Gibt es eine Chance für den Kaukasus-Leoparden?

Foto eines Persischen Leoparden (von Tambako the Jaguar, CC-BY-ND)

Foto eines Persischen Leoparden (von Tambako the Jaguar, CC-BY-ND)

Als Mitglied im WWF erhält man alle paar Wochen Informationen zu laufenden Projekten, und vor ein paar Tagen fischte ich eben solche aus meinem Briefkasten. Diesmal ging es um den Kaukasus-Leoparden, der zur Unterart der persischen Leoparden gehört und stark vom Aussterben gefährdet ist. Je nach Quelle gibt es davon gerade einmal noch 35 bis 65 Exemplare vor Ort im Kaukasus.

Nun habe ich von Biologie im Prinzip keine Ahnung, aber frage mich, ob die eleganten Wildkatzen da überhaupt noch eine Chance haben können. Den WWF habe ich diesbezüglich angeschrieben, aber vor nächster Woche ist mit einer Antwort nicht zu rechnen. Mit ersten Infos haben mich via Twitter aber schon Bastian Greshake und Sören Schewe versorgt.

Probleme gibt es einige: Der Lebensraum wird durch Abholzung der Wälder im Kaukasus immer kleiner und durch Jagd auf Rehe, Wildschweine und andere Beutetiere der Leoparden wird ihnen Nahrung entzogen. Gelegentlich reißen sie daher Herdetiere von Viehzüchtern, was sie nicht gerade beliebt und daher selbst zur Zielscheibe macht. Dass ihr Fell beliebt ist, tut sein Übriges.

Das alles müsste man angehen, aber selbst bei Gelingen entsprechender Maßnahmen finde ich die sehr geringe Populationsgröße Besorgnis erregend, die zu einer Inzuchtdepression führen könnte: Durch geringere genetische Vielfalt kann es zu einer Verringerung der Krankheitsresistenz oder Fruchtbarkeit kommen. Reichen 35-65 Exemplare überhaupt aus, um noch berechtigte Hoffnung für ein Überleben der Art haben zu können? Unabhängig von den oben geschilderten Problemen, die noch hinzu kämen?

Erste Anhaltspunkte bietet eine Präsentation zum Thema Naturschutz-Genetik [Update: inzwischen leider nicht mehr verfügbar] von Andrea Pluess. Die effektive Populationsgröße einer Art sei normalerweise viel kleiner als die gezählte Populationsgröße (nur 10%-30%), da Männlein und Weiblein nicht gleich häufig vertreten sind und auch nur an der Reproduktion beteiligte Individuen berücksichtigt werden. Wo der Kaukasusleopard in diesem Intervall anzusiedeln wäre, hängt vermutlich von dessen Reproduktionsrate, geographischer und demographischer Verteilung, seinem Sozialverhalten und anderen Faktoren ab.

Wer möchte, bekommt auf Seite 14 der Präsentation eine Formel zur Bestimmung der effektiven Populationsgröße. Es seien N_{c} die gezählte Populationsgröße bestehend aus erfolgreichen m männlichen und f weiblichen Exemplaren (N_{c}=m+f). Die effektive Populationsgröße N_{e} wird dann bestimmt mittels

N_{e} = 4 \frac{m \cdot f}{m+f}

und ist entweder ebenso groß wie die gezählte Population (bei m=f) oder kleiner.

Um eine Inzuchtdepression zu vermeiden, wird eine effektive Populationsgröße von mindestens 50 Exemplaren benötigt. Selbst wenn alle mutmaßlich 65 verbleibenden Kaukasus-Leoparden an der Reproduktion beteiligt wären und zu jeweils 50% in die Rechnung eingingen, würde es also mit N_{e}=N_{c}=65 schon eng. Nimmt man gar die angeführten, wohl realistischeren 10%-30%, liegt man nur noch bei maximal N_{e}=6,5 bis N_{e}=19,5.

Man spricht von einem demographischen Flaschenhals. Selbst wenn dieser überwunden werden kann und sich die Population wieder erholt, wie etwa beim Nördlichen See-Elefant oder beim Sabah-Nashorn, bleibt die Zukunft ungewiss, denn die genetische Anpassungsfähigkeit ist stark eingeschränkt und die Gefahr von irgendwann durchschlagenden Erbkrankheiten bleibt (S. 17-18).

Etwas Hoffnung gibt es allerdings doch noch, denn weltweit existieren laut der Roten Liste gefährdeter Arten immerhin noch rund 1.000 persische Leoparden, zu denen die betroffenen Kaukasus-Leoparden zählen. Durch Umsiedlungen könnte man also die genetische Vielfalt erhöhen und so einer Inzuchtdepression vorbeugen. Aber geht das so einfach? Selbst wenn ja, müssen immer noch die anderen, oben genannten Probleme aus der Welt geschafft werden.

Wer helfen möchte, kann sich mit einer Spende an den WWF wenden. Was denkt ihr? Hat der Kaukasus-Leopard überhaupt noch eine Chance?

Foto des Persischen Leoparden von Tambako the Jaguar, nutzbar unter der Creative-Commons-Lizenz CC-BY-ND 2.0.

Update

An dieser Stelle sammele ich ein paar Links zum Projekt und verwandten Fundstücken.

6 thoughts on “Gibt es eine Chance für den Kaukasus-Leoparden?

  1. Schöner Blogpost. Das Thema ist schon echt interessant, auch wenn ich kein Experte für Artenschutz bin. Ich hab gerade mal aus Neugier das Beispiel mit einem Geschlechterverhältnis von 1:64 durchgerechnet (bei 0:65 ist ja ganz einfach klar was passieren muss, Gentechnik mal beiseite gelassen). Dann kommt man auf eine Effektive Populationsgröße von gut 3,94, was dann schon extrem weit von dem, in der Vorlesung angegebenen, Mindestwert abweicht.

    Aber wie Sören und ich ja gestern schon auf Twitter ein bisschen diskutiert haben, muss man schauen, dass gerade bei so geringen, gezählten Populationsgrößen auf einmal viele Faktoren eine Rolle spielen, die man normalerweise bei solchen Berechnungen einfach vernachlässigen kann, weil sich die Werte dann rausmitteln. Als Beispiel dafür hat Sören z.B. das Alter angeführt: Wenn die Tiere alle bereits im Rentenalter sind, dann ist die Chance gering, dass man da noch einen großen Fortpflanzungserfolg sehen wird.

    Um wirklich bestimmen zu können wie es mit einer Inzucht-Depression aussieht müsste man den Inzuchtkoeffizienten berechnen bzw. experimentel bestimmen. Denn theoretisch ist es ja auch möglich, dass die 65 Tiere nur extrem entfernt verwandt sind, und damit würde es genug verschiedene Kombinationen geben, mit denen man recht wahrscheinlich den größten Teil der genetischen Vielfalt der Art erhalten kann. Gleichzeitig ist es aber recht unwahrscheinlich, dass so eine kleine Population, die auf einem immer geringer werdenden Gebiet lebt, nicht zumindest Teilweise näher verwandt ist.

    Da ein experimenteller Nachweis über die Verwandtschaftsverhältnisse vermutlich wenig praktikabel ist (die letzten 65 Tiere fangen und ihre DNA analysieren ist nicht nur aufwändig sondern fügt bestimmt auch Stress zu, den man lieber vermeiden will), könnte man zumindest über Kenntnis des Sozial- und Wanderungs-Verhaltens der Tiere Abschätzungen machen. Wenn der Nachwuchs zwar nach dem Säugen solitär lebt, aber nur so gerade aus dem Gebiet der Eltern herauswandert, dann ist die Chance ja relativ hoch, dass 2 der Leoparden die in benachbarten Gebieten leben direkt miteinander verwandt sind. Und laut Wikipedia scheint dies auch mehr oder weniger der Fall zu sein, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Leopard#Aufzucht_der_Jungen

    Aber vielleicht kann der WWF einen ja noch mit mehr Details dazu versorgen :)

    1. Ah, schöne Zusatzinfos, danke. An Faktoren wie das Alter habe ich auch schon gedacht und vermutet, dass das in den 10%-30% drinsteckt (Demographie der Leoparden).

      Wäre echt spannend, Lebensraum und Co mal zu modellieren und verschiedene Szenarien zu simulieren. Keine Ahnung, ob sich unter meinen Profs in Hagen jemand fände, bei dem ich das als Thema für die Bachelorarbeit unterbekäme. Wäre vermutlich aber eher Biologie + Informatik denn Mathematik.

  2. Ja, solche Faktoren werden bei der Erstellung der Formel für Ne mit eingeflossen sein. Allerdings geht man bei so etwas ja normalerweise von einer relativ idealisierten Population aus und schaut, dass man die Mittelwerte für die anderen Variablen verwendet, so kommt man dann zu der Näherungsformel.

    Aber davon kann man ja bei einer Individuenanzahl von 50 leider nicht mehr wirklich ausgehen und Alter, Verwandtschaftsverhältnisse etc. der Population werden sich dann vermutlich nicht mehr so simpel über eine so einfache Formel beschreiben lassen.

    Ein Modell davon wäre wirklich spannend, ich muss mal schauen ob vergleichbares schon mal gemacht wurde. Aber ich würde schon sagen, dass man das im Fachbereich Mathematik unterbringen kann. Das ist doch eigentlich ein klassisches Problem der theoretischen Biologie/Ökologie und bewegt sich damit direkt im interdisziplinären Feld von Biologie und Mathematik :)

  3. Die WWF-Kampagnen sind für mich immer sehr ansprechend. Ich habe gespendet und hoffe, dass ungeachtet der rechnerischen Aussichten dies ein Beitrag zur Erhaltung des Tiers ist. Wir haben übrigens in dem göttinger Piratenprogramm einen kleinen Abschnitt zum Tierschutz ….

  4. @Bastian
    Stimme dir vollkommen zu, bei der geringen Populationsgröße kann man das schon ohne Formeln betrachten.

    Es würde mich schon sehr wundern, wenn noch niemand allgemein versucht hat, so etwas zu simulieren – vielleicht nicht speziell bei den Leoparden. Jäger-Beute-Simulationen gehören schließlich zu den Standardbeispielen von Simulationsumgebungen, zum Beispiel bei NetLogo.

    Interessant wäre es, das per Multiagenten-Simulation durchzuspielen (habe mich in meiner Diplomarbeit damit beschäftigt – puuuh, auch schon wieder über fünf Jahre her). Da kommen zwar auch mathematische Modelle zur Anwendung, aber es ließe sich schon fragen, ob das noch angewandte Mathematik oder schon Informatik ist. Die Grenzen sind da ja fließend.

    Man müsste das mit dem Verfahren jedenfalls nicht rein abstrakt in Formeln gießen, sondern könnte den Lebensraum Kaukasus in Form einer Matrix anlegen, auf dem du dann individuelle Agenten miteinander interagieren lässt, Leoparden, Menschen, Wildschweine, Bäume, … Jedes Individuum kann tatsächlich durch eine (beliebig komplexe) Instanz abgebildet werden, mit individuellen Eigenschaften, Bewegungsmustern, Zielen, usw. Bei sehr großen Populationen würde man auch das irgendwie „mitteln“, aber in der vorliegenden Größenordnung wären das Peanuts.

    @Andi
    Ja, ich finde die WWF-Kampagnen auch prima. Sehr schön finde ich, dass man sich einige Projekte auch vor Ort zeigen lassen kann, zumindest die nationalen.

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