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Symptomatische schnellere Pferde?

Vergangene Woche habe ich im Süden der Republik einen Workshop angeboten. Darin ging es unter anderem um H5P ging. An mehreren Stellen habe ich gesagt, dass diverse Dinge „wenig spannend“ seien:

  • H5P Image Hotspots: Erlaubt es, Markierungen auf ein Bild zu setzen. Die Markierungen liefern nach Aufrufen Detailinformationen in Text-, Bild- und/oder Videoform.
  • H5P Essay: Prüft einen von Lernenden geschriebenen Text auf das Vorhandensein von Worten oder Variationen. Kann daraufhin Rückmeldungen geben.
  • H5P Cornell: Bietet Texteingabefelder für Notizen neben Inhalten wie Text, Audio oder Video. Die Notizen werden in der lokalen Datenbank gespeichert. Lernende können sie später wieder abrufen.

Aus Sicht der Lehrenden waren diese Dinge allerdings sehr wohl spannend, und ich wurde am Ende darauf angesprochen. Zum Nachdenken anregend fand ich die Antworten auf meine Erläuterungen zu meiner Einschätzung aus technischer wie didaktischer Sicht.

Aus technischer Sicht ist so etwas wie H5P Essay eher langweilig. Da wird ein Text geparsed. Wow. Ja, es sind einige Kniffe drin. Es gibt etwas wie „Unschärfe“, damit Tippfehler oder unterschiedliche Wortendungen nicht dazu führen, dass ein Begriff nicht erkannt wird. In Summe war die Erstellung dennoch eher Fleißarbeit. Für die TeilnehmerInnen waren die Möglichkeiten allerdings völlig neu und vielleicht ein wenig wie Magie – und daher sehr interessant.

Aus didaktischer Sicht sind die palliativen Maßnahmen wie (oft) Multiple Choice Quizzes auch wenig spannend. In eine ähnliche Kerbe schlägt H5P Essay. Interaktive Inhalte könnten aber beispielsweise auch bedeuten, Interaktion zwischen Lernenden oder zwischen Lehrenden und Lernenden zu ermöglichen. Zukunftsmusik. Meine Hinweise dazu wurden auch nachvollzogen. Eine Workshop-Teilnehmerin sagte daraufhin, dass sie so etwas von H5P aber auch gar nicht erwartet hätte. Sie hätte so etwas noch bei keinem AutorInnen-Werkzeug gesehen.

Fragen an euch

Ist das nur ein Fall von erwarteten schnelleren Pferden, bei dem ein wirklich schnelles Pferd schon wie ein Auto erscheint? Obwohl andere schon an Alternativen zu Autos denken? Ist es ein Symptom für mehr? Mein Nachdenken dazu läuft noch … :-D Was kommt euch in den Sinn? Lasst gerne Kommentare und eigene Gedanken da …

Auf schmalem Grat: #H5P Essay beim #OERde17

Wenn dieser Beitrag online geht, stelle ich gerade beim OER-Festival #OERde17 die aktuelle Fassung von H5P Essay vor, die in Kürze auch offiziell verfügbar sein sollte. Sie erweitert die Software H5P um eine neue Funktion, die nicht ganz unumstritten sein dürfte. Aber was kann man damit überhaupt machen?

In seiner einfachsten Form lässt man jemanden einen Text schreiben. Als zweckdienlich kann es dabei sein, die Zahl der möglichen Zeichen zu begrenzen. In diesem Fall muss man nämlich sein Gehirnstübchen anstrengen und sich überlegen, womit man den knappen Platz füllt. Den Text kann H5P Essay dann automatisch mit einer Liste von Schlagworten abgleichen, die man vorab angelegt hat (inklusive dem Verzeihen von kleinen Tippfehlern oder dem Nutzen von Platzhalterzeichen). Je nachdem, ob ein Begriff oder eine Phrase im Text enthalten ist oder nicht, kann man dazu eine Rückmeldung ausgeben. Ihr könnte das hier auch ausprobieren an einem Beispiel.

Zu Risiken und Nebenwirkungen …

fragen Sie Ihren Pädagogen oder Bildungswissenschaftler … Es ist nämlich durchaus auch möglich, den Schlagworten Punkte zuzuordnen. Und dann landet man gegebenenfalls sehr schnell bei der Illusion, mit dieser simplen Lösung könne man Textbeiträge „bewerten“. Das hielte ich für einen Trugschluss. Der Sinngehalt von Texten lässt sich damit sicher nicht erfassen. Dafür bedürfte es einiger ausgefeilterer Techniken als sie mein Freizeitprojekt bietet.

Außerdem ist es natürlich sogar möglich, nicht mal einen zusammenhängenden Text zu schreiben, sondern bloß die gewünschten Schlagworte zu erraten und aneinander zu reihen. Statt einen ordentlichen Text zu verfassen, passt man sich womöglich nur dem Algorithmus an, der die Punkte verteilt. Axel Krommer bezeichnet das passend als Wii-Effekt.

Wer nun komplette Technikschelte oder die Romantisierung von menschlichen Lehrpersonen herausliest, läge allerdings falsch. Dafür ist mir zum einen leider zu deutlich in Erinnerung, dass ich dem Algorithmus auch an Hochschulen begegnet bin — im Kopf von Menschen, die Klausurantworten von Studierenden nur nach Schlagworten scannen statt sie zu lesen. Zum anderen haben wir es bei H5P Essay mit einem Werkzeug zu tun, das für bestimmte Einsatzzwecke geeignet ist, für andere aber nicht. Man sollte halt darüber nachdenken und nicht außer acht lassen, dass man Software weiterentwickeln kann.

Wann ist ein MOOC ein MOOC?

Seit ich in Lübeck arbeite, musste ich schon mehrfach erklären, was ich denn nun mache. Der Begriff MOOC sagt dann doch eher wenigen Menschen etwas, und ich sage dann meist einfach schlicht, dass ich an Online-Kursen arbeite. Das ist einfacher, wenn ich nicht ganz weit von vorne anfangen will :-)

Es gibt aber auch den Fall, dass ich bei thematisch vorbelasteten Menschen von MOOC spreche. Dann werden meine KollegInnen und ich mitunter gefragt, ob die Angebote auf mooin denn tatsächlich alle MOOCs seien – weil sie für sie zu viel „x“ und zu wenig „c“ seien (z. B. hier bei 09:15), weil es ihnen an „massiveness“ fehle (z. B. hier auf Twitter), usw. Da geht es dann um so etwas wie Definitionen.
So unverzichtbar ich es in der Forschung finde, sich streng an Begriffe zu halten, so unnötig finde ich es an einigen Stellen in der Praxis: die klassische Rigor-VS-Relevanz-Diskussion halt — auch wenn das eine das andere nicht ausschließen muss! So in etwa in dieser Richtung:

„Vielleicht gibt es ja doch kalten Punsch. Ich meine, wenn der Punsch mal kalt wird, oder wird er dann automatisch Bowle?“ (Michael Graf, „Ein Herz und eine Seele“)

Macht das letztlich einen Unterschied? Sorgt beides für einen dicken Kopf :-)

Wann ist ein MOOC ein MOOC?

Frei nach Herbert Grönemeyer könnte man also fragen, wann denn ein MOOC ein MOOC sei. M, O, O und C sind nicht klar festgelegt und bieten mindestens ein wenig Spielraum — behaupte ich zumindest und stelle hier meine Interpretation vor. Nicht mehr, nicht weniger.

Massive

Ab wann kann ein MOOC denn als massive gelten? In akademischen Kreisen wird dafür manchmal die Dunbar-Zahl herangezogen. Die liegt etwa bei 150 und gibt an, mit wie vielen anderen Personen man noch (sinnvoll) direkt interagieren könne. Liegt die Zahl der TeilnehmerInnen also darüber wäre die Veranstaltung massive. Finde ich aber schwierig.

Ich erinnere mich an Veranstaltungen mit 15 und mit über 500 Leuten, in denen gar fast nichts an Interaktion untereinander passiert ist, massive hin oder her — übrigens Seminare und Vorlesungen an der Uni in Präsenz ;-) Ich mache den Begriff massive daher nicht an einer fixen Zahl fest, sondern an der Skalierbarkeit. Das mag meinem Hintergrund der Wirtschaftsinformatik geschuldet sein, denn den Begriff gibt es sowohl in der BWL als auch in der Informatik.

Bergmassiv

Bergmassiv

Für mich ist eine Veranstaltung dann massive, wenn das Konzept mit wenigen Leuten gut funktioniert gemäß der gesetzten Ziele, es aber auch nicht ins Schleudern gerät, wenn es deutlich mehr TeilnehmerInnen werden. Das geht dann, wenn Ressourceneinsatz und Betreuungskapazität in etwa in einem linearen Verhältnis stehen: Wenn ich eine bestimmte Menge Ressourcen hinzufüge, steigt meine Kapazität proportional dazu an.

Das wird dann relevant, wenn jemand ein Kurskonzept erstellt, aber im Vorfeld gar nicht weiß, wie viele TeilnehmerInnen sie oder er erreicht. Nehmen wir als Beispiel den Volleyball-Trainer-MOOC von Andreas Wilkens auf mooin. Ist das ein MOOC? Ist das massive? Wie viele Volleyball-TrainerInnen mögen sich da wohl finden und teilnehmen? 50? Wird das Angebot plötzlich automatisch massive wenn doch 150 Personen erreicht werden? Was, wenn 1.000 Leute dabei sind, aber keiner mit dem anderen interagiert? Ein Tohuwabohu.

Ich weiß nicht, wie viele Leute Andreas gleichzeitig betreuen kann und ab wann er Unterstützung braucht, aber bisher sieht es gut aus. Und das dürfte skalieren. Massive. Ach ja, der MOOC hat übrigens tatsächlich die 1.000er Marke überschritten, und in den Foren ging es zur betreuten Zeit ab wie Schmidts Katze! Andreas kam also noch zurecht, und er machte das nebenbei!

Open

Der Aspekt der Offenheit oder „Openness“ ist für mir wichtig. Dummerweise gibt es da einige Schattierungen, und entsprechend unterschiedlich ist das Verständnis des Begriffs – das wird im Beitrag Fifty Shades of Open unter anderem historisch aufgearbeitet.

Der wesentliche Graben zieht sich in meiner Wahrnehmung aber bloß zwischen zwei Lagern. Für die einen genügt der bloße kostenlose Zugang zu etwas, um als „open“ zu gelten. Für die anderen gehört darüber hinaus dazu, dass mit dem Etwas auch frei hantiert werden darf: Änderungen vornehmen, in eigene Werke einbauen, usw.

Ich gehöre bei MOOCs zu den anderen. Das „open“ bringe ich bei ihnen mit Open Educational Resources (OER) in Verbindung, und bei denen gehört das Weiterverwenden einfach dazu. Dann landet man fast unweigerlich auch bei freien Lizenzen wie etwa denen von Creative Commons.

open strahlt

open strahlt

Vielleicht sollte ich noch eine Randnotiz einfügen, die beinahe schon wieder einen eigenen Beitrag erfordern würde, weil diverse Facetten dranhängen: Es geht um OER und Geld. Ich bin niemand, der sagt, mit Open Educational Resources dürfe man kein Geld verdienen, beispielsweise mit einem wie auch immer gearteten Freemium-Modell. Speziell bei einem MOOC könnte das heißen, eine Basisversion des Kurses offen anzubieten, Erweiterungen, individuelles Zusatztraining oder was auch immer nur gegen Bezahlung anzubieten.

Online

Online. Eigentlich klar, oder doch nicht? Ich könnte ja auch fragen, ob etwas noch ein MOOC sei, wenn es Präsenzanteile gäbe? Das kann sich anbieten, etwa wenn sich TeilnehmerInnen zu Beginn (dezentral) an einem Ort treffen, um sich kennenzulernen oder am Ende, um eine praktische Prüfung abzulegen. Das widerspräche nicht meinem Verständnis eines MOOCs.

Für mich verhält es sich so ähnlich wie mit dem Punkt „massive“. Der Kurs muss prinzipiell auch rein online funktionieren, um sich bei mir MOOC nennen zu dürfen – bis auf die Dinge, die virtuell noch nicht ganz so gut gehen. Zeigen, dass man ein Feuer löschen kann zum Beispiel. Aber warten wir einmal ab, was die ganzen Virtual-Reality-Sachen in den nächsten 25 oder so Jahren möglich machen werden.

Die vornehmliche Online-izität spielt für mich aber noch eine andere Rolle, die sich beinahe gezwungenermaßen ergibt. Anders ließen sich massive Kurse vermutlich gar nicht effizient umsetzen, bei denen womöglich hunderte Menschen verteilt über den ganzen Erdball miteinander lernen.

Course

Den Begriff Kurs zu fassen, ist schwieriger als ich dachte. Entsprechend wischi-waschi wird dieser Teil wahrscheinlich, und vielleicht muss ich das für mich selbst auch noch einmal revidieren.

Das wohl klarste Merkmal ist für mich, dass ein Kurs einen halbwegs klar definierten Anfangs- und Endzeitpunkt für einen Teilnehmenden hat. Nun wird es aber auch schon weicher. Zu einem Kurs gehört für mich, dass sich jemand im Vorfeld Gedanken dazu gemacht hat, was ein Teilnehmer oder eine TeilnehmerIn nach dem Absolvieren können oder erlebt haben sollte. Dazu gehört auch sich zu überlegen, wie man Orientierungspunkte schafft, die den TeilnehmerInnen grob einen möglichen Weg weisen – ohne ihn haarklein vorzugeben. Wenn sie einen anderen wählen: gar kein Problem! Die Landschaft drumherum kann ja auch ganz schön sein, und vielleicht hat die auch noch niemand betreten. Die Orientierungspunkte sollen bloß halbwegs davor schützen, sich komplett zu verirren.

Golfplatz oder Golfkurs?

Golfplatz oder Golfkurs?

Haben wir nun schon einen Kurs? Für mich noch nicht. Für mich gehören noch Überlegungen dazu, wie man die Teilnehmenden auf dem Weg unterstützen kann – sei es durch direkte Impulse wie bei Betreuung durch einen Menschen – oder durch förderliche und aufeinander abgestimmte Dynamiken (Narrativ, Emotionen, Beziehungen, Fortschritt, …), Mechaniken (Herausforderungen, Kooperation, Wettbewerb, Feedback, …) und Komponenten (Teams, Übungsaufgaben, Badges, Quizzes…).

Zu einem Kurs gehört für mich außerdem noch die eingebettete Möglichkeit zum Handeln, sei es durch Diskussionen mit anderen, das Lösen von Aufgaben oder durch praktisches Erproben und Reflektieren. Reine Materialsammlungen oder Video-Playlists sind also raus.

Und was ist nun mit c-Kursen und x-Kursen, den eher „seminaristischen, konnektivistischen“ und den eher „vorlesungsartigen, instruktiven“? Die Trennung halte ich für überholt und ebenso fragwürdig wie etwa die Trennung in Vorlesung, Übung und Seminar an Hochschulen. Gute Veranstaltungen kombinieren harmonisch Elemente aus allen Welten, und genauso sehe ich das bei MOOCs.

Fazit

Wie gesagt, das ist meine Sichtweise. Mag durchaus sein, dass ich mich sogar irgendwo widerspreche oder mit meiner Einordnung jemand eine Telefonkette, ein Schneeballsystem oder ein Online-Rollenspiel auch als MOOC bezeichnen kann. Na, bitteschön :-)

Ich freue mich auf jeden über eure Perspektive, für die in den Kommentaren mehr als genug Platz vorhanden ist!