, dass ich verstärktes Interesse am Feld der Hochschuldidaktik habe, aber das war es doch auch schon. Vielleicht habe ich jetzt Grundkenntnisse, für mehr allerdings noch einen ganz schön weiten Weg vor mir. Und da ich recht wahrscheinlich im kommenden Jahr dem Universitätszirkus den Rücken zuwenden werde, wird’s wohl kaum noch vorangehen. Wenigstens lag ich dem Steuerzahler nicht auf der Tasche, denn das lief auf eigene Rechnung und an Urlaubstagen, die ich dafür genommen habe – „aus Gründen“.

Professionelle Intelligenz für EduCamper

Zusammen mit Birgit Rydlewski habe ich heute auf dem EduCamp in Bielefeld eine Session zum Thema „Professionelle Intelligenz“ (nach Gunter Dueck) angeboten. Birgit ging mit anderen Teilnehmern der Frage nach, ob und wie sich die Idee der Professionellen Intelligenz in Schulen umsetzen lässt; ich habe dazu den Einstiegsinput geliefert und moderiert. Ein paar Gedanken hat Birgit festgehalten.

Zum Schluss habe ich mein Versprechen eingelöst, das ich am Ende meiner Zusammenfassung des Buchs von Herrn Dueck abgegeben habe: Ein Exemplar von „Professionelle Intelligenz“ habe ich verschenkt. Da aber das Interesse auch nach der Session noch groß war, mache ich Folgendes: Ich besorge noch ein Exemplar, und wir bilden eine Kette. Jeder Bielefelder EduCamper kann mir bis zum nächsten Sonntag (27.11.2011) seine Anschrift schicken. Ich versende dann das Buch an den ersten Kandidaten und jedem die Adresse desjenigen, an die er das Buch nach dem Lesen schicken soll. So müsste irgendwann jeder einmal drangewesen sein, und wir können das Buch dann einfach auf dem nächsten EduCamp verlosen oder so.

Würde mich freuen, wenn ihr nach dem Lesen eure Gedanken im Kommentarbereich zu meiner Zusammenfassung verewigt oder vielleicht selbst einen Blogbeitrag schreibt.

Der Flipped Classroom: Haben wir einfach keine Lust?

Dass ich kein großer Freund der monokulturartigen, klassischen Vorlesung an Universitäten bin, dürfte aufmerksamen Lesern dieses Blogs nicht entgangen sein. Da werden Studierende in einen Raum zusammengebracht, wo sie von- und miteinander lernen könnten, müssen dann aber still sein und in den Kinomodus schalten. Vorne spielt die Musik. In einem festen Tempo, in einem festen Rhytmus, zu einer festen Zeit. Wer dann nicht da ist, geht leer aus. Wer es gerne langsamer oder schneller, häppchenweise oder wiederholt hätte, hat Pech gehabt.

Wieso sollte man diese kostbare Zeit vergeuden, in der sich Lehrende und Studierende tatsächlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen? Wenn ich ausschließlich Input zu liefern habe, kann ich den auch in ein Video verpacken und vor einem Termin zur Verfügung stellen. Das kann man sich beliebig oft zur gewünschten Zeit anschauen. In der Veranstaltung selbst kann ich dann darauf aufbauen und damit richtig arbeiten, Fragen dazu beantworten oder über bestimmte Aspekte diskutieren. Statt in der Uni den Stoff präsentiert zu bekommen und ihn zu Hause zu üben und zu vertiefen, wird der Spieß einfach umgedreht. Das wird daher auch Flipped Classroom genannt.

Die Idee ist mal wieder nicht neu, aber trotzdem weit davon entfernt, weit verbreitet zu sein. In meinem eigenen Studium nutzte ein Informatikprofessor aufbereitete Videos seiner Vorlesungsinhalte inklusive passender Einspieler zu besonderen Aspekten, etwa Bilder, die er im Silicon Valley gemacht hatte. Die Präsenzveranstaltungen bauten dann auf dem auf, was in den Videos schon vorgestellt wurde. Nach demselben Prinzip wird etwa in der Fachhochschule Osnabrück mit Podcasts vorgegangen.

Etwas bekannter wurde das Konzept aber jetzt – wie sollte es anders sein – durch einen Lehrer in den USA: Salman Khan hat hunderte von Videos in der Khan Academy zur Verfügung gestellt, einer Lernumgebung, in der man selbständig Lektionen bearbeiten und seine Fortschritte festhalten kann. Khan erklärt das ausführlicher in einem TEDx-Vortrag.

Warum kommt so etwas in Deutschland eigentlich nicht in die Gänge? Fehlt es an Geld? Um das Konzept überhaupt zu nutzen, braucht es eigentlich nicht viel. Christian Spannagel etwa stellt die Videos seiner umgedrehten Mathematikvorlesung einfach bei YouTube ein. Mit einer speziellen Plattform gäbe zwar sicher noch einen Zusatznutzen, aber machbar ist es auch so. Jetzt. Haben wir vielleicht einfach keine Lust dazu? Lust dazu, uns selbst ein wenig umzuwöhnen und ein paar Anstrengungen auf uns zu nehmen? Ich denke, da kommen wir der Sache schon näher. Ich kann nun zwar nur von Professoren sprechen, nicht von Lehrern, aber von deren Seite habe ich schon verschiedene Vorbehalte gehört.

1. Der Reputationsbewusste
„Was, wenn ich vielleicht einmal einen Fehler mache? Dann können das ja auch andere Professoren mitbekommen.“ Sehen wir einmal davon ab, dass man die Videos nicht zwangsläufig der ganzen Welt zugänglich machen muss: Hier fürchtet jemand um seine Reputation. Kollegen könnten sich ja über eventuelle Pannen lustig machen. Studierende werden dazu angehalten, sich nicht vor Fehlern zu fürchten, selbst wollen einige Professoren aber doch lieber ein makelloses Scheinbild von sich präsentieren.

2. Der Besitzstandswahrer
Ein anderer Professor fürchtete, Politiker könnten an den Arbeitsplätzen seiner Zunft sägen, weil die Aufzeichnungen sie überflüssig machen könnten. Wäre das denn möglich? So ist es jedenfalls nicht gedacht, denn die Videos sollen die Präsenzzeit nicht ersetzen, sondern ergänzen. Aber dann müssen Professoren natürlich wirklich gut lehren statt nur 90-Minuten-Monologe zu halten. In den Worten von Gunter Dueck hieße das, der Commodity-Teil kann durch Dienste im Internet erbracht werden und der Premium-Teil bleibt übrig, für den man aber professionell intelligent sein muss. Ist der Professor das nicht und bietet auch nichts, was über die Präsentation von Inhalten hinausginge, warum sollte man das nicht mit Videos abdecken? Hier kommt jedoch noch eine Befürchtung ins Spiel: Selbst wenn ein Professor professionell intelligent wäre und richtig etwas auf dem Kasten hätte, würden Politiker das nicht sehen und die Videos als vollwertigen Ersatz ansehen – und auf lange Sicht Stellen abbauen.

3. Der Gekränkte
Von einem anderen Professor habe ich gehört, er hätte seine Vorlesungen aufgezeichnet und nachträglich ins Netz gestellt. Das ist zwar nicht die Idee des Flipped Classroom, aber dennoch entstehen schon hier Vorbehalte gegen Videos. Hier kam es nämlich dazu, dass kaum noch jemand die Veranstaltung besuchte. Das ist eigentlich nicht tragisch, denn mit weniger Leuten lässt sich besser interagieren und Studierende sind erwachsene Menschen und können selbst entscheiden, ob sie die Gelegenheit wahrnehmen möchten oder nicht. Offenbar sehen sie in den Videos aber einen guten Ersatz für die Vorlesungen mit den eingangs erwähnten Vorzügen. Beim Professor kommt das allerdings als Geringschätzung seiner Arbeit und vielleicht sogar seiner Person an. Indem er die Studierenden quasi drängt, seinen Vorträgen live zu lauschen, täuscht er sich zumindest selbst. „Das Haus ist voll, ich mache gute Arbeit.“

Wenn also jemand etwas wie eine deutsche Khan-Academy vorantreiben möchte, sollte er sich in meinen Augen nicht nur auf die Finanzierung und Erstellung einer Infrastruktur beschränken. Vielleicht ist es das viel größere Problem, die Menschen mitzunehmen, die bisher die Lehre leisten und denen ein Umdenken schwer fällt: „Bisher sind wir ja auch gut damit gefahren.“, „Denkt doch mal an die ganzen Risiken!“,  „Das ist ein Hype, der geht vorbei, man muss nicht alles mitmachen.“ Oder können wir das vernachlässigen und uns am viel beschworenen und oft gescholtenen System doch irgendwie vorbeimogeln?