Noch nie war ich in einem Drei-Sterne-Restaurant, aber dort kochen wohl die Weltbesten, die Meister ihres Fachs. Sie zaubern die leckersten Menüs, vielleicht gehört eine ganz ausgezeichnete Tomatensuppe dazu. Die schmeckt sicher wirklich gut, aber was genau darin enthalten ist, wie man sie zubereitet? Keine Ahnung. Das weiß der Koch, aber der ist nicht da, um ihn zu fragen. Was also tun?
Vielleicht kommt jemand auf die Idee, daraus eine Tütensuppe zu machen. Da steht auf der Verpackung ja ganz genau drauf, wie das geht:
Beutelinhalt mit einem Schneebesen in 1/2 l (500 ml) kochendes Wasser einrühren.
Bei schwacher Hitze 1 Minute kochen lassen. Ab und zu umrühren.
So einfach. Ist das Kochen? Wohl kaum, und das wird auch nicht die Tomatensuppe aus dem Restaurant, aber anders bekommt der ganz Ungeübte das nicht hin. Er weiß ja auch gar nicht, was alles wichtig ist für eine gute Tomatensuppe. Was für Tomaten sollte ich nehmen? Welche Gewürze gehören dazu? Wie bereitet ich das alles richtig zu, damit es schmeckt und nicht versehentlich zu Ketchup wird? All dieses Wissen des Meisterkochs bekommt man nicht in die Tütensuppe hinein.
Es muss ja auch gar nicht jeder so gut kochen, aber wäre es nicht schön, wenn man das Können wenigstens richtig beurteilen könnte? Oder wenn man Leute entlarven könnte, die nur vorgeben, ein Koch zu sein, aber selbst auch nur eine Tütensuppe aufkochen und die dann teuer verkaufen?
Man muss dafür aber nicht nur die leckere fertige Suppe kennen, sondern auch wissen, wie man sie richtig hinbekommt. Vielleicht könnte jemand den Koch filmen und die Videos bei YouTube einstellen. Der Koch könnte auch bloggen, wie er selbst einmal die richtigen Tomaten gefunden hat, die genau passend sind für seine Suppe. Womöglich erzählt er dann, dass er erst tagelang 20 verschiedene Variationen probieren musste, bis die Suppe wirklich gut war. Der Rest war misslungen und kam in den Ausguss. Wenn der Koch etwas Zeit und Lust hat, kann er Interessierte zu sich einladen und Ihnen seine Arbeit zeigen, und die können ihm dann Fragen stellen. Auf diese Weise werden die Leute aber nicht zu Meisterköchen. Sie wissen dann vielleicht immer noch nicht, welche Gewürze man für die Suppe gebrauchen kann und welche man tunlichst meiden sollte. Aber sie bekommen eine viel bessere Idee davon, was es heißt zu kochen.
Und nun fragen die Karriereköche sicher, was sie denn davon hätten. Nervende Menschen die sie beim Arbeiten stören, nur dumme Fragen stellen oder gleich noch dümmere Vorschläge machen. Aber was, wenn jemand viel reist und in Südamerika auf Tomaten gestoßen ist, die noch besser schmecken als die, die der Koch in seine Suppe tut. Oder ein anderer ist befreundet mit einem Gemüsehändler, bei dem der Koch seine Zutaten viel günstiger bekommen kann. Unter den Leuten könnte auch ein wahres Talent schlummern, das der Koch erkennt und fördern sollte. Vielleicht werden einfach Menschen auf das Restaurant aufmerksam, weil sie die YouTube-Videos so schön finden und sorgen mit ihrem Besuch für mehr Umsatz. Und möglicherweise wird ein Küchenjunge krank, der sonst die Tomaten häutet – das kann aber auch ein Amateurkoch übernehmen und so den Abend retten, weil man sonst die Gäste hungrig nach Hause schicken müsste.
So stelle ich mir das mit der öffentlichen Wissenschaft vor. Forschung und Lehre können mit Wikis, Twitter, Blogs und anderen solcher Dienste geöffnet werden in beide Richtungen. Außenstehende bekommen etwas von den Abläufen mit und können womöglich sogar etwas beitragen. Das Thema habe ich kürzlich auf telepolis ganz kurz vorstellen dürfen und damit für ein bisschen Diskussion gesorgt, weil ich in dem kurzen Text Vieles unklar gelassen habe.
Es soll nicht darum gehen, alle Menschen zu Wissenschaftlern zu machen. Aber wenn sie nur die Veröffentlichungen in Zeitschriften zu lesen bekommen (Suppe), dann bekommen sie keinen Einblick in die Arbeit, die dahintersteckt (kochen). Sie wissen nicht, wie viele Experimente schiefgegangen sind, bevor schließlich ein Durchbruch gelungen ist (die Suppe im Ausguss). Sie können mit den strengen Methoden nichts anfangen, die eingesetzt werden. Sie verstehen eventuell auch nicht, warum es in der Wissenschaft so schlimm ist, wenn jemand ein Plagiat als Doktorarbeit abgibt… Wenn wir also das Verständnis für Wissenschaft vergrößern möchten, müssen wir auch zeigen, was das alles bedeutet und wie das vor sich geht.
Ich meine aber nicht, jeder müsse nun Forschung und Lehre immer öffnen. Das kann jeder selbst entscheiden. Liegt sicher auch nicht jedem. Ich lade aber jeden dazu ein zu überlegen, ob es für andere oder sich selbst nicht an gewissen Stellen sinnvoll sein könnte. Und dann ausprobieren!
Gerade dann, wenn das Themengebiet die Lebenswirklichkeit von Menschen berührt, kann man Anregungen erhalten (Südamerika-Tomaten) oder als Wissenschaftler etwa durch Fragen von Praktikern darauf gestoßen werden, dass man etwas doch noch nicht genau beantworten kann. Durch neue Kontakte gewinnt man möglicherweise Drittmittel (Gemüsehändler) oder wird schlicht bekannter und bekommt etwas Balsam für sein Ego (YouTube-Videos). Und nein, ich erwarte nicht, dass ein Amateur so etwas wie die Riemannsche Vermutung bestätigt oder widerlegt oder bei anderen hochspeziellen Problemen konkret helfen kann. Aber wenn der britische Mathematiker Godfrey Hardy nicht den Brief von einem völlig unbekannten Inder namens Srinivasa Ramanujan gelesen hätte, wären der Welt sicher einige Erkenntnisse in der Zahlentheorie verloren gegangen. Ramanujan hatte keinen höheren Schulabschluss und sich im Prinzip ganz alleine Mathematik aus Büchern beigebracht (ein Talent). In der Astronomie schließlich sind Amateure schwerlich wegzudenken, weil Sternwarten allein gar nicht den ganzen Himmel erfassen können und ihnen daher etwas entgehen kann. 1987 halfen solche Amateure durch ihre Datensammlung (Tomaten häuten) zum Beispiel dabei, eine Theorie in der Astrophysik zu bestätigen.
Wenn man Menschen also die Wissenschaft wirklich näherbringen und sie dafür begeistern möchte, dann sollte man ihnen keine Tütensuppe geben, sondern sie für Tomaten und das Kochen begeistern. Und vielleicht hat man dann selbst auch noch etwas davon.
Am Mittwoch vor der Openmind-Konferenz erreicht mich abends eine E-Mail: Die Website telepolis habe angeboten, eine Auswahl der Vorträge in schriftlicher Form zu veröffentlichen. Man brauche die Beiträge aber am besten schon bis Freitag. Was habe ich getan? Nachtschicht. Müde, aber rechtzeitig fertig. Was passiert? Es genügt dann doch eine Abgabe bis Dienstag nach der Konferenz. Was passiert anschließend? Heute erscheint eine Auswahl der Beiträge, telepolis hat meinen aber leider verschmäht. Was heißt das? Ich habe wieder Inhalt für mein Blog und betreibe so etwas wie Restmüll-Marketing ;-)
UPDATE: Der Artikel hat es nun doch noch auf telepolis geschafft. UPDATE: Der Artikel ist inzwischen nicht mehr auf telepolis verfügbar.
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„Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus. Ich bin gerne bereit zu prüfen, ob bei über 1.200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten und würde dies bei einer Neuauflage berücksichtigen.“ [1]
So antwortete der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg auf die Frage, ob Teile seiner Dissertation womöglich aus anderen Werken abgeschrieben worden sein könnten, ohne dass er dies ausreichend kenntlich gemacht hatte. Schnell wurde von vielen Kritikern sein Rücktritt gefordert, ebenso viele Menschen konnten aber den Wirbel um die Affäre nicht verstehen: Herr zu Guttenberg hatte ein wenig gemogelt, aber macht das nicht jeder mal? Offenbar war vielen die Bedeutung dieses Vergehens gar nicht bewusst. Ich meine, das liegt daran, dass der Wissenschaftsbetrieb für viele schlicht ein Buch mit sieben Siegeln ist, das sie nicht öffnen können.
Und tatsächlich, das Bild von der einsamen Forschung im Elfenbeinturm scheint nicht von ungefähr zu kommen. Einerseits hat die zunehmende Spezialisierung der wissenschaftlichen Disziplinen zwar dazu geführt, dass Einzelgänger es schwer haben und Ergebnisse immer häufiger nur durch Kooperation mit anderen erzielt werden können [2]. Denken Sie etwa an die großen Projekte am Kernforschungszentrum CERN. Andererseits bleiben die unzähligen Publikationen für die meisten unverständlich, bisweilen sogar für Fachkollegen, weil jenseits von notwendigen Fachbegriffen ein möglichst staubtrockener Sprachstil und möglichst kompliziert formulierte Sätze gepflegt werden. Sie taugen vielleicht zum Imponieren oder verheißen vermeintlich Qualität, erschweren aber unnötig das Verständnis. Das wusste schon Goethe: „Die Deutschen, und sie nicht allein, besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzugänglich zu machen.“ [3] Auch Initiativen zur Förderung von Open Access dürften daran wenig ändern. Forschungsergebnisse werden durch sie zwar öffentlich zugänglich, aber nicht offen.
Popularisierung der Wissenschaft
Um den klaffenden Graben zwischen der Wissenschaftswelt und der Allgemeinheit zu verkleinern, wurde bereits im 19. Jahrhundert versucht, Spezialwissen einem größeren Publikum zugänglich zu machen: Schon damals wurden Anleitungsbücher für Hobbyforscher verfasst oder im Wissenschaftlichen Theater Lehrstücke inszeniert [4]. Was einst als Mittel der Bildung der Massen gedacht war, ruft heute jedoch eher ein Naserümpfen hervor. Populärwissenschaftliche Literatur genießt bei vielen Wissenschaftlern den Ruf des Zweitklassigen, des weniger Korrekten. Der Physiker Martin Bojowald sah sich offenbar aus diesem Grund dazu gezwungen, sich im Vorwort seines Buches „Zurück vor den Urknall“ dafür zu rechtfertigen, dass er nicht bloß für Fachkollegen geschrieben hatte [5]. Auch normale Menschen sollten das Universum und seine Theorien verstehen.
Aber hätte er das nicht Wissenschaftsjournalisten überlassen sollen, die speziell dafür ausgebildet worden sind? Sie sind schließlich geübt darin, aus den Erkenntnissen verschiedener Forscher eine stimmige Geschichte zusammenstellen und sie gleichzeitig informativ und unterhaltsam aufbereiten. Es gibt dafür heute ganz unterschiedliche Formate: Zeitschriften wie Spektrum der Wissenschaft, Fernsehsendungen wie Quarks und Co., Science Centers wie das Mathematikum in Gießen, Kinderuniversitäten und vieles mehr. Das ist schon so etwas, was man Öffentliche Wissenschaft (oder Open Science) nennen könnte. Auf diesem Wege kann nämlich schon das Verständnis für das dargebotene Wissen vergrößert werden, aber leider noch nicht für die Wissenschaft selbst oder gar die Menschen dahinter.
Verstehen Sie, was ich damit meine? Es werden zwar die Forschungsergebnisse mundgerecht präsentiert, aber die Prozesse, die zu diesen Ergebnissen führen, bleiben im Dunkeln. Außenstehende bekommen ein Produkt geliefert, können aber nicht nachvollziehen, wie es entstanden ist und welche Gedanken bei der Erstellung verfolgt und verworfen wurden. Sie sehen vor allem nicht, welche Probleme es auf dem Weg zu lösen gab, welche Fehler gemacht und welche Lehren aus ihnen gezogen wurden. Auch solche Dinge gehören zur Wissenschaft. Wenn man die weglässt, entsteht ein völlig falsches Bild. Und dann wundert man sich, wieso die Menschen nicht verstehen, was Herr zu Guttenberg so Schlimmes getan hat.
Von 1.0 zu 2.0
Nun gibt uns aber speziell das Internet die Möglichkeit an die Hand, dagegen etwas zu tun. Wir bekommen nämlich einen Rückkanal, und der ändert eine ganze Menge. Im einfachsten Fall können Wissenschaftler etwa in Blogs über Themen aus ihrem Fachgebiet berichten und Fragen von Interessierten dazu beantworten. Es wird ein zügiger direkter Austausch möglich, doch damit ist das Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Da ist noch Luft.
In der Wikipedia können wir nicht nur Texte lesen, sondern auch selbst mitschreiben. Auf YouTube können wir nicht nur Filme anschauen, sondern auch eigene einstellen und kommentieren. Die Unterscheidung zwischen Produzenten und Konsumenten von Inhalten weicht auf. Doch bevor wir die Bedeutung für die Wissenschaft weiter beleuchten, betrachten wir zunächst einige Beispiele.
Der Heidelberger Professor Christian Spannagel hielt – damals noch in Ludwigsburg – im Wintersemester 2008/2009 ein Seminar ab, das sich um die Didaktik der Informatik drehte [6]. Die Studierenden diskutierten in einem öffentlichen Wiki eine spezielle Theorie, Spannagel berichtete darüber in seinem Blog und per Twitter. Daraufhin stießen mehrere Externe hinzu und beteiligten sich an der Diskussion. Darunter befand sich auch der Entwickler eines speziellen Lehrkonzepts, das man kurzerhand vor Ort in einer seiner Schulklassen begutachtete. Ein Referendar wurde auf den Kurs aufmerksam, erprobte das Konzept und berichtete davon den Studierenden, die darauf aufbauen konnten und selbst Unterrichtseinheiten entwickelten. Ob das in dieser Form wohl ohne eine Öffnung des Seminars möglich gewesen wäre?
Auf wissenschaftlichen Konferenzen ist es möglich, das aktuelle Geschehen per Video-Stream ins Internet zu stellen und gleichzeitig per Twitter die Gedanken der Teilnehmer dazu zu lesen. Mehr als die Festlegung eines eindeutigen Hashtag braucht man dafür nicht. Und natürlich können auch Zuschauer rund um den Globus Kommentare beisteuern oder Fragen an den Vortragenden richten, die dieser wiederum auf einer Twitterwall sehen und bei Gelegenheit beantworten kann. Das nenne ich mal „mittendrin statt nur dabei“.
Und auch die ganz normale Forschung kann öffentlich gestaltet werden. Meine ersten Ideen halte ich oft in einem Wiki fest und bitte per Twitter oder Blogbeitrag um Anregungen dazu. Sie möchten ein Beispiel? Schauen Sie doch einmal unter http://de.wikiversity.org/wiki/Benutzer:O.tacke/Zeitschrift_fuer_E-Learning-2011 nach. Da kamen viele gute Anregungen zusammen, auch wenn der Beitrag nachher abgelehnt wurde. Gerade diese Rückmeldungen können zeigen, wo noch Schwierigkeiten bestehen oder Dinge offen geblieben sind. Auch der Meeresforscher Stefan Rahmstorf berichtet davon, durch Fragen der Leser seines Blogs schon auf neue Anregungen gekommen zu sein [7]. Sie können sich das allerdings über den ganzen Forschungsprozess denken. Das muss nicht bei der Ideensammlung stehenbleiben, Sie können auch den ganzen Beitrag online mit anderen verfassen und Interessierte können zwischendurch etwas beisteuern – auch dazu werden Sie ganz aktuell etwas bei mir finden. Wenn ich schließlich fertig bin, könnte ich auch öffentlich darum bitten, den Text zu begutachten, bevor ich ihn bei einer Zeitschrift einreiche. All das funktioniert tatsächlich.
Und alle diese Beispiele würde ich mit Open Science 2.0 betiteln. Es geht nicht um das Präsentieren von fertigen Inhalten, sondern um das Erstellen, Prüfen, Verbessern dieser Inhalte durch Forscher, Praktiker und begeisterte Amateure. Wer an der Entwicklung von Wissen mitwirkt, versteht viel besser, was Wissenschaft eigentlich ausmacht und bedeutet. Andersherum bleiben Forscher vielleicht eher auf dem Boden der Tatsachen und erhalten so den Blick für das Ganze zurück, der bei ihrer Spezialisierung verloren gegangen sein könnte. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt ist jedenfalls der Ansicht, Wissenschaft sei „eine zur sozialen Verantwortung verpflichtete Erkenntnissuche“ und müsse sich um die großen Menschheitsprobleme wie Überbevölkerung, Klimawandel, Globalisierung der Ökonomie oder die weltweite militärische Hochrüstung kümmern [8]. Dabei ist die Kooperation Vieler gefragt, unabhängiger Experten ebenso wie betroffener Amateure.
Am Ziel? Jetzt wird es doch erst spannend!
Das klingt alles toll, oder? Aber vielleicht haben Sie sich oben an so mancher Stelle schon am Kopf gekratzt und gefragt, wie das denn alles gehen soll. Experten sollen mit Laien zusammen etwas entwickeln, ist das denn möglich? Die Frage stellen sich einige Unternehmen auch, wenn sie versuchen, Produkte und Dienstleistungen zusammen mit Lieferanten oder Kunden zu entwickeln. Betriebswirte nennen das Open Innovation, und da gibt es viele Ähnlichkeiten zur Open Science, die ich in einem anderen Artikel schon beschrieben habe [9].
Aber zurück zur Frage: Geht das denn? Es gibt manche, die auf die Theorie der sogenannten operational geschlossenen Systeme von Niklas Luhmann zurückgreifen und daraus folgern, da könne nichts Brauchbares für die Wissenschaft bei herauskommen – Wissenschaftler würden Praktiker nicht verstehen und andersherum [10]. Andere halten dagegen [11]. Das ist auch gar nicht so einfach zu beantworten, das ist alles ziemlich neu, und tatsächlich gibt es noch viele offene Fragen!
Ich bin jemand, der gerne gleich ausprobiert und manche Sachen klappen bisher gar nicht, andere schon ganz gut. Ich möchte mehr öffentliche Wissenschaft. Ich verstehe aber auch Einwände, die sich wie „Das geht nicht, weil!“ anhören. Die müssen gar nicht bedeuten, dass die Idee grundsätzlich abgelehnt wird, aber dass möglicherweise einige Vorschläge noch nicht wirklich ausgereift sind. Kategorische Nein-Sager wird es allerdings auch immer geben. Also werde ich mich hier auch nicht hinstellen und verkünden, genau so oder so müsste das gemacht werden. Ich habe nicht alle Antworten – nur ein paar. Daher stelle ich einfach einige Fragen zusammen, die mir diskussionswürdig erscheinen und lade Sie dazu ein, die Liste zu ergänzen und miteinander darüber zu diskutieren.
Fragen zur Diskussion
Gefährde ich als seriöser Wissenschaftler nicht meinen guten Ruf und meine Karriere, wenn ich öffentliche Wissenschaft betreibe?
Kann sich dann nicht jeder an meinen Ideen bedienen und mir damit etwas wegnehmen?
Wie bringe ich vielleicht fremde Leute dazu, zusammen mit mir oder Studierenden an einem Thema zu arbeiten? Will da überhaupt jemand mitmachen?
Frisst das nicht viel Zeit, die man besser anders nutzen sollte?
Wird der Wissenschaftsjournalismus überflüssig?
Welche technischen Instrumente eignen sich am besten für welche Phase der Forschung?
Welches Vorgehen eignet sich am besten für welche Phase der Forschung?
Was passiert, wenn Unternehmen an der Forschung beteiligt sind und Betriebsinterna berührt werden?
Können auch Unternehmen davon profitieren, indem Kooperation nicht nur mit Universitäten stattfinden, sondern zusätzlich mit anderen Interessierten?
Soll jetzt jeder dazu gedrängt werden, öffentliche Wissenschaft zu betreiben?
Welche Voraussetzungen müssen Wissenschaftler und andere Beteiligte dafür überhaupt mitbringen?
[2] Vgl. Gläser, Jochen; Lange, Stefan (2007): Wissenschaft, in: Arthur Benz et al. (Hrsg.): Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, Wiesbaden, S. 437-451, hierzu speziell S. 447.
[3] Goethe, Johann Wolfgang von (1830): Goethe’s Werke: Vollständige Ausgabe letzter Hand. 22. Band: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die entsagenden, 2. Buch, Stuttgart, Tübingen, S. 249.
[4] Vgl. Daum, Andreas W. (2006): Popularisierung von Wissenschaft im 19. Jahrhundert, in: Faulstich, Peter (Hrsg.): Öffentliche Wissenschaft, Bielefeld, S. 33-50.
[5] Vgl. Bojowald, Martin (2009): Zurück vor den Urknall, Frankfurt am Main, S. 9.
[6] Vgl. Spannagel, Christian; Schimpf, Florian (2009): Öffentliche Seminare im Web 2.0, in: Apostolopoulos, Nicolas et al. (Hrsg.): Lernen im Digitalen Zeitalter, Berlin, S. 13-20., hierzu speziell S. 17-18.
[9] Vgl. Tacke, Oliver (2010): Open Science 2.0: How Research and Education can benefit from Open Innovation and Web 2.0, in: Bastiaens, Theo J.; Baumöl, Ulrike; Krämer, Bernd J. (Hrsg.): On Collective Intelligence, Berlin, Heidelberg, S. 37-48.
[10] Vgl. zum Beispiel Kieser, Alfred; Leiner, Lars (2010): Kollaborative Managementforschung – Eine Brücke über den Rigor-Relevance Gap?, in: ZfB – Zeitschrift für Betriebswirtschaft (Sonderausgabe Mixed Methods in der Managementforschung), 80. Jg., Nr. 5, S. 89-113.
[11] Vgl. exemplarisch Hodgkinson, Gerard P.; Rousseau, Denise M. (2009): Bridging the Rigour-Relevance Gap in Management Research: It’s Already Happening!, in: Journal of Management Studies, 46. Jg, Nr. 3, S. 534-546.
Am Sonntag habe ich zur Frage geblogged, ob der Kaukasus-Leopard bei seiner geringen Verbreitung überhaupt noch eine Chance auf’s Überleben hat. Zu dieser Frage können nicht nur Biologen etwas beisteuern, sondern etwa auch Informatiker, indem sie das Ökosystem modellieren und simulieren und so Aufschluss darüber geben können, welche Maßnahme am dringendsten ist oder am meisten Erfolg verspricht. Oder Politologen und Soziologen, indem sie die Gesellschaftsstrukturen und -prozesse im Kaukasus untersuchen und mit entsprechenden Programmen die Menschen einbeziehen.
Warum sollten nicht auch Betriebswirte etwas dazu beitragen können? Warum sollten sie den WWF beispielsweise nicht darin unterstützen, Projekte zu begleiten, Kostenpläne zu erstellen, die Logistik für Kampagnen zu managen oder Marketingstrategien zu erarbeiten? Und so fänden sich sicher viele Probleme in der Praxis – außerhalb von Unternehmen – an deren Lösung auch Kaufleute mit ihrem Wissen mitwirken könnten.
Anfang des Jahres sprach der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt zu dem Thema und betonte die Verantwortung der Forschung im 21. Jahrhundert, die sich angesichts der Menschheitsprobleme ergäbe. Wissenschaft sei „eine zur sozialen Verantwortung verpflichtete Erkenntnissuche“ [1]. Etwas philosophischer betrachtet Martin Carrier die Frage nach den Werten in der Wissenschaft und kommt zu seinem persönlichen Schluss, dass abseits der methodischen Objektivität eine ethische Perspektive notwendig sei, in deren Folge sich Forscher auch mit den gesellschaftlichen Konsequenzen ihrer Arbeit auseinandersetzen sollten [2].
Es gibt in der Praxis so viele bedeutende (subjektiv, ich weiß) Probleme, zu deren Lösung auch Wirtschaftswissenschaftler beitragen können. Man muss nur mal eine Tageszeitung aufschlagen, um einen ersten Eindruck zu erhalten; danach bedarf es nur etwas Phantasie. Speziell für die Wirtschaftsinformatik diskutiert beispielsweise Urgestein Peter Mertens deren gesellschaftliche Rolle und führt auch Umweltschutz, Aus- und Weiterbildung oder Lebensstandards der Bevölkerung als relevante Bereiche des Fachs an [3]. Gary Hamel, in der Wirtschaftswelt kein ganz Unbekannter, ist der Ansicht, dass Betriebswirte sich mit Fragen wie „Warum sollten so viele Menschen in uninspirierenden Unternehmen arbeiten?“ oder „Warum sollten Manager ihre gesellschaftliche Verantwortung nicht begrüßen statt ihr aus dem Wege zu gehen?“ zu beschäftigen haben [4]. Geld verdienen zu wollen, ist nichts Verwerfliches, aber man sollte die Umstände im Auge behalten. Und auch Forschung findet nicht in einem vom Umfeld isolierten System statt.
Was bedeutet das für mich und meine Arbeit? Ich selbst beschäftige mich in meiner Dissertation mit Lernen durch Lehren (LdL) in der betrieblichen Weiterbildung. Unternehmen könnten vom Einsatz des Konzepts profitieren (ob und wie, versuche ich einzugrenzen), aber besonders auch die Lernenden. Es geht bei LdL halt nicht nur darum, fachlich weiterzukommen, sondern sich über seinen Job hinaus auch selbst als Persönlichkeit zu entwickeln. Das verbuche ich unter einem gesellschaftlich bedeutsamen Aspekt. Der Gedanke der Weltverbesserung im Kleinen ist bei LdL im Prinzip fest eingebaut.
Wenn nun künftig Studierende von mir bei ihrer Abschlussarbeit betreut werden möchten, werden sie sich stets um solche Dinge Gedanken machen müssen. Ich werde auch solche Themen bevorzugt annehmen, die konkret einen klaren größeren Nutzen erkennen lassen – sei es die Personalführung in ehrenamtlicher Einrichtungen zu untersuchen oder Strategien für Non-Profit-Organisationen zu entwerfen.