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Auf schmalem Grat: #H5P Essay beim #OERde17

Wenn dieser Beitrag online geht, stelle ich gerade beim OER-Festival #OERde17 die aktuelle Fassung von H5P Essay vor, die in Kürze auch offiziell verfügbar sein sollte. Sie erweitert die Software H5P um eine neue Funktion, die nicht ganz unumstritten sein dürfte. Aber was kann man damit überhaupt machen?

In seiner einfachsten Form lässt man jemanden einen Text schreiben. Als zweckdienlich kann es dabei sein, die Zahl der möglichen Zeichen zu begrenzen. In diesem Fall muss man nämlich sein Gehirnstübchen anstrengen und sich überlegen, womit man den knappen Platz füllt. Den Text kann H5P Essay dann automatisch mit einer Liste von Schlagworten abgleichen, die man vorab angelegt hat (inklusive dem Verzeihen von kleinen Tippfehlern oder dem Nutzen von Platzhalterzeichen). Je nachdem, ob ein Begriff oder eine Phrase im Text enthalten ist oder nicht, kann man dazu eine Rückmeldung ausgeben. Ihr könnte das hier auch ausprobieren an einem Beispiel.

Zu Risiken und Nebenwirkungen …

fragen Sie Ihren Pädagogen oder Bildungswissenschaftler … Es ist nämlich durchaus auch möglich, den Schlagworten Punkte zuzuordnen. Und dann landet man gegebenenfalls sehr schnell bei der Illusion, mit dieser simplen Lösung könne man Textbeiträge „bewerten“. Das hielte ich für einen Trugschluss. Der Sinngehalt von Texten lässt sich damit sicher nicht erfassen. Dafür bedürfte es einiger ausgefeilterer Techniken als sie mein Freizeitprojekt bietet.

Außerdem ist es natürlich sogar möglich, nicht mal einen zusammenhängenden Text zu schreiben, sondern bloß die gewünschten Schlagworte zu erraten und aneinander zu reihen. Statt einen ordentlichen Text zu verfassen, passt man sich womöglich nur dem Algorithmus an, der die Punkte verteilt. Axel Krommer bezeichnet das passend als Wii-Effekt.

Wer nun komplette Technikschelte oder die Romantisierung von menschlichen Lehrpersonen herausliest, läge allerdings falsch. Dafür ist mir zum einen leider zu deutlich in Erinnerung, dass ich dem Algorithmus auch an Hochschulen begegnet bin — im Kopf von Menschen, die Klausurantworten von Studierenden nur nach Schlagworten scannen statt sie zu lesen. Zum anderen haben wir es bei H5P Essay mit einem Werkzeug zu tun, das für bestimmte Einsatzzwecke geeignet ist, für andere aber nicht. Man sollte halt darüber nachdenken und nicht außer acht lassen, dass man Software weiterentwickeln kann.

Mein Spielzeug: Rückmeldung auf Texte mit H5P

Was ihr hier seht, ist eigentlich nur mein Spielplatz, auf dem ich mich beim Pendeln gerade austobe. Ist noch nicht wirklich ein brauchbarer Inhaltstyp für H5P. Die Idee: Lernende können Texte schreiben und unmittelbar eine Rückmeldung darauf erhalten. Momentan basiert das lediglich auf einer Liste von Schlagworten, die man als Lehrender vorab vergeben hat. Womöglich wird nie mehr daraus. Selbst dieser naive Ansatz könnte aber in ein paar Fällen bereits nützlich sein oder Lehrende beim bewerten von Texten unterstützen. Naja, und ich habe an einer Universität gesehen, dass einige Leute auch nur nach diesem Prinzip Punkte für Klausuraufgaben vergeben …

Einfach nur durch die Didaktikbrille geschaut lässt sich die punktuelle Bewertung natürlich auch komplett ignorieren. Der Wert des Inhaltstyps bemisst sich darin, dass die Herausforderung etwa in der kompakten Zusammenfassung von Inhalten bestehen kann. Die Schlagwörter können dann gegebenenfalls lediglich sicherstellen, dass nicht bloß ein Blindtext eingegeben wurde …

Der Inhaltstyp könnte sich mit einigen Maschinenlerntechniken zu einer ausgereifteren Lösung entwickeln. Damit wäre dann womöglich in einigen Fällen (halb-)automatisches Beurteilen von Texten denkbar. Ich formuliere das bewusst vorsichtig! Momentan ist das aber sowieso reines Wunschdenken. Meine Pendelstrecke ist zu kurz, ich komme da ja zu kaum etwas ;-)

Ihr seid natürlich herzlich dazu eingeladen, euch die Ideen zu diesem Inhaltstyp anzusehen und mir eure eigenen Gedanken dazu mitzuteilen.

Update: Der Inhaltstyp ist im offiziellen Betatest und sollte daher in Kürze verfügbar sein.

„Und die Verworrenen werden die verwirren, die nicht schon vorher verworren waren.“

Diese Woche berichtete mir jemand voller Ehrfurcht von einem wissenschaftlichen Artikel. Eine Passage daraus:

Vor diesem Hintergrund, dem Hintergrund des historischen Verblassens von Feminismus und der subtilen und oft nicht-so-subtilen Umschriften seiner Geschichte sowie der aktiven Entnennung antiimperialistischen, globalen feministischen Aktivismus, aber auch vor dem Hintergrund untereinander konkurrierender, allerdings mit ungleichem Verhandlungskapital ausgestatteter Landnahmen auf dem Territorium feministischen Wissens und nicht zuletzt im Verbund mit aktuellen institutionalisierten politischen Praxen wie Gender Mainstreaming und Managing Diversity ist der gegenwärtige Moment daher von besonderer Bedeutung für das Unterfangen, kritisches feministisches Wissen innerhalb des akademischen Universums – und um solches geht es mir im Folgenden – zu produzieren. (Hark, Sabine (2009): Was ist und wozu Kritik? Über Möglichkeiten und Grenzen feministischer Kritik heute, in: Feministische Studien, 28. Jg., Nr. 1, S. 22-35, hier S. 25.)

Was war euer erster Gedanke? „Hä?“ Genau. Der Text beherbergt viele solcher Ungetüme, und dabei ist er sogar noch vergleichsweise harmlos. Es gibt noch härteren Stoff. Mir wurde dazu gesagt, komplexe Gedanken brächten nunmal eine komplexe Sprache mit sich. Die Vielschichtigkeit der Ideen spiegelte sich in der verwinkelten Satzkonstruktion wider. Das sei doch schön.

Unverständlichkeit ist noch lange kein Beweis für tiefe Gedanken. (Marcel Reich-Ranicki)

Komplizierte Sprachgerüste zeigen nicht automatisch an, dass auch tatsächlich gedankliche Tiefe vorhanden ist. Und wenn es sie doch gibt, lässt sie sich nicht klar und verständlich wiedergeben? Die Nützlichkeit von vielen Dingen ergibt sich doch gerade durch eine angemessene Vereinfachung. Nehmen wir als Beispiel einen Stadtplan im Maßstab 1:1, was könnten wir damit anfangen? Er würde zwar die reale Straße ziemlich genau abbilden, aber helfen würde er uns wenig. Ließe sich das Wortknäuel oben nicht doch ein bisschen entwirren?

Warum schreiben manche Wissenschaftler solche Texte? Sicher nicht mit böser Absicht. Besteht vielleicht die in meinen Augen irrige Annahme, wissenschaftliche Texte müssten vor Fremdworten nur so strotzen? Wurde irgendwo die Vorstellung anerzogen, Substantivierungen, Passivsätze und lateinische Begriffe seien Merkmale für Qualität? Nicht falsch verstehen, ich verteufele hier keineswegs Fachbegriffe, und Wissenschaft gibt es nicht als Tütensuppe. Fachbegriffe haben durchaus ihre Berechtigung, aber sie werten durch ihre bloße Anhäufung einen Text nicht auf.

Viele Wissenschaftler finden nicht einmal, dass sie verpflichtet wären, die Wahrheit den Menschen zu zeigen. Sie zeigen sie sich nur gegenseitig. (Gunter Dueck)

Ist der Grund für Verbalnebel vielleicht doch der unterbewusste Wunsch, sich von niederen Texten abzugrenzen und sich selbst auf einen höheren Sockel zu heben? Wichtigtuerei mit Worten? Oder geht es darum, zu einer abgehobenen Gruppe zu gehören und sich von anderen abzugrenzen? Ja, für wen schreiben Autoren solch verklausulierte Texte? Für sich selbst? „Seht her und bewundert mich. Ich kenne so viele Wörter und kann sie in eine grammatisch komplizierte, aber korrekte Reihenfolge bringen!“ Oder doch für andere? In diesem Fall möchte ein Autor sicher auch verstanden werden. Dann frage ich mich, weshalb nicht leserorientiert gedacht wird: „Bemühe ich mich wirklich so zu schreiben, dass ich verstanden werde?“ Es kann mir niemand erzählen, dass jemand mit Satzlabyrinthen besser zurecht kommt als mit klaren Worten – auch die klügsten Wissenschaftler nicht. Und „offen“ ist etwas anderes.

Doch was ist aller wissenschaftlicher Fortschritt wert, wenn man ihn nicht vermitteln kann? (Martin Bojowald)

Letzter Punkt: Aber solche Texte sind doch schön!? Klar. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, und vielleicht sind solche Werke sogar künstlerisch wertvoll. Ich finde die Formel e^{i\pi}=-1 auch ästhetisch. Ich würde sie aber nicht einfach aufschreiben und erwarten, dass sie für sich spricht, und sich halt jeder selbst zusammenreimen muss, was sie bedeutet. Schwer verdauliche Texte wie der eingangs erwähnte mögen Kunst sein, bloß hätten die Autoren dann möglicherweise einen anderen Beruf wählen sollen.

Soweit mein Senf. Gehe ich zu hart ins Gericht?