Archiv der Kategorie: Offene Wissenschaft

In „Offene Wissenschaft“ veröffentliche ich meine Gedanken zu Forschung und Lehre

„Und die Verworrenen werden die verwirren, die nicht schon vorher verworren waren.“

Diese Woche berichtete mir jemand voller Ehrfurcht von einem wissenschaftlichen Artikel. Eine Passage daraus:

Vor diesem Hintergrund, dem Hintergrund des historischen Verblassens von Feminismus und der subtilen und oft nicht-so-subtilen Umschriften seiner Geschichte sowie der aktiven Entnennung antiimperialistischen, globalen feministischen Aktivismus, aber auch vor dem Hintergrund untereinander konkurrierender, allerdings mit ungleichem Verhandlungskapital ausgestatteter Landnahmen auf dem Territorium feministischen Wissens und nicht zuletzt im Verbund mit aktuellen institutionalisierten politischen Praxen wie Gender Mainstreaming und Managing Diversity ist der gegenwärtige Moment daher von besonderer Bedeutung für das Unterfangen, kritisches feministisches Wissen innerhalb des akademischen Universums – und um solches geht es mir im Folgenden – zu produzieren. (Hark, Sabine (2009): Was ist und wozu Kritik? Über Möglichkeiten und Grenzen feministischer Kritik heute, in: Feministische Studien, 28. Jg., Nr. 1, S. 22-35, hier S. 25.)

Was war euer erster Gedanke? „Hä?“ Genau. Der Text beherbergt viele solcher Ungetüme, und dabei ist er sogar noch vergleichsweise harmlos. Es gibt noch härteren Stoff. Mir wurde dazu gesagt, komplexe Gedanken brächten nunmal eine komplexe Sprache mit sich. Die Vielschichtigkeit der Ideen spiegelte sich in der verwinkelten Satzkonstruktion wider. Das sei doch schön.

Unverständlichkeit ist noch lange kein Beweis für tiefe Gedanken. (Marcel Reich-Ranicki)

Komplizierte Sprachgerüste zeigen nicht automatisch an, dass auch tatsächlich gedankliche Tiefe vorhanden ist. Und wenn es sie doch gibt, lässt sie sich nicht klar und verständlich wiedergeben? Die Nützlichkeit von vielen Dingen ergibt sich doch gerade durch eine angemessene Vereinfachung. Nehmen wir als Beispiel einen Stadtplan im Maßstab 1:1, was könnten wir damit anfangen? Er würde zwar die reale Straße ziemlich genau abbilden, aber helfen würde er uns wenig. Ließe sich das Wortknäuel oben nicht doch ein bisschen entwirren?

Warum schreiben manche Wissenschaftler solche Texte? Sicher nicht mit böser Absicht. Besteht vielleicht die in meinen Augen irrige Annahme, wissenschaftliche Texte müssten vor Fremdworten nur so strotzen? Wurde irgendwo die Vorstellung anerzogen, Substantivierungen, Passivsätze und lateinische Begriffe seien Merkmale für Qualität? Nicht falsch verstehen, ich verteufele hier keineswegs Fachbegriffe, und Wissenschaft gibt es nicht als Tütensuppe. Fachbegriffe haben durchaus ihre Berechtigung, aber sie werten durch ihre bloße Anhäufung einen Text nicht auf.

Viele Wissenschaftler finden nicht einmal, dass sie verpflichtet wären, die Wahrheit den Menschen zu zeigen. Sie zeigen sie sich nur gegenseitig. (Gunter Dueck)

Ist der Grund für Verbalnebel vielleicht doch der unterbewusste Wunsch, sich von niederen Texten abzugrenzen und sich selbst auf einen höheren Sockel zu heben? Wichtigtuerei mit Worten? Oder geht es darum, zu einer abgehobenen Gruppe zu gehören und sich von anderen abzugrenzen? Ja, für wen schreiben Autoren solch verklausulierte Texte? Für sich selbst? „Seht her und bewundert mich. Ich kenne so viele Wörter und kann sie in eine grammatisch komplizierte, aber korrekte Reihenfolge bringen!“ Oder doch für andere? In diesem Fall möchte ein Autor sicher auch verstanden werden. Dann frage ich mich, weshalb nicht leserorientiert gedacht wird: „Bemühe ich mich wirklich so zu schreiben, dass ich verstanden werde?“ Es kann mir niemand erzählen, dass jemand mit Satzlabyrinthen besser zurecht kommt als mit klaren Worten – auch die klügsten Wissenschaftler nicht. Und „offen“ ist etwas anderes.

Doch was ist aller wissenschaftlicher Fortschritt wert, wenn man ihn nicht vermitteln kann? (Martin Bojowald)

Letzter Punkt: Aber solche Texte sind doch schön!? Klar. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, und vielleicht sind solche Werke sogar künstlerisch wertvoll. Ich finde die Formel e^{i\pi}=-1 auch ästhetisch. Ich würde sie aber nicht einfach aufschreiben und erwarten, dass sie für sich spricht, und sich halt jeder selbst zusammenreimen muss, was sie bedeutet. Schwer verdauliche Texte wie der eingangs erwähnte mögen Kunst sein, bloß hätten die Autoren dann möglicherweise einen anderen Beruf wählen sollen.

Soweit mein Senf. Gehe ich zu hart ins Gericht?

Dossenheim die Fünfte

Gestern Abend durfte ich neben Sonja Mohr (Heidelberger Druckmaschinen) und Gunter Dueck zu Gast sein bei Dossenheim zur Kreidezeit, einer interaktiven Internetsendung rund um das Thema Bildung. Diesmal verliere ich nicht viele Worte, sondern lasse das Video sprechen. Bloß noch: danke an das gesamte Team!

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Meine 100-Tage-Bilanz

Am 1. Juli habe ich meine Stelle gewechselt und arbeite seitdem am Kompetenzzentrum Hochschuldidaktik für Niedersachsen (KHN) in Braunschweig. Das ist nun genau 100 Tage her, und dieser Zeitraum wird gern dazu verwendet, um eine erste Bilanz zu ziehen.

Ich habe viel für mich neues Land betreten. Fachlich und methodisch muss ich als Quereinsteiger durchaus noch einiges nachholen, dafür kenne ich andererseits aus eigener Erfahrung die Sorgen und Nöte von wissenschaftlichen Mitarbeitern in der Hochschule. Ich habe neue Kollegen, mit denen das Arbeiten Spaß macht, von denen ich viel lernen darf und die sich abends auch mal privat treffen. Finde ich toll! Klar, es gibt auch am KHN Problemchen hier und da, der Umgang damit ist aber ein ganz anderer, als ich es von früher gewohnt war. Und ich selbst bin eigentlich nicht betroffen.

Visitenkarte vom KHN

Alte bekannte Macken hält das Biotop Universität parat, und auch die Ö-Dienst-Bürokratie nervt mich weiterhin: „Max Weber am Arsch!“ Aber das hat a) nichts mit dem KHN an sich zu tun und b) betrifft mich das bisher weniger. BMBF, hüte dich!

Und wie schlage ich mich so, wie schätze ich mich selbst ein? Klappt mal besser, mal schlechter. Manche Dinge laufen echt gut, andere finde ich murksig. Zwei Tage Workshop (nächstes Jahr werden es auswärts sogar mal vier) am Stück auszuarbeiten und durchzuführen ist etwas anderes als die an der Uni üblichen 90-Minuten-Veranstaltungen. Da freue ich mich, auch in den nächsten 100 und mehr Tagen Erfahrungen sammeln zu dürfen.

Ich bereue es nicht ein Stück, meinen alten Job gekündigt zu haben.